Dass Menschen aus Ostdeutschland vor allem aus wirtschaftlichen Gründen in den Westen abgewandert sind und weiter abwandern, ist ja schon ausgiebig erörtert worden. Wer im Osten keine Arbeit findet oder keine Ausbildungsstelle, versucht sein Glück im Westen.
In Thüringen droht nun eine neue, politisch motivierte Abwanderungswelle, die den Fortbestand des Bundeslandes gefährden könnte. Weil das Land im Jahr 2050 voraussichtlich nur noch 1,8 Millionen Einwohner haben wird (heute sind es noch rund 2,2 Millionen) und die Einnahmen der Staatskasse spätestens nach dem Auslaufen des Solidarpakts auch geringer werden, diskutiert man über eine Verwaltungs- und Gebietsreform. Größere Landkreise und eine schlankere Verwaltungsstruktur sind zwei wesentliche Vorschläge, die jetzt eine vom Land eingesetzte Expertenkommission vorgelegt hat.
Das sorgt für Empörung – vor allem in den Landratsämtern. Weil so manche Landrätinnen und –räte um keinen Preis mit dem – jeweils angeblich ärmeren – Nachbarkreis fusionieren wollen, drohen sie mit kollektivem Übertritt ins westdeutsche Nachbarland. So schwadronierte der Landrat des Eichsfeldkreises, Werner Henning, über eine Abwanderung nach Niedersachsen, während die Landräte der Südthüringer Kreise Hildburghausen und Sonneberg, Christine Zitzmann und Thomas Müller, mit dem Wechsel ihrer kleinen Reiche nach Bayern liebäugeln. Denn sie wollen auf keinen Fall, wie von den Experten vorgeschlagen, die derzeit noch kreisfreie und ziemlich hoch verschuldete Stadt Suhl als Kreisstadt aufgedrückt bekommen.
Wenn das so weitergeht, droht Thüringen der Zerfall. Der Wartburgkreis könnte nach Hessen wechseln, der Kreis Nordhausen nach Niedersachsen und noch einige weitere Landkreise nach Hessen beziehungsweise Bayern. Der Kyffhäuserkreis und das Altenburger Land hätten schlechtere Karten. Ihnen steht nur der Weg nach Sachsen-Anhalt beziehungsweise Sachsen offen (wobei die Altenburger ohnehin mal Sachsen waren). Es sei denn, es fände sich ein westdeutsches Bundesland, das diese Kreise sozusagen als Exklave übernehmen würde. Hamburg zum Beispiel.
Diese Absetzbewegungen lassen die von Thüringer Touristikern gerne beschworene Identität der Menschen im „grünen Herzen Deutschlands“ in einem anderen Licht erscheinen. Wenn’s um Geld geht, hört der Spaß am Thüringer-Sein schnell auf. Bloß nicht die Schulden des Nachbarn mitbezahlen. Allerdings sollten die abwanderungswilligen Landräte vielleicht mal ihre Wunschnachbarn im Westen fragen, ob die wirklich Bock auf ihre Ost-Nachbarkreise haben. Bayern will immerhin die „Asylanträge“ aus Südthüringen wohlwollend prüfen. Aber warum wandern die Landräte eigentlich nicht allein aus? Man muss doch nicht gleich einen ganzen Landkreis mitnehmen, nur weil man um seinen Posten fürchtet.