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Fünf Vorschläge für eine vernünftige Islamdebatte

Alle paar Monate bricht in Deutschland eine „Islamdebatte“ los. Stets verläuft sie unerquicklich. Wie könnte es besser gehen?

Von Yassin Musharbash 

Manchmal habe ich einen Traum. Ich träume davon, dass es gelingt, eine „Islamdebatte“ zu führen, in der nicht jeder gleich für einen Terroristenversteher gehalten wird, der nicht an die unaufhaltsame Islamisierung Deutschlands glaubt. In der aber auch nicht jeder, der sich wegen steigender Zuwandererzahlen aus muslimischen Ländern sorgt, sofort ausgelacht wird.

In der selbst ernannte Experten ausnahmsweise mal darauf verzichten, jede von einem 17-jährigen Marokkaner begangene Straftat mit einem Koran-Zitat zu kommentieren. Und in der bestimmte Politiker sich an der Lösung realer Probleme versuchen, anstatt diffuse Stimmungen zu bedienen. In der Fakten eine größere Rolle spielen als gefühlte Wahrheiten. Und in der nicht ständig Integration, Islam und Terror durcheinandergeworfen werden, bis man das eine Thema nicht mehr vom anderen unterscheiden kann – oder erinnern Sie sich an auch nur eine TV-Talkshow zu einem dieser drei Themen, in der es nicht sofort auch um die beiden anderen ging?

Jaja, sicher: Alles hat immer mit allem zu tun, und nichts kommt von gar nichts.

Aber teilen Sie nicht auch manchmal meinen Eindruck, dass wir seit 20 Jahren dieselbe Debatte führen? Und dabei kaum vorankommen?

Halten Sie mich meinetwegen für naiv, aber ich will den Glauben nicht aufgeben, dass es auch besser gehen könnte. Konstruktiver und ohne Hysterie. Ich habe eine gewisse Erfahrung mit der Islamdebatte. Hier sind ein paar Vorschläge, wie sie vielleicht fruchtbarer werden könnte.

 

1. Sagen Sie, was Sie meinen 

„Der Islam gehört nicht zu Deutschland“ – mit diesem Satz hat der neue Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) vergangene Woche der Debatte einen Neustart verschafft. Seitdem wird wieder gestritten.

Aber worüber eigentlich?

Horst Seehofer und die CSU-Führung erläuterten die umstrittene Aussage mit zwei Ergänzungen: Natürlich gehörten die hier lebenden Muslime zu Deutschland. Und es stehe außer Frage, dass Deutschland nicht durch den Islam, sondern durch das Christentum geprägt sei.

Interessant – denn kein vernünftiger Mensch würde diese beiden Sätze für falsch erklären. Doch Seehofer & Co haben nicht einfach nur diese beiden Sätze gesagt. Sie haben mit der Formulierung „Der Islam gehört nicht zu Deutschland“ eine Botschaft ausgesandt, die hier lebende Muslime fast zwangsweise als ausgrenzend empfinden müssen. Man kann den Satz deshalb als Beleg dafür betrachten, dass ihr Ziel gerade keine vernünftige Islamdebatte war.

Dabei wäre es so simpel: Sagen Sie einfach, was Sie meinen!

Also zum Beispiel:

„Deutschland ist ein christlich geprägtes und kein muslimisch geprägtes Land. Aber hier leben 4,5 Millionen Muslime, die auch zu Deutschland gehören.“

Das ist inhaltlich voll identisch mit allem, was die CSU nach eigenem Bekunden mit dem Satz sagen wollte. Nur ist es viel weniger spektakulär.

Sollte die CSU hingegen in Wahrheit etwas anderes gemeint haben, hat sie es bisher jedenfalls nicht gesagt. Dann wäre es dankenswert, wenn sie es nachtrüge. Die Regel „Sagen Sie, was Sie meinen“ gilt nämlich auch für extremere Positionen. Alles ist besser als rumzuschwurbeln oder zu raunen.

