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Eheanbahnung für einen Terroristen

 


Am vergangenen Sonntag war es wieder einmal so weit: Al-Kaidas Filiale auf der Arabischen Halbinsel (AQAP) verkündete den Tod eines führenden Mitglieds. Diesmal war es Ibrahim al-Rubaish, einer der wichtigsten religiösen Führer der Gruppe. Laut AQAP starb er durch einen „Kreuzfahrer-Luftschlag“, das ist Kaida-Sprech für US-Drohnenangriff. Dass er auf diese Weise ums Leben kam, ist zwar noch nicht bestätigt – aber keineswegs unwahrscheinlich.

Es wäre nicht das erste Mal, dass die USA aus der Luft einen AQAP-Anführer ausschalten.

Vor über drei Jahren, im September 2011, tötete die CIA auf diese Weise Anwar al-Awlaki, einen jemenitisch-amerikanischen Prediger und hochrangiges AQAP-Mitglied. Al-Awlaki war wirklich eine große Nummer des internationalen Dschihadismus. Er inspirierte, nach deren eigenen Aussagen, eine ganze Reihe späterer Terroristen. Unter anderem den Fort-Hood-Attentäter Nidal Hassan, der 2009 12 Menschen auf einer US-Militärbasis in Texas erschoss. Oder den Nigerianer Umar Farouk Abdulmutallab, der im selben Jahr im Auftrag von AQAP versuchte, einen Passagierjet im Anflug auf Detroit zum Absturz zu bringen.

Morten StormIn der vergangenen Woche habe ich einen jungen Dänen interviewt, der Anwar al-Awlaki nicht nur gut kannte und lange mit ihm befreundet war. Sondern der, nachdem er sich vom Dschihadisten zum Geheimagenten gewandelt hatte, der CIA geholfen hat, auf die Spur Al-Awlakis zu kommen. Dieser Mann heißt Morten Storm, und seine Lebensgeschichte könnte nicht nur ein Buch füllen, sondern tut genau das auch, es ist in diesen Tagen auf Deutsch erschienen. Storm, und das ist eine wirklich sehr knappe Zusammenfassung, war Kleinkrimineller und Bandidos-Mitglied, bevor er zunächst zum Islam konvertierte und dann zum Dschihadisten wurde, was nach einer schweren Glaubenskrise aber dazu führte, dass er anschließend über fünf Jahre lang für den dänischen Geheimdienst PET, den britischen Auslandsnachrichtendienst MI6 und eben die CIA Dschihadisten als Undercoveragent ausforschte. Das führte zu zahlreichen Festnahmen in England, Dänemark und Kenia – aber auch zu einer gezielten Tötung in Somalia, und, im Jemen, zum Tode Anwar al-Awlakis.

Das Interview finden Sie in der aktuellen Ausgabe der ZEIT. An dieser Stelle aber nutze ich die Gelegenheit, auf eine Episode des Gesprächs etwas tiefer einzugehen. Denn Morten Storm selbst machte der CIA seinerzeit einen brisanten Vorschlag, wie man an Al-Awlaki herankommen könnte, um ihn später „auszuschalten“: Storm wusste nämlich, dass Al-Awlaki sich eine Drittfrau aus Europa wünschte. Ich muss hier kurz einschieben, dass Storm Al-Awlaki schon Jahre zuvor im Jemen kennengelernt hatte, als der Prediger zwar schon radikal, aber noch kein Terrorist war. Als Undercoveragent trat Storm ihm gegenüber weiterhin als überzeugter Dschihadist auf. Er versprach Al-Awlaki also, ihm eine Frau zu besorgen. Das war deshalb besonders einfach, weil sich eine junge Dschihadistin aus Kroatien just dafür bei Storm über das Internet beworben hatte. Ihr islamischer Name ist Amina.

Storm nun besuchte sie in Wien. Er ging mit ihr einen bestimmten Koffer kaufen, den die CIA dann durch ein identisches Modell mit Peilsender austauschte. Außerdem ließ er seine Ehefrau die Heiratswillige filmen – damit Anwar al-Awlaki sich ein Bild von ihr machen könne. Interessanterweise wünschte sich der Oberdschihadist Al-Awlaki zwei Aufnahmen seiner Zukünftigen: einmal mit, einmal ohne Schleier.

