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„Hammer und Sichel im Ehrenkranz“

 

Udo Lindenberg will mit seinem Musical „Hinterm Horizont“ auch jungen Leuten die Geschichte der DDR näher bringen. In Workshops erforschen Leipziger Mittelschüler mit Musikern, Schauspielern, Tänzern und Dozenten der Popakademie Mannheim den Hintergrund seiner Liebesgeschichte von hüben und drüben. Im Juni wollen sie einige Szenen daraus aufführen.

Warum Udo das macht? „Viele junge Leute halten Honecker für einen Brotaufstrich“, erklärt er seine Motivation. Doch nicht nur Udo beklagt die Geschichtsvergessenheit der jüngeren Generation, für die es viele Beispiele gibt – eines hier, ein weiteres hier. Nicht zuletzt der Bund der stalinistisch Verfolgten forderte kürzlich mehr DDR-Geschichte in den Schulen.

Auch Medien könnten bei der Vermittlung von Geschichtswissen eine Rolle spielen – wenn sie es nur könnten. Ernste Zweifel daran hat nun leider keine geringere als die Deutsche Presseagentur aufkommen lassen. Als sie kürzlich eine von der „Iswestja“ übernommene Meldung verbreitete, nach der auf russischen Kampfflugzeug bald wieder rote Sowjetsterne auftauchen sollen, spendierten zwei Redakteure der doch etwas dünnen Meldung noch einen „Hintergrundsatz“ aus eigenem Fundus. Und der ging so:

„Sowjetsymbole wie rote Sterne sowie Embleme mit Hammer, Sichel und Ehrenkranz sind in Russland bis heute weit verbreitet.“

Gütiger Gott! Mal abgesehen von seinem – vorsichtig ausgedrückt – dürftigen Informationsgehalt haben die Kollegen in diesen dürren Satz gleich mehrere grobe Schnitzer eingebaut:

1. ist im Sowjetsymbol aus Hammer und Sichel weit und breit kein Ehrenkranz zu sehen (Was soll das eigentlich sein? Ein Lorbeerkranz? Heil Dir im… ?), 2. geisterte den Kollegen vermutlich das alte DDR-Emblem im Kopf rum, wobei sie dann aber 3. die Sichel mit einem Zirkel verwechselt hätten und 4. der Kranz nicht aus Ehren, sondern aus Ähren wäre.

So vielleicht? Das berühmte Sowjet- Symbol aus Hammer und Sichel mit einem fantastischen „Ehrenkranz“

„Hammer und Zirkel im Ährenkranz, Zeichen des Glücks an der Wiege…“, so sang einst der DDR-Pionier. Vielleicht hat auch dieses Lied, verwurstet in den Windungen der Erinnerung, den Schnitzer verursacht. Ob die dpa-Kollegen das Lied kennen, weiß ich zwar nicht. Allein sind sie mit diesem Ehren… äh, Ährenproblem aber nicht. Sogar Fachmedien wie der MDR machen solche Fehler – hier ausgiebig bemeckert.

Man könnte die Sache ja als heraldische Krümelkacke abtun, wären diese Symbole nicht so populär. Man könnte die Sache auch als menschlichen, journalistischen Flüchtigkeitsfehler abtun, wie er jedem von uns unterlaufen kann. Vor allem dann, wenn es viel und viel Wichtigeres zu berichten gibt.

Man könnte… hätte man nicht das ungute Gefühl dabei, dass auch für Geschichtsbildungs-Basisbevollmächtigte die ganze Ostblock-Geschichte schon jetzt zu einem einzigen Brei verschimmelt ist, für den die Bezeichnung „Brotaufstrich“ ein echtes Kompliment wäre. Müssen wir befürchten, dass uns Erich Honecker bald ernsthaft als Ampelmännchen verkauft wird?