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Vollbeschäftigung – ein Horrorszenario

 

In zwei Jahren wird Jeremy Rifkins Buch “Das Ende der Arbeit” zwei Jahrzehnte alt sein. Ob er mit seiner Prophezeiung einmal Recht behalten wird, ist jedoch noch völlig offen. Wenig deutet heute darauf hin, dass durch Automation und Computer die Erwerbsarbeit der Massen bald obsolet wird, dass gemeinnützige Arbeit an ihre Stelle treten wird und mit ihr ein neuer “dritter Sektor” und mit diesem ein neuer Gesellschaftsvertrag.

Irgendetwas muss Rifkin übersehen haben. Laut ILO nimmt die Erwerbsarbeit weltweit zu. Gerade entwickelte Länder mit einem hohen Grad an Computer-Einsatz, mit Vernetzung und automatisierter Produktion scheinen sich noch nicht in die von ihm erwartete Richtung zu entwickeln.

Und jetzt das: Für Ostdeutschland prognostizieren die Ökonomen des ifo Instituts in Dresden für das Ende des Jahrzehnts Vollbeschäftigung. Nicht durch Wirtschaftswachstum, sondern durch die Demografie – weil immer weniger Erwerbsfähige hier leben werden. Ist das nun, geboren aus einer schlechten, endlich mal eine gute Nachricht für Ostdeutschland?

Vollbeschäftigung – ein politisches Reizwort

Scheinbar als erste der Parteien hat die CDU diesen politischen Festtagsbraten gerochen. Wie “Die Welt” schon am 2. Januar meldete, will sie im Bundestagswahlkampf mit dem Versprechen eines fast vollständigen Abbaus der Arbeitslosigkeit punkten. Generalsekretär Hermann Gröhe erklärte Vollbeschäftigung zum “zentralen Ziel, dem wir in der nächsten Wahlperiode einen deutlichen Schritt näher kommen wollen”.

Man darf ihm das nicht verübeln. Natürlich schaffen nicht die Politiker produktive Beschäftigung. Dazu haben sie nicht die Mittel. Man muss ihnen schon dankbar sein, wenn sie solche Beschäftigung nicht verhindern, denn dazu haben sie die Mittel. Genau darum aber sind deratige Aussichten für Politiker ein gefundenes Fressen: Die Arbeit machen andere, in diesem Fall die Demografie und – wie immer – die Betriebe. Politiker müssen nur auf andere zeigen, wenn es schlecht läuft, oder sich ganz schnell vor  das Bild stellen, wenn dieses sich aufhellt. So wie jetzt Herr Gröhe.

Angesichts des notorischen Zwangs zu einer wenigstens symbolischen Vollbeschäftigungspolitik hat er aber auch gar keine andere Wahl. Schon vor 1950 schrieb Walter Eucken, Vordenker der Sozialen Marktwirtschaft, von einer “Nötigung zur Vollbeschäftigungspolitik” angesichts massenhafter Arbeitslosigkeit. Von recht ähnlichen Einsichten getrieben, soll sogar schon Bismarck seine Erfindung des Wohlfahrtsstaats so kommentiert haben: „Jeder, der diesen Gedanken aufnimmt, wird ans Ruder kommen.“

Arbeiten bis zum Umfallen?

Der Begriff Vollbeschäftigung meint eigentlich die volle Auslastung aller Produktionsfaktoren. Landläufig versteht man darunter eine fast völlige Auslastung des Produktionsfaktors Arbeit – und noch ein wenig salopper, dass alle, die arbeiten können oder wollen, auch Arbeit haben.

Können oder wollen? Wie wär’s mit müssen? Fraglich ist schon, ob eine durch immer weniger arbeitsfähige Menschen und immer mehr Rentner erreichte Vollbeschäftigung aus Ostdeutschland eine Insel der Glückseligkeit machen wird. Personalprobleme der Firmen könnten den Beschäftigten zwar im Tarifstreit nützen. Allerdings dürfte das Glück so nur von kurzer Dauer sein. Wird Arbeit im Osten zu teuer, ziehen die Arbeitgeber weiter.

Für Ostdeutschland könnte die Vollbeschäftigung aus demografischen Gründen jedoch auch bedeuten: Alle müssen arbeiten, solange sie das nur irgendwie können. Dazu hat die Politik durchaus die Mittel – siehe die Rente mit 67 Jahren. Es bleibt abzuwarten, wie lange immer seltener werdende Erwerbsfähige in Zukunft tatsächlich ran müssen.

Und die SPD? Die Sozialdemokraten sind dabei, sich von der Rente mit 67 abzuwenden, die sie – zumindest Genossen in leitenden Positionen – selbst mit eingeführt haben. Wenigstens soll sie ausgesetzt werden, bis genügend Arbeitsmöglichkeiten für Ältere vorhanden sind. Eine Bedingung, die wider Erwarten bald erfüllt werden könnte. Vorgeschmack: Immer mehr Ältere gehen sozialversicherungspflichtiger Arbeit nach. So stieg der Anteil der 60- bis 64-Jährigen von 2000 bis 2010 von knapp zehn auf 24 Prozent, meldet die Rentenkasse. Und der Trend werde sich fortsetzen.

Vielleicht hält es im Osten, wem statt lebenslangem Lernen hier nun lebenslanges Arbeiten droht, doch mit den Piraten. Die scheinen wenigstens noch zu überlegen, wie man aus dem Hamsterrad auch mal rauskommt und lehnen Vollbeschäftigung als “weder zeitgemäß noch sozial wünschenswert” ab. Und irgendwie ist denen ja auch zuzutrauen, das sicher recht hilfreiche Thema Zuwanderung ganz ohne Scheuklappen zu betrachten. Ich möchte jedenfalls 2040 nicht mehr hier sitzen – müssen. Da wäre ich 69…