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Deutschland bleibt anders

 

Ein Jahr ist Bundespräsident Joachim Gauck jetzt im Amt, ein Ostdeutscher. Mehr als sieben Jahre regiert nun schon Bundeskanzlerin Angela Merkel, eine Ostdeutsche. Ungefähr genau so lange ist der Präsident des Bundestags kein Ostdeutscher mehr, war es davor aber eben diese anscheinend magischen sieben Jahre. Immerhin ist Wolfgang Thierse seit 2005, also die folgenden sieben Jahre, wenigstens Vizepräsident des Deutschen Bundestags. Auch seine Kolleginnen, Petra Pau und Katrin Göring-Eckardt, sind Ostdeutsche. Was hat es zu bedeuten, dass die höchsten Staatsämter im Land mehrheitlich von Ostdeutschen besetzt sind? Ist alles in Butter, schon zusammengewachsen, was getrennt war?

Nun ja, allein die vergangenen zwei Wochen haben kleine und größere Nachrichten hervorgebracht, die daran zweifeln lassen, dass man nicht mehr viel spürt von der Trennung, die eher darauf hindeuten, dass es weiter unten im Land so weiter geht wie bisher. Hier eine unvollständige Auswahl:

1. Die Ost-Renten

Ja, sie steigen jetzt stärker als die im Westen, die Lücke wird kleiner, aber sie verschwindet nicht. Es wird auch immer mal wieder berichtet, dass insgesamt die Ostdeutschen sogar mehr Rente bekommen. Ja, das stimmt, vor allem aber weil ostdeutsche Frauen mehr gearbeitet haben. Pro Nase sind die Renten niedriger, denn der Renten-Punktwert, der Renten-Wert geleisteter Arbeit, ist es auch.

2. Die Vermögen

Was bei der Rente und der Debatte um Altersarmut in West und/oder Ost aber vor allem nicht aus dem Blick verloren werden darf: Ostdeutsche haben im Alter kaum mehr als die Rente, denn mit ihren Vermögen ist es – verglichen mit dem Westen und von der Bundesbank jetzt bestätigt – nicht weit her. Und daraus folgt natürlich, dass die Witwe im Osten und ihre Kinder auch weit weniger erben.

3. Die Einkommen

An dieser Vermögensverteilung dürfte sich allzu schnell nichts ändern, denn auch bei den Einkommen hinkt der Osten weiter hinterher. Dass es in Ostdeutschland seltener Weihnachtsgeld gibt, ist dabei noch halb so wild.

4. Die Arbeitszeiten

Weitaus ungerechter mutet in diesem Zusammenhang an, dass ostdeutsche Arbeitnehmer in der Regel zwischen 80 und 100 Stunden im Jahr mehr arbeiten, wie jetzt aus Sachsen und Sachsen-Anhalt gemeldet wurde. Das sind zwei bis drei Wochen im Jahr! Tut mir leid, dass ich die Produktivitätskennziffern gerade nicht zu Hand habe, die meist als Erklärung und Rechtfertigung für diese Unterschiede herhalten müssen. Es geht mir aber auch eher um die Menschen; und ostdeutsche Bauarbeiter bekommen auch dann Ost-Lohn, wenn sie im Westen bauen.

Ach so, im Osten sollen die Mieten niedriger sein. Das aber stimmt längst nicht mehr für alle Städte, und für viele andere Kosten gilt dieser Einwand schon gleich gar nicht mehr. Und Hand auf’s Herz: Welcher Arbeitgeber orientiert sich bei der Bezahlung am Mietspiegel?!

5. Spenden, Religiosität, Mentalität

Die niedrigeren Einkommen werfen aber nicht nur ein anderes Licht auf die Debatte um Renten, Gehälter und die Verteilung der Vermögen. Sie haben auch Folgen in anderen Bereichen und lassen sich gut etwa an der Spendenbereitschaft der Deutschen ablesen. Diese bleibt nach jüngsten Zahlen des Spendenrats in Deutschland zwar hoch, im Osten aber niedriger. Laut Spendenmonitor machten 37 Prozent der Westdeutschen 2011 auch Spenden in ihrer Steuererklärung geltend. Im Osten waren es nur 27 Prozent. An einer divergenten Entwicklung des Steuerberatungswesens liegt das sicherlich nicht.

Der Sozialwissenschaftler Ulrich Lakemann nennt vor allem die im Osten niedrigeren Einkommen als Grund, weshalb es für ihn auch keine Anzeichen dafür gibt, dass sich diese Schere demnächst schließt. In seiner Studie führt er allerdings auch die geringere religiöse Verwurzelung an. Auch könne die DDR-Sozialisation fortwirken, nach der es im Osten eine stärkere Erwartung an den Staat gebe, für soziale Belange aufzukommen. Damit hat Lakemann so ganz nebenbei übrigens noch zwei weitere andauernde Unterschiede aufgezählt.

Und es gibt noch mehr. Aber genug jetzt, da wird einem ja schwummerig. Diese Dinge sind schließlich nicht einfach herbeigeredet. Und machen wir uns nichts vor: Es besteht wenig Interesse daran, all das schnell zu ändern. Besitzstände wahren sich nun mal sehr viel leichter, als sie aufgebaut werden. Auch daran haben zwei Jahrzehnte und die von meist westdeutschen Besitzstandspolitikern dominierte Führungselite unterhalb der höchsten Posten nichts geändert. So etwas dauert: Bayern hat fast drei Jahrzehnte lang und auch die grundgesetzliche Hilfe anderer Bundesländer gebraucht, um vom Nehmerland zum Geberland zu werden.

Und sicher wird es auch immer Unterschiede in Deutschland geben – in der Mundart, auf dem Teller, bei Renten, Löhnen und anderen Dingen. Eines aber, das wurde jetzt auch gemeldet, hat sich geändert, angeblich:

6. Das ostdeutsche Wir-Gefühl

Die Ostdeutschen als Schicksalsgemeinschaft gibt es nicht mehr – sagte der Hamburger Soziologe Heinz Bude der „Märkischen Oderzeitung“. Bude hatte die Auswirkungen des industriellen Zusammenbruchs im brandenburgischen Wittenberge untersucht und daraus Rückschlüsse auf alle neuen Bundesländer gezogen. Im Ergebnis spricht er von einer „fragmentierten Gesellschaft“. Es gebe eine Gruppe im Osten, der es recht gut gehe. Noch besser gehe es „Alt-Eliten, die schon immer wussten, wie man das Beste aus einer Lage macht“. Und es gebe viele Menschen, die zu den „Ausrangierten des Systemwechsels“ gehörten. Alle diese Gruppen wollten jedoch nichts miteinander zu tun haben, sie pflegten „wechselseitige Abstandsnahme“. Das Fazit des Soziologen Heinz Bude: „Den Osten als eigene gesellschaftliche Welt gibt es nicht mehr.“

Na bitte, wenigstens das hat geklappt!