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Der Pfarrer und die Todsünden von Wittenberg

 

Wer baut, schafft etwas für die Ewigkeit. – Das könnte aus einem Gute-Ratschläge-Buch für Papas und Opas stammen. Aber ein wenig eingeschränkt kann man das auch schon ganz generell so stehen lassen: Von Häusern hat man ein Leben lang ‚was – man kann immer über sie meckern.

Kürzlich hat diese alte Regel auch Luther erwischt, genauer gesagt seine Nachlassverwalter in Wittenberg: Sie wurden für ihre Bau- und Baugestaltungskünste gescholten.

Die Kritik kam nicht von Spaziergängern aus der Umgebung oder gar Touristen von weiter weg, nein, sie kam aus der Stadt selbst, aus dem eigenen Haus sozusagen: Der an der Universität der Stadt ausgebildete und dort lebende evangelische Theologe Friedrich Schorlemmer hat in der „Mitteldeutschen Zeitung“ zu einer Art Rundumschlag „gegen vier Todsünden der Wittenberger Reformationserinnerungs-Architektur“ ausgeholt. Er verfasste dazu eine Predigt, mit der er sich auf den Glauben der Leser verließ und aber auch das ganz unbiblische Ziel der Anleitung zum Ungehorsam verfolgte:

„Als sei ich ein Kummerkasten der Ohnmächtigen, erreichen mich in den letzten Wochen Briefe von Wittenbergern und Gästen unserer Stadt, wenigstens ich solle doch protestieren gegen neuerlich Architektonisch-Modernistisch-Unsinniges, das im Zusammenhang mit der Vorbereitung auf das Jubiläum 2017 angerichtet würde.“

Da hat der alte Pfarrer natürlich ganz tief in seine Predigten-Trickkiste gegriffen. Denn nicht er, nein, nicht er, sondern seine Schäfchen fordern von ihm, sich zu erheben und zu kämpfen, damit nicht noch mehr Bau-Unheil in Wittenberg geschehe.

Was die Gemeinde so erzürnt, die sich in der Schorlemmer-Sicht einig ist, listet der Pfarrer genau auf. Dabei verlässt er argumentativ den Weg der lutherischen Reformation und spricht gleich zu Beginn von Todsünde – Gnade also ausgeschlossen: Gleich „vier“ Todsünden hat er dabei ausgemacht, natürlich in Anlehnung an die biblischen vier Enden, was also so viel heißt wie: Norden, Osten, Süden, Westen – überall in Wittenberg nur neuer Mist.

Schorlemmer fängt dabei an mit gefällten Kastanien auf dem Schlossplatz, fährt fort mit einer „an Hässlichkeit kaum zu übertreffenden, geradezu brutal wirkenden, durchgängig postmodern genannten Überdachung“, beklagt den Verlust des „paradiesisch Ungepflegten“, wettert über die „bunkerartige Betonmonumentalitäts-Architektur“ und landet bei der „Hässlichkeit“ des „neuen Melanchthonhauses“. Dabei räubert er durchaus geschickt im Wortschatz Luthers, dessen Stadt ja nun einmal Wittenberg ist, wenn er sagt: „Das [Melanchthonhaus] passt dorthin wie die sprichwörtliche Faust aufs Auge.“

Damit die Leute vor seiner Kanzel ihm auch ordentlich zujubeln, spricht Schorlemmer seine Gemeinde direkt an, konstruiert eine wir-hier-und-da-die-anderen-Front, beschwört die Verantwortung der Generationen und wettert:

„Bürger! Schüttelt nicht nur den Kopf! Wendet Euch nicht resigniert ab, sondern zeigt, dass dies unsere Stadt ist und dass wir nicht jeden noch so modernistisch begründeten, ästhetisch schmerzlichen Unsinn dulden. Wir sind es unseren Vorfahren und unseren Nachfahren schuldig!“

„Was soll das?“ fragt in einer von der selben Zeitung abgefragten Reaktion der Direktor der Stiftung Luthergedenkstätten, Stefan Rhein: Ein Aufruf zum Dialog wäre besser gewesen als jener zum Hammer. Was hat Schorlemmer bisher getan, außer eben nun seine Wut-Zeilen dem Lokalblatt zu verkaufen, fragt der Vorsitzende des lokalen Bauausschusses, CDU-Stadtrat Joachim Richter. Schorlemmer berichtet nicht etwa, dass er sich im Bauausschuss erkundigt hätte, dass er Einwände gegen Vorlagen formuliert hätte oder ähnliches. Da Schorlemmer in seiner Suada vergessen hat zu erwähnen, welche lokalpolitischen Bürgerbeteiligungsinstrumente er wahrgenommen hat, fragt Richter zu Recht: „Hat er Alzheimer?“

Und hat er? – Sicher findet Schorlemmer eine biblische Antwort.