„Der Islam ist mit dem Grundgesetz nicht vereinbar“, ist zum Beispiel eine legitime Meinung, auch wenn ich persönlich sie für falsch halte. Sobald sie ausgesprochen ist, kann man Fakten herbeiziehen und über sie diskutieren.

Die Behauptung „Der Islam gehört nicht zu Deutschland“ eignet sich dafür nicht. Man merkt das daran, dass viele Diskussionsteilnehmer, auch Journalisten, die den Satz verteidigen, meistens zuerst sagen: Was wir eigentlich meinen, ist, dass eine bestimmte Art von Islam nicht zu Deutschland gehört. Und dann wird aufgezählt: Islamismus, Antisemitismus, Terror, Burka, etc.

Es wäre so viel sinnvoller, einfach die Probleme aufzuzählen und Lösungsvorschläge zu machen oder zu fordern. Alles reale Probleme, die eine ernsthafte Debatte verdienten! Und keine Scheindebatte, die man in einem unpassenden und viel zu großen Rahmen aufzuspannen versucht.

 

2. Können wir uns die Tabu-Rhetorik sparen, bitte? 

Es wäre unsinnig, die Probleme zu leugnen, die mit dem Islamverständnis einiger hier lebender Muslime zu tun haben, siehe oben. Aber es ist ebenso unsinnig, dabei jedes Mal so zu tun, als bestünden unüberwindbare Tabus, die irgendjemanden daran hinderten, diese Probleme anzusprechen.

Insbesondere selbst ernannte Islamkritiker beharren beständig darauf, dass man sie diskreditiere, nicht zu Wort kommen lasse, totschweige und ignoriere … Woher ich das weiß? Weil ich ihre Beschwerden und Anklagen in der Zeitung nachlesen, im Fernsehen anschauen, im Radio hören, im Bundestag zu Kenntnis nehmen und als Buch kaufen kann.

Mir fällt keine denkbare islamkritische Position ein, die nicht schon seit Jahren dauerhaft auf dem Markt der Meinungen vertreten wäre, rassistische Positionen eingeschlossen.

Wirklich: Es gibt keine Tabus! Glauben Sie niemandem, der sagt: „Aber das darf man ja nicht sagen!“ – was derjenige meistens meint, das ist: dass er gerne mehr Zustimmung ernten würde. Dass er gerne sähe, wie Politik, veröffentlichte Meinung, die Gesellschaft sich in seine Richtung bewegen. Darauf hat er aber keinen Anspruch. (Es passiert trotzdem gerade, weswegen ich noch weniger verstehe, warum die Islamkritiker darauf beharren, Tabubrecher zu sein; aber vielleicht übersehe ich da auch ein Kalkül.)

Als ich vor 20 Jahren mein Studium aufnahm, da ging es in den Politikseminaren, die mich besonderes interessierten, schon um genau die Probleme, die angeblich bis heute nicht angesprochen werden dürfen: Dass viele Muslime ihre religiösen Werte über die hier geltenden Regeln stellen; dass muslimische Privatrichter den Rechtsstaat unterlaufen; dass wir Zuwanderung nicht bewusst steuern; dass mitten in Deutschland Frauen und Mädchen aufgrund muslimischer Wertvorstellungen diskriminiert werden; dass in Moscheen auf deutschem Boden antideutsche und antisemitische Hasspredigten gehalten werden; dass „der Islam“ ein Aufklärungsdefizit habe; dass ausländische Staaten radikale Moscheegemeinden finanzieren; dass wir einen „Euro-Islam“ brauchen, etc.

Das Problem ist also in Wahrheit, dass die Probleme nicht gelöst worden sind.

Das wäre ein sinnvoller Ausgangspunkt für eine vernünftige Islamdebatte: Reden wir über konkrete Maßnahmen für konkrete Probleme.

 

3. Der Koran ist keine Bedienungsanleitung

Gar nicht so selten ereignet sich auf Podiumsdiskussionen oder ähnlichen Veranstaltungen ein Schauspiel, das ich „Suren-Vier-Gewinnt“ nenne: Jemand meldet sich zu Wort und zitiert eine Passage aus dem Koran, die beweisen soll, dass jemand, der an dieses Buch glaubt, unmöglich ein rechtstreuer Bürger in einem demokratischen Gemeinwesen sein kann. Es sind immer dieselben Stellen, die vorgelesen werden: Tötet die Nicht-Muslime, Frauen dürfen geschlagen werden, Ungläubige sollen belogen werden, usw.

