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Die aktuelle Lage im Irak (5)

 

Vorbemerkung: Dieser Post bildet den Stand von Donnerstag, 19. Juni, 12 Uhr ab.

Schlacht um Baidschi und andere Scharmützel

Der Ort, an dem aktuell wohl die wichtigste Auseinandersetzung stattfindet, scheint die Stadt Baidschi mit der dazugehörigen Ölraffinerie zu sein. Diese Raffinerie ist zentral für den gesamten nördlichen Irak. Die Lage in Baidschi ist allerdings widersprüchlich. Sympathisanten des „Islamischen Staates in Irak und Großsyrien“ (Isis) behaupten, dass die schwarze Flagge der Dschihadisten über der Raffinerie wehe. Regierungsbeamte lassen hingegen verlauten, das Gelände sei von ihnen gesichert. Andererseits gibt es in Sozialen Netzwerken Fotos, die angeblich brennende Teile der Einrichtung zeigen – allerdings ist unklar, von wann genau diese Aufnahmen stammen. Medienberichten zufolge haben Anwohner Schusswechsel gemeldet. Nimmt man alles zusammen, kann man mit hinreichender Gewissheit sagen, dass es Gefechte um Baidschi gibt oder zumindest gestern noch gab. Darüber hinausgehende Aussagen sind schwierig.

In anderen Teilen des Irak scheint es immer wieder zu Gefechten oder Scharmützeln zwischen Regierungssoldaten auf der einen und Isis-Kämpfern auf der anderen Seite zu kommen; darunter sind viele Mittelstädte oder kleinere Orte. Für die angekündigten Großoffensiven gegen Bagdad, Nadschaf und Kerbala sehe ich derzeit keine Anzeichen.

Hingegen verdichten sich die Anzeichen, dass Isis punktuell Bündnisse mit Gruppen des irakischen Widerstandes eingegangen ist – dabei handelt es sich vor allem um sunnitisch dominierte Gruppen, die zum Teil von alten Kadern des Saddam-Regimes geführt werden, so etwa die Brigaden der 1920er-Revolution, eine Gruppe, die vor Jahren eine einigermaßen prominente Rolle im Kampf gegen die US-Besatzung spielte und von Hass auf die schiitisch dominierte Regierung in Bagdad getrieben ist. Diese Bündnisse sind rein taktischer Natur, inhaltlich und ideologisch passt zu Isis keine dieser Gruppen. Aber Isis verfügt nicht über genügend Kämpfer, um die überrannten Gebiete zu sichern und gleichzeitig weiter vorzustoßen. Das dürfte der Grund für die Allianzen sein.

Aus Mossul dringen – vor allem über Twitter – Gerüchte, denen zu Folge die harsche, islamistisch geprägte „Stadtverordnung“, die Isis vergangene Woche erlassen hat, wieder aufgehoben wurde, angeblich auf Druck der nicht-dschihadistischen Bündnispartner. Das wäre interessant, weil ein echter Kompromiss von Isis, der anzeigen würde, wie angewiesen sie darauf sind, Allianzen zu bilden. Leider kann ich aber nicht bestätigen, dass die Gerüchte stimmen. Isis selbst hat sich nicht dazu geäußert. Das wiederum könnte damit zusammenhängen, dass nach wie vor etliche offizielle Isis-Twitter-Accounts suspendiert sind und kein Ersatz etabliert wurde.

Indische Geiseln bei Isis

Unterdessen hat Isis mehrere Dutzend Gastarbeiter als Geiseln genommen, darunter 40 Inder und mehrere Pakistaner. Schon letzte Woche setzte Isis etliche türkische Arbeiter fest. Bis jetzt hat sich die Gruppe noch nicht dazu geäußert, ob und in welcher Weise sie die Freilassung an Forderungen knüpfen wird.

USA weiten Luftaufklärung aus

Die USA lassen laut CNN bereits seit Tagen Aufklärungsdrohnen über den Irak fliegen, um sich ein Bild von Isis-Stellungen zu machen. Nun wird das Land auch von bemannten Aufklärungsflugzeugen überwacht. US-Präsident Obama hat sich dem Bericht zufolge noch nicht festgelegt, ob und falls ja wie sein Land im Irak militärisch eingreifen könnte. Eine Invasion steht außer Frage, aber Luftschläge, ob von Kampfjets ausgeführt oder mit Hilfe von Flugzeugträgern im Golf, sind denkbar. Die Regierung des Irak hat mittlerweile offiziell um solche Luftschläge gegen Isis gebeten.

Und sonst?

Isis in der syrischen Stadt Raqqa beschwert sich, dass die türkische Regierung ihnen angeblich das Wasser abdreht, in dem sie einen Staudamm entsprechend manipuliert habe.

In sozialen Netzwerken rufen Isis-Sympathisanten dazu auf, sich als Anhänger des Netzwerks zu outen und entsprechende Stellungnahmen über YouTube zu veröffentlichen, das Motto lautet „eine Milliarde Muslime für Isis“. Erste Videos sind schon eingegangen, von Ägyptern, Jordaniern, Indonesiern. Es ist natürlich eine klare PR-Aktion.

In ungenannten Orten in der irakischen Provinz Niniweh haben nach Isis-Angaben mehrere Pro-Isis-Demonstrationen stattgefunden. Entsprechende Bilder veröffentlichte Isis in der Nacht zum Donnerstag. Tatsächlich zeigen sie größere Mengen von Zivilisten, die Isis zu preisen scheinen. Leider gibt es keine konkreten Ortsangaben, noch lässt sich verifizieren, dass die Aufnahmen tatsächlich aktuell sind. Ich finde das interessant, denn mein Eindruck ist, dass Isis immer verschwommener wird, wenn es um Orte und Zeiten geht – offensichtlich eine Maßnahme, die sicherstellen soll, dass die Gegner nicht allzu genau wissen, wo sich die Kämpfer gerade aufhalten.