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Revolution im Ticker

 

von Johannes Staemmler

Johannes Staemmler

In Zeiten des Aufruhrs wird Geschichte spürbar – durch das Internet sogar für Menschen weltweit. Die Demonstrationen in Tunesien, Ägypten und anderswo machen deutlich, dass sich weder Ursachen noch Abläufe von Regimestürzen substanziell verändert haben, sondern Mittel und Geschwindigkeit der Ereignisse.

Das Internet, Notebooks und Smartphones sind revolutionäre Medien in den Händen der Unzufriedenen. Sie sind erschwinglich und bieten zahlreiche Möglichkeiten (Flickr, Facebook, Blogs, Youtube et al.), grenzüberschreitend miteinander zu kommunizieren ohne sich persönlich zu kennen. Zwar brauchte es einen jungen Mann, der sich in Tunesien aus dem unerträglichen Gefühl der Ungerechtigkeit heraus selbst entflammt, um der Frustration ein Bild und eine Geschichte zu geben. Aber es braucht das Internet, um diese binnen Stunden und Tagen durch den gesamten Mittelmeerraum zu tragen und Demonstrationen ungekannter Größe auszulösen.

Spiegel online analysiert skeptisch die Rolle des Internets in den aktuellen Entwicklungen im Nahen Osten. Sie verweisen auf den Internet-Vordenker Evgeny Morozov aus Stanford, der, nach fehlgeschlagenen Revolutionsprognosen für den Iran, Twitter & Co nicht mehr als Label für Umsturzversuche verwenden mag. Das Internet ist eben keine Ursache sondern allein ein Mittel – ein Medium – der Veränderung. Albert O. Hirschman hat 1982 in „Shifting Involvement“ nach den Erklärungen für politische Aktivitäten gesucht und im Kern herausgearbeitet, dass es Frust ist, der Menschen antreibt, sich von ihren privaten Alltäglichkeiten dem Politischen zuzuwenden. Aber diese politische Aktivität bringt Kosten für den einzelnen mit sich; er muss Zeit, Nerven und Ideen einbringen und im Fall von Revolutionen ein nicht unerhebliches Maß an Unsicherheit aushalten.

Was macht das Internet besonders? Der New Yorker Professor Clay Shirky macht in dem Buch „Here Comes Everybody“ deutlich, dass das Internet in der Lage ist, das Verhalten von großen Menschenmassen zu beeinflussen, in dem es eine neue Form der Interaktion ermöglicht. Liebe und Alltag lassen sich hier genauso teilen wie politische Frustration. Aufgrund seiner dezentralen Struktur ergibt sich eine Netzwerkdynamik, die, wenn Themen von vielen geteilt und als relevant befunden immer und immer wieder kommuniziert werden, über soziale und nationale Grenzen hinaus strahlt.

Im Gegensatz zum Fernsehen kommunizieren die Internetnutzer aktiv und nehmen dadurch Teil. Sie treffen Entscheidungen, die weiter reichen als die Wahl des Fernsehprogramms. Dann ist es nur noch einer kleiner Schritt zur Mobilisierung, deren organisatorische Kosten im wirtschaftlichen Sinne mit dem Internet marginalisiert werden. Massenbewegung braucht mit dem Internet einen viel geringeren Grad an Organisation und Führung und kann deswegen in einem Bruchteil der Zeit entstehen, die frühere Bewegungen benötigten. Aber eben auch wieder vergehen.

Das Internet wird kaum helfen können, den politischen Prozess der Demokratiewerdung zu beeinflussen. Übergangsregierungen und Verfassungen müssen nach wie vor von Eliten ausgehandelt werden, zu denen auch jetzt wieder das Militär gehören wird. Aber das Signal der kollektiven Frustration ist von den Bevölkerungen in mehreren Ländern fast gleichzeitig ausgestrahlt worden. Die vielen Internetnutzer haben es noch mehr als die Nachrichtensender weitergetragen, die das Monopol der Berichterstattung eingebüßt haben. Erst mit einer Verzögerung von mehreren Tagen reagieren die Medienanstalten mit adäquaten und umfassenden Berichten und die Regierungen mit leisen Stellungnahmen. Aber auch der verzweifelte Versuch des ägyptischen Regimes, Journalisten gewaltsam mundtot zu machen, wird die Ereignisse nicht aufhalten. Jeder Bürger hat das Potential zum Berichterstatter.

Historiker müssen bewerten, ob sich dieser Tage eine Revolution in den einzelnen Ländern vollzieht. Wir beobachten aber erstens politischen Protest, der innerhalb der bestehenden politischen Ordnungen nicht eingehegt werden kann. Die Regime reagieren zweitens entweder mit sofortigem Rückzug oder mit Gewalt, wozu auch das Abschalten der Internetverbindungen zählt. Und drittens formieren sich Oppositionsbewegungen, die um Ideen für eine post-autokratische Zeit ringen und diese formulieren. Die Parallelen zu den Freiheitsbewegungen in Osteuropa 1989 sind jedenfalls sehr deutlich.

Die neuen Medien sind die Geburtshelfer für Protest und Revolution am Beginn des 21. Jahrhunderts. Der Erfolg von Regimewechseln wird nicht von ihnen abhängen, aber sie sind schon jetzt ein Teil der Angst amtierender Autokraten vor dem Verlust der Macht geworden.

Quellen:

Hirschman, Albert O. (1982) Shifting Involvement. Private Interest and Public Action. Princton University Press

Shirky, Clay (2009) Here Comes Everbody. Penguin Books.

Der Autor:

Johannes Staemmler, MPP, promoviert im Rahmen eines Fellowships der Hertie School of Governance und IFOK zum Thema „Zivilgesellschaft in strukturschwachen Regionen“. Er studierte Internationale Beziehungen an der Technischen Universität Dresden und Public Policy an der Hertie School of Governance. Seine Schwerpunkte sind bürgerschaftliches Engagement, politische Theorie, Regionalentwicklung sowie politische Kommunikation.