von Tilman Steffen
Papier ist bekanntermaßen geduldig. Drucken darf heute jeder, solange die Botschaft verfassungskonform ist, sogar Lügen ist erlaubt. Vor der schrillfarbigen Flut von Werbeprospekten schützen wir uns durch Aufkleber am Briefkasten.
Diktatoren fürchten die auf Papier verbreitete Botschaft, könnte sie doch die Massen mobilisieren. Auch in der letzten deutschen Diktatur bedurfte daher jede Druckproduktion einer Genehmigung. Für seinen Mut, diese Schranke trickreich zu umgehen, hat der damalige sächsische Landesjugendpfarrer Harald Bretschneider jetzt von Joachim Gauck den Bundesverdienstorden erhalten.
Auf Bretschneider geht der Textilaufnäher „Schwerter zu Pflugscharen“ zurück, den sich in den achziger Jahren Tausende Ostdeutsche auf die Jackenärmel hefteten. Umrandet von dem alttestamentarischen Bibelzitat, zeigte er eine Statue, die die damalige UdSSR den Vereinten Nationen zum Geschenk gemacht hatte – noch heute steht sie in New York. Der Krieger, der sein Schwert mit einem Hammer zum Pflug umschmiedet, sollte Mut machen. Denn beidseits des Eisernen Vorhangs rüsteten sich damals Nato und Ostblock für den Atomkrieg.
In einer Druckwerkstatt im ostsächsischen Herrnhut ließ Bretschneider das Symbol als Lesezeichen auf Vliesstoff drucken. Das galt als „Textilveredlung“ und war genehmigungsfrei. Die erste Auflage – mehr als Hunderttausend Stück – war schnell in den Kirchen verteilt. Doch als Lesezeichen nutzte den Stoffstreifen kaum einer, kreisrund ausgeschnitten leuchtete das Symbol fortan auf Umhängetaschen und anderen gut sichtbaren Stellen.
Die DDR-Funktionäre interessierte weniger, dass das Bruderland aus Moskau die Statue entworfen und verschenkt hatte. Die FDJ-Leiterin meiner Schulklasse fragte mich misstrauisch, ob ich das nicht besser wieder von meiner Kutte abtrennen wollte? Radikalere Regimestützen rissen den Trägern die Aufnäher einfach herunter.
Doch die Botschaft des Textil-Stickers war so simpel, so unanfechtbar, dass man in Betrieben, Schulen und sogar Polizeiwachen darüber sprach. Bald war der Staatsführung in Ostberlin klar, dass die Bürger nicht mehr alles kritiklos hinnahmen. Wenig später gingen Hunderttausende mit Kerzen auf die Straßen, die Mauer fiel.
Bretschneiders Symbol verbreitet bis heute seine Botschaft. Es begleitet Demonstrationen gegen den Golfkrieg oder den Einsatz im Irak. Der heute 70-jährige Bretschneider hat es 2011 bis in ein eine Schule im palästinensischen Beit Jala getragen – damit auch in diesem Land die Mauer fällt.