Der Grünenpolitiker Malte Spitz ist viel unterwegs. Er nutzt soziale Netzwerke, um über sich und seine Arbeit beim Bundesvorstand der Partei zu berichten, und er schaltet selten sein Mobiltelefon aus. Die sechs Monate Vorratsdaten, die er ZEIT ONLINE zur Verfügung gestellt hat, bedeuteten daher 35.830 aufgezeichneten Verbindungen – ein eindeutiges Bewegungsprofil.
Spitz hatte im August 2009 die Herausgabe seiner Daten eingeklagt. Er hatte Erfolg und die Telekom übergab ihm sechs Monate seiner Vorratsdaten von August 2009 bis Februar 2010. Wir veröffentlichen ihn hier als Google Doc (ohne die Telefon-, Geräte- und Kartennummern von Spitz).
Nicht enthalten sind die Telefonnummern der Anrufer und Angerufenen. Der Provider T-Mobile hatte sie vor der Herausgabe entfernt, da inzwischen das Bundesverfassungsgericht die Vorratsdatenspeicherung gestoppt hatte. Damit ist mit diesem Datensatz nicht möglich, was Ermittler vor allem wollen: Das Ausforschen und Beobachten sozialer Beziehungsnetze.
Dennoch sind die Daten spannend. Zusammen mit Michael Kreil, der mit Ideen und Können die Programmierung übernommen hat, habe ich die interaktive Karte zu den Vorratsdaten hier auf ZEIT ONLINE umgesetzt.
Bei der Recherche und der Konzeption drehten und wendeten wir die Daten. Wir nahmen sie unter die Lupe und mussten ersteinmal Fachtermina wie IMSI und CFNR entschlüsseln. Und verstehen, was genau die Geopositionen, die in den Vorratsdaten für jede Verbindung angeben wird, bedeutet: Den Standort des Funkmastes, mit dem Malte Spitz gerade verbunden ist.
Jeder der Masten hat drei Antennen, die jeweils etwa eine Region von 120 Grad abdecken: Gespeichert wird, in welcher Himmelsrichtung zum Mast sich das Handys befindet, wenn es Verbindung aufnimmt, nicht aber seine Entfernung zur Antenne. Somit ergeben sich ungefähre Standorte. Je dichter die Funkzellen in einer Region sind und das Handy womöglich gleichzeitig orten, desto genauer ist er. Der Atlas der Mobilfunkantennen, den die Bundesnetzagentur anbietet, zeigt, dass in Städten die Antennen dicht an dicht stehen, nur wenige hundert Meter entfernt. In ländlichen Gegenden dagegen deckt jede viele Quadratkilometer ab.
Anhand der Vorratsdaten errechneten wir für jede der 260.640 Minuten in den 181 Tagen den Aufenthaltsort von Malte Spitz: So ließ sich eine sogeannte Heatmap (s.o.) erstellen, die zeigt, wie häufig er an eimem Ort war. Die enge (politische) Bindung an seine Herkunftsregion Nordrhein-Westfalen erschließt sich somit sofort. Aber es ist auch möglich, die Geschwindigkeit zu errechnen, mit der Malte Spitz sich bewegt. 700 Kilometer pro Stunde müssen ein Flugzeug sein; 300 Stundenkilometer sicher ein ICE.
Der Umstand, dass Spitz sein Mobiltelefon zu mehr als 80 Prozent der Zeit angeschaltet hatte, macht es einfach, viel über ihn zu erfahren. Im Minutentakt loggt sich das Gerät bei Funkmasten ein, um via GPRS (General Packet Radio Service) E-Mails abzurufen oder Netzwerke wie Twitter zu checken. Dadurch besteht permanent Kontakt zu einem Funkmast. Zwei Drittel aller Verbindungen in dem halben Jahr kommen so zustande.
Aber es lässt sich auch nachvollziehen, wie lange Telefonate im Durchschnitt dauern (102 Sekunden) und ob Malte Spitz überhaupt ans Telefon geht (in der Hälfte der Fälle ist er nicht erreichbar). Wäre noch bekannt, mit wem er telefonierte, ließen sich anhand solcher Faktoren – Länge und Häufigkeit der Annahme des Gesprächs – klare Präferenzen in seinen Beziehungen identifizieren.
Dieser kurzer Abriss über den Datensatz macht deutlich: Im digitalen und mobilen Zeitalter entstehen permanent Spuren. Wer Zugriff auf sie hat und sich in ihnen auskennt, kann fast alles über die betroffene Person herausfinden. Daraus folgt: In einer Demokratie sollte jedermann jederzeit wissen dürfen, wer welche Informationen über ihn hat. Und sollte bestimmen dürfen, wer darauf wie zugreifen darf.
UPDATE 25.02.11: Mehr dazu hier im Blog im Text „Der Funkmast als Wachturm„: Wo war Malte Spitz während der Demonstration „Freiheit statt Angst“ am 12.09.2009?