Dann entgegnet jemand mit anderen Koran-Passagen: Es gibt keinen Zwang im Glauben, die Buch-Religionen Christentum und Judentum werden vom Islam akzeptiert, wenn jemand einen Menschen tötet, ist es, als töte er die gesamte Menschheit, Frieden, Barmherzigkeit, etc.

Es gewinnt nie jemand.

Das liegt daran, dass der Koran eine schwer zu lesende Schrift ist, in Teilen ein Regelwerk, in anderen eher Poesie, über weite Strecken auf den ersten und oft sogar zweiten Blick gar nicht klar verständlich, man könnte auch sagen: widersprüchlich. Aus all diesen Gründen ist der Koran keine Bedienungsanleitung für Muslime.

Natürlich ist der Koran für Muslime wichtig. Aber die wenigsten haben ihn studiert oder auch nur vollständig gelesen. Genau wie die meisten Christen in Deutschland die Bibel nicht in Gänze gelesen haben dürften.

Wer wissen will, was Muslime glauben, muss deshalb mit ihnen reden. Den Koran zu lesen, hilft da nur bedingt. Zumal man jedem heiligen Text Gewalt antut, wenn man im Vorbeigehen aus ihm zitiert. Ebenso wie das Judentum und das Christentum hat der Islam eine reiche theologische Tradition. Ohne Kenntnis darüber, was Theologen zur Auslegung und Bedeutung einzelner Passagen sagen, gelangt man nicht an den Wesenskern einer Religion. Und deshalb sind Koran-Zitate auch nicht als Munition in der Islamdebatte geeignet. Sie sind nicht vorhaltbar, man kann nicht einfach zu einem Muslim sagen: Hier, schau mal, da steht doch, was du glaubst, schwarz auf weiß! Der Glaube ist kompliziert, nicht nur der muslimische. Es besteht immer ein Spannungsfeld zwischen heiligem Text und gelebtem Glauben. (Vielleicht sollte man noch ergänzen, dass die einzige muslimische Gruppe, die einfach bloß gewaltverherrlichende Passagen aus dem Koran zitiert, ohne den Großteil der islamischen Theologie zu beachten, die Dschihadisten sind.)

Darf man als Nicht-Muslim also nur über Muslime reden, aber nicht über ihre Religion? Keine Sorge, man darf. Aber vorzugsweise mit einem Minimum an Respekt, das sich zum Beispiel darin zeigt, dass man sich vorher mit der Materie beschäftigt. Wer glaubt, die Scharia sei ein Buch mit Regeln und Strafen darin, weil es halt immer irgendwie danach klingt, sollte sich lieber noch einmal informieren. Wer nicht weiß, was Salafisten sind, sollte sich bei dem Thema zurückhalten.

Ebenso wenig zielführend ist es, wenn Nicht-Muslime sich quasi selbst zu muslimischen Theologen ernennen und Reformideen für eine Weltreligion aus dem Ärmel schütteln. So wünschenswert es sein mag, dass sich in der muslimischen Theologie eine historisch-kritische Lesart des Korans durchsetzt: Das sind Entwicklungen, die von außen nicht sinnvoll beeinflusst werden können. Vernünftig ist es, dafür zu sorgen, dass Deutschland ein Land ist, in dem muslimische Reformer angstfrei forschen und lehren können. Vernünftig ist es zu sagen: Wer meint, aufgrund seiner Auslegung des Korans oder anderer wichtiger Texte gegen hier geltende und nicht zur Diskussion stehende Rechte (Religionsfreiheit, Gleichberechtigung, etc.) verstoßen zu können, der irrt und wird von uns daran gehindert werden. Jeder kann denken, was er will; aber nicht immer tun, was er möchte.

