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Feigenblatt und Klimawandel

 

In meinem Garten in Leipzig wächst seit Mai ein Feigenbaum. Es handelt sich um eine „Pfälzer Fruchtfeige“ aus dem Baumarkt. Das Bäumchen war billig, weshalb es nicht schlimm wäre, wenn es den Winter nicht überlebt. Es würde mich wohl traurig machen. Als Laie auf dem Gebiet der Maulbeer-Gewächse leite ich jedoch von dem Namen ab, dass mein Bäumchen seine Vorfahren in der Pfalz hat. Ein bisschen Frost sollte da schon drin sein.

Die Hoffnung wächst also mit jedem Feigenblatt. Seit gestern aber schießt sie richtig ins Kraut: Mit Spannung erwarte ich die angekündigten Klimawandel-Szenarien für Deutschland. Zum ersten Mal haben Forscher des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) e.V. und der Berliner Humboldt-Universität die Auswirkungen des Temperaturanstiegs bis 2100 auf alle deutschen Landkreise herunter gerechnet. Ab Dezember gibt es die Ergebnisse im Netz – auf www.klimafolgen.online.com. Dann schaue ich sofort nach, wie’s in meinem Garten wird.

Was die Experten schon durchblicken ließen, dürfte mir noch mehr Feigenblätter bescheren. Es klingt insgesamt aber nicht sehr erbaulich, am wenigsten für den Osten: Milliardenverluste für Land- und Forstwirtschaft, Probleme mit den Kraftwerken, extreme Wetterlagen, Stürme, Dürren, Hochwasser, Waldbrände und Insektenplagen. Fichten und Buchen könnten verschwinden. Unsere Wälder würden südländischer aussehen, mit Kork- und Steineichen. Letzteres hätte – soweit ich das überblicke – nur einen Vorteil: Der Osten würde ein exzellentes Weinbaugebiet und für seine Produkte gäbe es immer ordentlichen Naturkork.

Es heißt, wegen des kontinentaleren Klimas werde der Osten von Sommerhitze und Winterregen weitaus härter getroffen als der maritimer klimatisierte Westen. In Städten verdopple sich bei Hitze die Sterblichkeit, sagt ausgrechnet ein Forscher namens Endlicher. Es müsse mehr Vorsorge für alte Menschen geben, von denen es ohnehin mehr gäbe. Auch Straßenbäume würden wichtiger, als Lungenbläschen.

Für die Landwirtschaft verlängere sich zwar die Vegetationszeit. Doch in Brandenburg dürfte es im Sommer staubtrocken werden. Rückhaltebecken oder Bewässerung seien teuer, Winterregen sollte also nicht abgeleitet werden, sondern versickern dürfen – das hebt das Grundwasser. Landwirte müssten dann aber ertagen, dass ihre Felder unter Wasser stehen – und Reis anbauen? Und, ach: Im Sommer würde mancherorts das Flusswasser zu warm, um Kraftwerke zu kühlen. Also abschalten?!

Auf die Dürre im Sommer folgt übrigens Hochwasser im Winter – Wasser auf die Mühlen derjenigen, denen das Gebastel an den Flüssen schon lange nicht passt. „Die letzte Elbeflut hat zehn Milliarden Euro gekostet, wenn das viermal hintereinander passiert, geht Deutschland in die Knie“, sagt einer der Wissenschaftler. Und was ist mit den Schiffen bei dem prognostizierten Wassermangel im Sommer auf Oder und Elbe? Eine gute Frage auch an die Wasserstraßenbauer in Sachsen-Anhalt!

Was nun meine Feige angeht: Sie kann strauchartig dick und dabei doch recht hoch werden, ziemlich schnell sogar. In wenigen Jahren könnte sie die Form von gut bekannten Pfälzer Landsleuten annehmen. Auch die Früchte, auf die ich spekuliere, sehen diesen gar nicht unähnlich. Auch wenn Pfälzer wie Kohl und Beck natürlich größer und weniger süß sind. Was der Vergleich soll? Wie Politiker schon lange können wir die klimatische Entwicklung jetzt wohl nur noch abwarten, uns bestenfalls anpassen. Und an Feigenblättern wird es nicht mangeln.