„Nun bin ich hier, auf dem Boden des Dschihad“: Eine deutsche Konvertitin bloggt über ihren Alltag an der Seite islamistischer Kämpfer in Syrien. Von Yassin Musharbash
Wo hört authentische Selbstdarstellung auf – und wo beginnt Propaganda? Im Falle von Extremisten lässt sich diese Frage so gut wie nie eindeutig beantworten. Wer sein Leben einer Ideologie unterstellt, tendiert dazu, sich selbst nicht mehr als Individuum zu sehen, sondern als Beispiel. Was einem widerfährt, wird zum Symbol. Was man sagt, wird zum Signal.
Trotzdem bleibt ein Kern: Da wird zum Beispiel etwas beschrieben, ein Alltag, ein Gedanke, eine Begebenheit, und wenn dieses Beschriebene nicht komplett erlogen ist, offenbart solch ein Text unter Umständen Wahrheiten, die jenseits der Propaganda liegen. Dann kann es auch für Außenstehende erhellend sein, das Mitgeteilte zu betrachten.
So verhält es sich, jedenfalls meiner Ansicht nach, auch mit einem noch relativ jungen Blog einer Frau aus Deutschland, die sich, als überzeugte und militante Islamistin, gemeinsam mit ihrem Mann und den Kindern nach Syrien begeben hat. In ihrer Selbstvorstellung schreibt sie: „Ich bin die Frau eines Mujahids, Mutter von Mini-Muhajirin und Nachbarin von Ansar, Muhajirin und Mujahidin. Eine Geschichte wie aus einem Bilderbuch. Nein! Noch besser: So war die Geschichte von unserem geliebten Propheten (saws) seiner Familie (rah) und den Sahaba (ra).“
Mit „Mujahid“ meint sie: jemand, der in einem Dschihad kämpft; „Muhajirin“ bezeichnet im islamischen Kontext religiöse Auswanderer; „Ansar“ sind Helfer; Kürzel wie „saws“ und „ra(h)“ stehen für Segensformeln.
Fünf Blog-Einträge gibt es bisher, alle sind im September entstanden. Sie kreisen um Pfannkuchenrezepte ebenso wie um nächtlichen Kanonendonner, um 9/11 und um die Hauskatze „Nonoh“.
Natürlich ist ein guter Teil Propaganda. Etwa wenn die Bloggerin am Jahrestag der Anschläge vom 11. September 2001 schreibt: „Wenn es vom Islam her erlaubt wäre, hätten wir diesen sonnigen 11. September zum Feiertag erklärt. Ein Feiertag mit Geschenken und Keksen, fast wie Weihnachten. Nur das wir keinen Menschen, den man zum Gott erklärt hat, feiert, sondern einen ehrenhaften Scheikh Usama bin Laden. Er war wirklich ein Held und aufrichtiger Mann mit noblem Charakter. Möge Allah (swt) mit ihm barmherzig sein. Amin. So, und nun fliegen uns die Pfannkuchen in den Mund. Ein Kracher sind sie geworden. Alhamdulillah. InschaAllah werden wir in Zukunft weitere einfallsreiche Köpfe haben, die Flugzeuge starten lassen.“
Interessanter aber sind jene Passagen, in denen erkennbar wird, was die junge Frau an ihrer Ideologie, die sie freilich für die reine Form ihrer Religion hält, eigentlich so anziehend findet: „Im Land der Kuffar (Ungläubigen, YM) unterliegst du deren Gesetzesbüchern und machst, was dein Chef dir in der Arbeit sagt, wenn du nicht grad irgendwelche Hartz-IV-Formulare ausfüllst und mit den Ämtern kämpfen musst. Hier aber herrschen unsere Gesetze, Allahs (swt) Scharia. Man arbeitet nicht für Hans-Peter in der Fabrik oder im Büro zwischen 7-16 Uhr, um dann noch seine Gebete in den kleinen Pausen in Hektik (manchmal an dreckigen und ungeeigneten Plätzen) zu verrichten. Hier arbeitest du 24 Stunden konzentriert für Allah (swt). Allahs Religion ist hier keine Nebensache, sondern Mittelpunkt deines Alltags.“
Die „Dunya“, das Diesseits, ist für sie „zugemüllt“ und wertlos: „Unglaublich trügerisch ist sie. Sie lässt dich vergessen, wie nah dir der Tod ist. Eine andere Sache wird dich hier dennoch an den Tod erinnern. Die Bomben, die weit und nah einschlagen … plötzlich erkannt man seine Fehler und man fragt sich, ob man bereit ist für die Akhira (das Leben nach dem Tod, YM). Habe ich das Wohlgefallen Allahs (swt)? Wenn ich jetzt sterbe und für alle Ewigkeiten in der Akhira bin, werde ich es gut haben? Bin ich von den Geretteten?“
Hier mischen sich Faktoren, die nach Ansicht von Radikalisierungsforschern fast immer zusammenkommen: Scheinbar einfache und endgültige Antworten auf die komplexen Herausforderungen des Lebens; ein radikaler Bruch mit dem alten Leben; ein Sinn-Vakuum, das plötzlich gefüllt wird.