Er selbst ließ Amina dann eine Videobotschaft von Anwar al-Awlaki zukommen, damit sie auch sicher sein konnte: Ja, wenn sie jetzt in den Jemen reist, wird sie wirklich seine Frau.

Morten Storm und seine Co-Autoren haben mir erlaubt, diese Videos hier zu dokumentieren. Ganz interessant, so eine dschihadistische Eheanbahnung. Der Plan ging dann allerdings nicht ganz auf: Amina musste ihren Koffer in der jemenitischen Hauptstadt Sanaa zurücklassen, der Peilsender kam also nicht bei Al-Awlaki an. Die Drohne traf später trotzdem ihr Ziel – Morten Storm ist überzeugt, dass das der CIA nur gelang, weil sie sein Netzwerk von Boten, über das er Kontakt zu Al-Awlaki hielt, dafür nutze. „Ich war in England, als ich davon hörte“, sagte Storm mir. „Es war merkwürdig. Ich fragte die Dänen: ‚War das (das Resultat, YM) unsere(r) Arbeit?‘ Sie sagten: ‚Das wissen wir nicht, die Amerikaner sagen es uns nicht!‘ Aber dann las ich einen Zeitungsartikel auf der Grundlage eines Geheimdienst-Lecks, und das überzeugte mich davon, dass es in der Tat meine Arbeit war, die zu seinem Tod geführt hatte.“

Die USA gaben das nie zu. Aber am Ende des Videos gibt es einen Mitschnitt, den Morten Storm damals heimlich anfertigte. Darauf ist ein CIA-Mann zu hören, der über den Anschlag auf Al-Awlaki spricht. Ganz eindeutig ist er nicht. Interessant in jedem Fall.

9783868835359_4c_HiresSo wie überhaupt einiges an dem Buch ziemlich interessant ist, etwa was die Arbeitsweise der Geheimdienste angeht. Storms Resümee sieht so aus: „Die Amerikaner sind sehr oberflächlich…, sie bezahlen und versuchen Loyalität zu kaufen. Die Briten wollen vor allem verstehen, sie sind analytischer. Und die Dänen wollten immer nur ihren Spaß.“ (In dem Buch wird ausgiebig beschrieben, dass dabei auch Callgirls eine Rolle spielten.)

Warum wechselte Storm eigentlich die Seiten? Und kann man so jemandem glauben? Die Glaubenskrise, die ihn 2007 erschütterte, sagt Storm, sei sehr heftig gewesen. So heftig, dass er sich heute frage, wie „Menschen mit Doktortiteln überhaupt“ an den Islam glauben könnten. Zugleich habe er gemerkt, wie gefährlich er im Laufe der Jahre geworden sei. Deshalb habe er helfen wollen, andere zu stoppen. Etwas anderes spielte auch mit hinein: Er fühlte sich verraten, gehirngewaschen gewissermaßen. Dafür wollte er einen Ausgleich. Außerdem zahlten die Dienste gut. Storm fasst das so zusammen: „Ich wollte meine Familie (finanziell, YM) unterstützen; und ich wollte kein Versager sein. Und wenn es Resultate gab, war das ein gutes Gefühl. So wie zum Beispiel, als es Festnahmen in Kenia (wegen seiner Zuarbeit, YM) gab. Diese Leute wollten Zivilisten töten, also ist es eine gute Sache, sie unschädlich zu machen.“

Natürlich ist es unmöglich, alle Behauptungen Storms zu überprüfen. Aber die Co-Autoren, die beiden CNN-Journalisten Tim Lister und Paul Cruickshank, haben alles geprüft, was geprüft werden konnte. Im Anhang des Buches sind zahlreiche E-Mails und SMS abgedruckt, die Storm gesammelt hat. Ich selbst habe mit Experten in Skandinavien gesprochen, die ebenfalls versichern: Sie haben an Storms Geschichte keine grundsätzlichen Zweifel.