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Die eigenen Nutzungsdaten als Entscheidungshilfe

 

vw stechuhr
Stechuhr im VW-Werk Wolfsburg in den 70er Jahren

Früher war es die Stechuhr. Ein Zeiterfassungssystem, das automatisch Anfang und Ende der Arbeitszeit festhielt. Im digitalen Zeitalter lässt sich nahezu jeder Tastenschlag, jeder Mausklick oder schlicht jede Interaktion mit einem digitalen Gerät aufzeichnen. Frank Rieger vom Chaos Computer Club fasste das vor einiger Zeit in seinem Text „Der Mensch wird zum Datensatz“ gut zusammen.

Doch immer mehr Leute messen freiwillig ihr Verhalten. Oder besser: Lassen messen. Zahlreiche Dienste im Internet bieten die Erfassung persönlicher Daten und deren Auswertung an. Seien es Jogger, die ihre Laufstrecken aufnehmen. Andere beobachten ihr Finanzhandeln, halten ihre Reisebewegungen fest oder monitoren ihr Schlafverhalten.

Eine zentrale Rolle kommt dabei den Mobiltelefonen zu. Sie werden in der Regel nur von einer Person genutzt, bleiben nahezu immer in unmittelbarer Umgebung derselben und werden immer seltener ausgeschaltet. Neuere Modelle besitzen Internetanbindung, GPS, einen Kompass und Beschleunigungssensoren.

Aufgeschreckt durch die heimlichen Aufzeichnungen der iPhone Software, die unlängst einer breiten Öffentlichkeit bekannt wurde, haben sich die Nutzer in den letzten Tagen viele Gedanken über persönliche Daten gemacht. Erfreulicherweise wird im Zusammenhang mit dieser Thematik auch immer wieder auf die Berichterstattung von ZEIT ONLINE und die Mobilfunkdaten des Grünen-Politikers Malte Spitz hingewiesen. Um die Visualisierung vieler solcher Mobilfunkdaten umzusetzen, bittet das eben gestartete Projekt Crowdflow um Spenden solcher iPhone-Datensätze, um ein „geo-soziales Netzwerkexperiment“ umzusetzen.

Manche sind sich sicher, dass solch persönliche Datensätze Goldminen sind, die nur darauf warten, ausgebeutet zu werden. In dem lesenswerten Beitrag „The Really Smart Phone“ im Wall Street Journal gibt Robert Lee Hotz einen Überblick darüber, was Forscher mit solchen Datensätzen anstellen: So wagen sie Voraussagen darüber, ob Personen gerade über Politik am Telefon debattieren, ohne den Inhalt des Gesprächs zu kennen. Oder sie prognostizieren, ob der Telefoninhaber Symptome einer Grippe zeigt.

Richtungweisend sind aber die Analysen einer großen Menge von Nutzerdaten, um wirtschaftliche Entwicklungen vorherzusagen zum Beispiel. Etwa die Analyse der Textnachrichten, die per Mobiltelefon zum Kurznachrichtendienst Twitter gesendet wurden. Anhand von Schlüsselworten gelang es Wissenschaftlern Stimmungen abzulesen und die Entwicklung des Aktienindex vorherzusagen.

Nun stellt sich die Frage: Wem gehören die Daten? Richard H. Thaler, Professor für Wirtschaft und Verhaltensforschung an einer Universität in Chicago forderte vor wenigen Tagen in der New York Times: „Show Us the Data. (It’s Ours, After All.)„. Thaler argumentiert wie folgt: „Wenn ein Unternehmen die Daten seiner Kunden elektronisch sammelt, sollte es ihnen eine Version dieser Daten zu Verfügung stellen, die herunterladbar ist oder zu einer anderen Website exportiert werden kann.“ Denn, so der Wissenschaftler, die eigenen Nutzungsdaten können dem Konsumenten helfen, Entscheidungen zu treffen. Etwa dabei, welchen Mobilfunkvertrag er abschließt. Ein unparteiischer Dienst könnte anhand der Nutzungsdaten Empfehlungen geben und beim Geldsparen helfen.

Thaler beriet in den vergangen Monaten die britische Regierung, die derzeit mit Banken, Kreditkartenunternehmen, Mobilfunkunternehmen und großen Handelsketten das Programm mydata einführen will. Dabei geht es eben darum, den Konsumenten die über sie gesammelten Daten in maschinenlesbaren Formaten zu geben. So soll sowohl der Verbraucherschutz gestärkt und gleichzeitig neuen Geschäftsmodellen der Weg geebnet werden. Eine Idee, die die Bundesministerin für Verbraucherschutz, Isle Aigner (CSU), gerne aufgreifen darf.

Neben Entscheidungshilfen durch Datenauswertung, die volkswirtschaftliche Entwicklung vorhersagen oder persönliche Kaufempfehlungen abgeben, sind weitere Szenarien denkbar:  Ellen Wagner macht sich Gedanken über persönliche Nutzungsdaten im Bildungsbereich. „Data changes everything“ meint sie, denn im Bereich des eLearning könnten clever ausgewertete Nutzerdaten helfen, die richtigen Lernschritte zu erfahren. Beispielsweise bei der Entscheidung, die richtigen Kurse an einer Fernuni zu belegen.

Eins ist jedenfalls sicher: Die Menge der Datensätze, die über uns, aber auch von uns selbst, gesammelt wird, sie wird steigen. Der Mensch allein wird diese Informationen nicht sinnvoll durchdringen können und wird sich immer mehr auf Maschinen verlassen müssen. Wichtig ist dabei dann, dass er selbst – und nicht eine Regierung oder ein Unternehmen – die Hoheit über diese Daten hat.

Zu Recht warnt Alina Tugend davor, ebenfalls in der New York Times, nur noch über Zahlen definiert zu werden: Wir laufen Gefahr, das Quantifizierbare, das Zählbare als einzigen akzeptablen und bedeutenden Gradmesser zu akzeptieren.

Disclaimer: Der Autor arbeitet beim Projekt crowdflow.net mit.

Fotonachweis: Bundesarchiv, B 145 Bild-F038809-0007 / Schaack, Lothar / CC-BY-SA