Dass sich das erzkapitalistische Gesellschaftsspiel Monopoly in der DDR einiger Beliebtheit erfreut hat, ist in diesem Blog ja schon thematisiert worden. Nun gibt es zu diesem Thema noch etwas hinzuzufügen, nämlich den Verweis auf das in Polen im vergangenen Jahr entwickelte und dort sehr erfolgreiche Spiel Warteschlange. Das ist sozusagen das Spiegelbild von Monopoly: Inhalt des Spiels ist es, das Leben in einem sozialistischen Land nachzuempfinden, und zwar am Beispiel des täglichen Einkaufs. Es geht darum, mit dem in den bisher ausprobierten sozialistischen Gesellschaften allgegenwärtigen Mangel fertig zu werden und knappe Güter zu erwerben, zum Beispiel Südfrüchte. In Polen muss die Versorgungslage noch etwas schlechter als etwa in der DDR gewesen sein, glaubt man den Warteschlange-Erfindern. Denn wie in dieser Rezension zu lesen ist, ist in diesem Spiel auch der Erwerb von Dingen wie Toilettenpapier oder Wurst eine ziemlich aufreibende Angelegenheit. Und an Klopapier und Wurst herrschte jedenfalls in der DDR kein Mangel, soweit ich mich erinnere.
Bei Warteschlange muss man allerlei Schwierigkeiten bewältigen – zum Beispiel herausbekommen, in welchem Laden es gerade eines der begehrten knappen Güter gibt, um sich dann möglichst weit vorn in der Schlange einreihen zu können. Wer ein Baby dabei hat, darf vorrücken, wer die Verkäuferin persönlich kennt, bekommt die unter der Ladentheke versteckte Ware. Über den Staat meckern sollte man tunlichst nicht, denn dann ist schnell die Polizei zur Stelle und zerrt den Meckerer aus der Schlange. Ob es dann im Polizeiwagen direkt ins Gefängnis geht, konnte ich aus den auffindbaren Berichten über das Spiel nicht herauslesen. (An dieser Stelle räume ich freimütig ein, das Spiel nur aus Berichten zu kennen und nicht aus eigenem „Spiel“-Erleben.) Vielleicht muss man sich auch nur wieder hinten anstellen.
Das Spiel gibt es mittlerweile auch in einer deutschsprachigen Version. Die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung hat neulich ein Exemplar davon ergattert und es mit dem Ministerpräsidenten von Sachsen-Anhalt, Reiner Haseloff, gespielt. Der stammt aus Wittenberg und konnte das Spiel vor dem Hintergrund seiner eigenen DDR-Biografie gemeinsam mit einem FAS-Autor testen. Dabei entlockte der Journalist dem CDU-Politiker einige Weisheiten über das Leben in der DDR. Zum Beispiel, dass man 14 Jahre auf ein Auto warten musste – „wenn Sie nicht gerade eine Olympiamedaille gewonnen haben oder höhere Weihen der Partei erhalten hatten“. Und dass es Brot, Butter und Milch in der DDR gab, nur das Exotische nicht. Bananen zum Beispiel. Für die hatte sich Reiner Haseloff auch angestellt, der Kinder wegen. Auch Baumaterialien waren für den privaten Bedarf, zum Beispiel für den Bau einer Datsche, nur schwer zu bekommen. Haseloff hat sie trotztem ergattert und seine Datsche „am 17. Oktober 1989 zusammengenagelt“. Nach der Wende hat die Familie das Häuschen dann aber kaum noch genutzt.
Schade um die schönen Baumaterialien, möchte man da anmerken. Ansonsten fällt dem Sachsen-Anhalter während des Spiels mit der FAS nicht mehr allzu viel über die DDR-Bürger ein. Dass sie mit einem Drittel des westdeutschen Lebensstandards leben konnten und der allgegenwärtige Mangel die Menschen genügsam machte, merkt er noch an. So nach dem Motto: Eine Banane pro Jahr, zu Weihnachten, reicht ja eigentlich auch. Und schließlich hatte auch in der DDR „jeder irgendwie seine Entenkeule zu Weihnachten“, sagt er. Dann wird es ja so schlimm nicht gewesen sein. Und das Anstehen nach Bananen wahr wohl eher so ein Hobby des DDR-Bürgers. Da fällt mir noch ein Witz aus späten DDR-Zeiten ein: Ein Besucher aus dem Westen geht in einen DDR-Obst- und Gemüseladen und wundert sich, dass es keine Ananas und Bananen gibt. Die seien nicht so begehrt, lautet die Antwort der Verkäuferin auf seine erstaunte Nachfrage. Wieso? „Na, nach Ananas fragt schon lange keiner mehr.“