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Ostdeutsche Landeskunde: Die Eierscheckengrenze

 

Broiler statt Brathähnchen, viertel oder dreiviertel bei den Uhrzeiten – solche Beispiele ostdeutscher Spracheigenheiten sind weithin bekannt. Doch es gibt viele weniger berühmte Feinheiten, die durchaus interessant sind und die kennen sollte, wer als Nicht-Ostdeutscher hier nicht auffallen will, sei er nun Ex-RAF, Raffke oder einfach nur gern raffiniert. Darum nun eine lose Folge von Begriffserklärungen, die mit einer inner-ostdeutschen Kuchengrenze beginnt.

Wie den Weißwurst-Äquator im Westen hat auch der Osten eine kulinarisch definierte Demarkationslinie: die „Eierscheckengrenze“. Sie nimmt Bezug auf einen Kuchen, der im Sächsischen anders gemacht wird als nördlich dieser Linie. Im allgemeinen Gebrauch geht es allerdings wie bei der Weißwurst-Grenze auch bei diesem Begriff nicht allein um den Kuchen. Auch er dient zur Abgrenzung von Mentalitäten, Dialekten und allem Möglichen.

Für den Dresdner Feuilletonisten Heinz Knobloch, Autor des Buchs Eierschecke. Dresdner Kindheit, verläuft die Grenze auf einer von West nach Ost leicht fallenden Linie etwa von der Region um Magdeburg bis hinunter nach Görlitz. Andere setzen sie im Osten von Sachsen etwas nördlicher an, während sie nach Westen hin doch ziemlich ausfranst. Die Landesgrenze von Sachsen und Brandenburg ist eine gute Orientierung. Denn in der Tat: Es ist die alte Grenze zwischen Sachsen und Preußen. Zu Sachsen zählt übrigens historisch betrachtet auch Thüringen. Aber zur Thüringer Bratwurst kommen wir später.

Wo diese ominöse Grenze ganz genau verläuft, ist aber eigentlich Nebensache. Würde man nach den Bäckern gehen, wäre es ohnehin eine Zick-Zack-Linie. Womit wir endlich beim kulinarischen Aspekt der Sache wären: Oberhalb der Eierscheckengrenze ist Eierschecke im Grunde nicht mehr als ein Quark-Käsekuchen, so fest und hart wie die Sprache, wenn man sie mit dem Sächsischen vergleicht. Unterhalb der Grenze ist es ein Gebäck aus ineinander fließenden und vor allem weichen Schichten geschäumten Puddings, Eischnees, luftiger Quarkfüllung und Zuckermehlbrei, womit auch das sächsische Idiom ganz gut bebildert wäre. Natürlich gibt es regionale Varianten. Die Freiberger Eierschecke etwa verzichtet auf den Quark, weshalb sie recht schnell wabbeliger wird als ein Wackelpudding.

Da es südlich der Eierscheckengrenze recht viele Rezepte dafür gibt, wage ich hier nicht, den Standard dafür festzulegen. Ein genereller Tipp aber: Eierschecke in Dresden probieren und dann in Berlin. Dann ist alles klar. Und wenn man den Mund damit in Berlin dann genauso voll nimmt wie in Dresden, ahnt man, warum es in Berlin überhaupt einen Kuchen dieses Namens gibt: Um angereisten Sachsen wenigstens einige Minuten lang das Maul zu stopfen.

Das aber war mal: Kein Sachse würde heute in Berlin anrühren, was da Eierschecke genannt wird. So müssen die Berliner mit dem Säggsch eben leben – oder einfach weghören.