Nicht alle Extremisten in Deutschland sind islamistisch motiviert, schließlich brennt fast im Wochentakt irgendwo eine geplante Flüchtlingsunterkunft, das sind auch Extremisten.
Aber es lässt sich nicht bestreiten, dass die Gruppe der islamistischen Extremisten seit einigen Jahren am schnellsten wächst. Immerhin rund 700 Islamisten aus Deutschland haben sich derart radikalisiert, dass sie ins Kriegsgebiet in Syrien oder dem Irak ausgereist sind; nicht in jedem Fall, um dort zu kämpfen oder zu Terroristen zu werden, aber mindestens mit einer Ideologie im Kopf, die ihre Wiedereingliederung nach der Rückkehr problematisch macht.
Angesichts dieses Phänomens gibt es mittlerweile in Deutschland eine Reihe von Programmen, die sich mit Extremismus-Prävention befassen – also zum Beispiel versuchen, bei frühen Anzeichen einer Radikalisierung den Angehörigen oder Lehrern Mittel und Argumente an die Hand zu geben, um mäßigend einzuwirken, solange diese Radikalisierung noch gestoppt werden kann. Oder die sich mit De-Radikalisierung beschäftigen – also damit, jemanden, der sich bereits voll radikalisiert hat, wieder herunterzuholen. Das kann etwa ein junger Mann sein, der schon fast auf dem Weg nach Syrien war.
Es ist ein schwieriges Geschäft, und ich habe großen Respekt vor einigen der Menschen, die in diesem Bereich arbeiten. Sie müssen etwas vom Islam und vom Dschihadismus verstehen, oft auch interkulturelle Kompetenz einbringen, sie müssen psychologische Kenntnisse mitbringen – und ganz oft sehr geduldig mit traumatisierten und verstörten Angehörigen umgehen können.
In Geld schwimmen diese Initiativen nicht gerade, auch wenn es öffentliches Geld gibt. Vor allem aber gibt es viel zu wenige Beratungsstellen – in manchen Bundesländern gar keine.
Das ist die Ausgangslage, vor der nun der Stadtstaat Bremen einen ambitionierten Vorschlag an die kommende Innenministerkonferenz Ende Juni in Mainz gemacht hat. Die Bremer wollen dafür sorgen, dass Programme zur De-Radikalisierung von Extremisten auf Bundesebene koordiniert werden. In einer Beschlussvorlage für die Innenministerkonferenz der Länder (IMK), die ich einsehen konnte, schlägt Bremen deshalb vor, „eine Nationale Präventionsstrategie gegen gewaltbereiten Extremismus (…) mit wissenschaftlicher Begleitung“ zu entwickeln. Innerhalb dieses Rahmens sollen die jeweiligen Akteure dann „unter Berücksichtigung regionaler Besonderheiten“ tätig werden. Auch nach dem Rücktritt von Jens Böhrnsen, so ist zu hören, will Bremen daran festhalten.
Ich bin sehr gespannt, ob die IMK sich den Vorstoß zu eigen macht. Deutschland ist traditionell auch im Sicherheitsbereich föderal organisiert. Die Länder (und die Landesinnenminister, die anderenfalls ein kleines bisschen weniger wichtig wären) legen darauf großen Wert. Die Unterschiede in den Programmen, die bereits bestehen, sind allerdings nicht unerheblich. Mal beschränkt sich die Rolle des Landes oder der Kommunen im Wesentlichen auf die Finanzierung. In anderen Fällen gibt es eine organisierte Verknüpfung mit dem Verfassungsschutz und der Polizei.
Ich bin kein Verfechter von Einheitlichkeit aus Prinzip. Ich denke aber, dass ein gewisses gemeinsames Gerüst hilft, voneinander zu lernen. Best Practice, heißt das, glaube ich. Vor allem finde ich jedoch, dass De-Radikalisierung und Prävention mehr Aufmerksamkeit und mehr Ressourcen verdienen, und das geht besser, wenn die Bundesebene ins Spiel kommt. Das Mindeste ist, dass es eine deutschlandweit flächendeckende Versorgung mit Beratungsstellen gibt.
Der Terrorforscher Peter Neumann vom Londoner King’s College hat in einem Interview mit ZEIT ONLINE im Februar übrigens eine ähnliche Idee vorgeschlagen. Das können Sie hier noch einmal nachlesen.
PS: Sorry, ich kann es mir einfach nicht verkneifen. Aber in einem Thriller, den ich 2011 geschrieben habe, gibt es einen Bundestagsabgeordneten, dem der neu geschaffene Posten eines Bundesbeauftragten für De-Radikalisierung angeboten wird; ich würde mich ja freuen, wenn es den Posten irgendwann einmal wirklich gibt.