Aus dem Blog geht leider nicht hervor, unter welchen Umständen die Autorin und ihr Ehemann sich kennengelernt haben – oder wer die treibende Kraft bei der Radikalisierung war. Aber ganz deutlich wird, dass die junge Bloggerin vollständig zufrieden mit der ihr zugewiesenen Rolle als Ehefrau eines dschihadistischen Kämpfers ist: „‚Mach dich bereit, wir gehen mit den Geschwistern an einen schönen Ort und essen dort Falafel und Kebab‘, sagte mein Ehemann. Schnell alles zusammengepackt fuhren wir zu einem Fluss. Wir Frauen konnten unten sitzen und die Männer oben. So waren wir von den Männern abgeschirmt. Das Essen war sehr lecker. Salat gab es dazu. Frisches kaltes Quellwasser ebenfalls. Plötzlich hörten wir Schüsse. Unsere Männer visierten auf der andere Flussseite einen orangefarbenen Gegenstand an und versuchten diesen mit ihren Sturmgewehren zu treffen. Das war eine Prise Spass zum leckeren Essen und ein wunderschönes Gefühl zu sehen, wie der eigene Mann schiesst, mit seinem Gewehr. Einfach ein richtiger Mann. Ja SubhanAllah, ein Mujahid ist er, ein Soldat Allahs und nicht ein Blauhelm oder deutscher Soldat.“
Sie berichtet von ihrem schlechten Gewissen, weil sie, als das Haus wegen eines Waldbrandes evakuiert werden muss, die „Notfalltasche“ („frische Kleider für mich und die Kinder, Babyflasche, Babynahrung, Feuerzeug, Kerzen / Taschenlampe, Medikamente“) nicht fertig gepackt hat.
Aber am Ende, natürlich, wird alles gut: „Was wohl gerade meine Geschwister in Deutschland machen? Haben sie von dem Feuer mitbekommen? Es ist spät in der Nacht. Ich höre wieder das Einschlagen der Bomben, worauf die Hunde mit einem Bellen antworten. Die Grillen im Hintergrund dürfen nicht fehlen. Wie jede Nacht eben.“ Dschihad-Romantik; der Krieg in Rosarot.
Nach aktuellen Schätzungen der Sicherheitsbehörden halten sich rund 170 Kämpfer aus Deutschland in Syrien auf. Wie viele Frauen unter ihnen sind, ist unbekannt; aber die Bloggerin ist gewiss kein Einzelfall.
Was die Behörden in den wenigsten Fällen wissen, ist, welchen Gruppen sich die deutschen Konvertiten anschließen. Ganz klar ist es auch im Falle der Bloggerin nicht. Aber ihr Blog läuft über die Webpräsenz einer Institution namens „Sham Center“, einer Art dschihadistischem Medienportal, an dem mehrere deutsche Islamisten beteiligt sind. Es gehört augenscheinlich zum Umfeld des Ex-Gangsta-Rappers Denis Cuspert alias „Deso Dogg“, der sich mittlerweile Abu Talha al-Almani nennt, und vom Sham Center wie folgt porträtiert wird: „Wir haben die letzten Monate unseren Bruder Abu Talha Al-Almani auf seiner Reise begleitet und sind auch noch fleißig dabei Videomaterial für eine Dokumentation zu sammeln. Momentan ist der Bruder verletzt, weshalb wir kein Datum für das Veröffentlichen der Dokumentation mitteilen können.“ Das teilten die Aktivisten am 20. September mit.
Ob dieser Zirkel an Kampfhandlungen teilnimmt, ist nicht eindeutig. Es scheint jedoch Beziehungen zu Kämpfern der militanten Salafistengruppe Jund al-Sham zu geben. Vielleicht ist die Tatsache, dass die Blog-Autorin seit fast drei Wochen nichts mehr veröffentlicht hat, ein Hinweis darauf, dass sich die Lage verschärft hat.
Fünf Blog-Posts reichen weder für ein Persönlichkeitsprofil noch für allgemeingültige Schlüsse. Aber es schimmert etwas durch. Für einige, die derzeit nach Syrien ziehen, geht es nicht allein ums Kämpfen und schon gar nicht in erster Linie um das Assad-Regime. Das Schlachtfeld Syrien ist für sie offensichtlich auch attraktiv als Kulisse zum Ausleben zuvor verinnerlichter Ideen. Als Zufluchtsort vor den Anfechtungen (und vielleicht auch Zweifeln) zu Hause. Als Bewährungsprobe, dass man wirklich bereit ist, die gelernten Ideale zu leben. Als eine Art virtuelle Zeitmaschine, die es scheinbar möglich macht, sich in die verherrlichte Vergangenheit des 7. Jahrhunderts zu imaginieren und die Vorbilder zu imitieren, die einem ständig vorgehalten werden.
Dass der mögliche Preis der Tod ist, sogar der Tod der eigenen Kinder, wird dabei in Kauf genommen.
Es ist schwer, das nachzuvollziehen; aber es scheint mir wichtig, es nicht zu ignorieren. Es werden noch mehr Islamisten und Islamistinnen aus Deutschland nach Syrien ziehen – und viele werden zurückkehren. Dann wird es darauf ankommen, sie richtig einzuschätzen.
PS: Eine Anmerkung zum Schluss. Es ist naturgemäß nicht einfach, zu prüfen ob die Autorin sich wirklich in Syrien aufhält. Ich kann genau genommen nicht einmal verifizieren, dass das ganze Blog kein Fake ist. Ich glaube aber, dass es authentisch ist, weil mir der Inhalt, der Tonfall und der Veröffentlichungsort plausibel erscheinen. Andere Experten, die ich befragt habe, sehen ebenfalls keinen Grund für Zweifel. Sollte sich an dieser Einschätzung etwas ändern, werde ich das an dieser Stelle nachtragen.