In der Islamdebatte gibt es eine weitere sich häufig wiederholende rhetorische Figur. Nach einem dschihadistisch motivierten Anschlag zum Beispiel. Dann sagt das eine Lager: Das hat mit dem Islam nichts zu tun, Islam ist Frieden! Und das andere Lager wartet nur darauf, um flugs ironisch zu erwidern: Ja klar, das hat mit dem Islam natürlich rein gar nichts zu tun! Komisch nur, dass die Täter laufend eure heilige Schrift zitieren!

Und wieder geht es nicht voran. Vergeudete Zeit! Dabei ist es eigentlich ganz einfach: Selbstverständlich hat der Dschihadismus etwas mit dem Islam zu tun. Die Täter sind keine Marsmenschen und auch keine Nihilisten. Sie sehen sich selbst, unbestreitbar, als Muslime. Zugleich sollte es jedoch nicht schwer fallen zu akzeptieren, dass fast alle Muslime auf der Welt den Dschihadismus als Perversion ihres Glaubens empfinden.

Nachdem man sich darauf geeinigt hat, bleibt genug Stoff für eine vernünftige Diskussion übrig. Zum Beispiel hierüber:

  • Wie lässt sich verhindern, dass Dschihadisten Nachwuchs rekrutieren?  (Hat die Anfälligkeit junger Menschen manchmal vielleicht gar nicht so viel mit Religion zu tun, sondern auch etwas mit ihren Lebensumständen oder ihrem subjektiven Gefühl, Opfer von Diskriminierung zu sein?)
  • Welche Rolle sollten Moscheegemeinden und Imame dabei spielen? (Sie stehen selbstverständlich in der Pflicht, weil islamistische Extremisten naheliegenderweise vor allem unter Muslimen zu rekrutieren versuchen.)

Wir sollten uns in der Islamdebatte nicht am Koran als heiligem Text abarbeiten. Wichtiger ist, was Muslime in diesem Land sagen und tun. Die meisten sagen und tun überhaupt nichts, was problematisch ist. Wer Hasspredigten hält, Andersgläubige bepöbelt, Menschen radikalisiert oder gar Terroranschläge plant, bei dem müssen die entsprechenden Gesetze angewandt werden. Punkt.

 

4. Trennen, was nicht zusammengehört

Nicht immer, wenn ein Muslim etwas macht, tut er es, weil er Muslim ist. Wir alle sind durch mehr als unsere Religionszugehörigkeit geprägt; es ist niemals sinnvoll, jemanden alleine darauf zu reduzieren.

Für die Islamdebatte bedeutet das: trennen, was nicht zusammengehört.

Ein Beispiel: In der Silvesternacht 2015/16 kam es in Köln zu zahlreichen, teils schweren sexuellen Übergriffen an Frauen. Viele der Täter und Tatverdächtigen waren „Nafris“, Polizeijargon für Nordafrikaner. Wir haben damals in einer Rekonstruktion jener Nacht im ZEIT-Magazin mit zahlreichen jungen Männern aus Nordafrika gesprochen, die dabei gewesen waren.

Wir wissen, dass die meisten betrunken oder berauscht waren. Dass viele von ihnen im Sommer 2015 nach Deutschland gekommen waren, als es hieß: Die lassen jeden rein! Es bleibt unerklärlich und unentschuldbar, dass viele von ihnen in jener Nacht Frauen angriffen. Aber in keinem Fall haben wir Grund zu der Annahme gefunden, das alles könnte irgendetwas mit der Tatsache zu tun haben, dass die Täter Muslime sind. Die meisten, mit denen wir sprachen, waren religionsfern aufgewachsen, Muslime eher nur nominell. Sie sind aber in Zuständen aufgewachsen, in denen Frauenrechte kein großes Thema waren. Das erklärt mehr als der Rückgriff auf „den Islam“. Trotzdem löste die Kölner Silvesternacht damals nicht nur eine Flüchtlings-, sondern auch eine Islamdebatte aus.

Ich habe dieses Beispiel nicht angeführt, um es aus jeder Diskussion herauzuhalten – im Gegenteil, all das muss auf den Tisch. Aber im richtigen Rahmen. Im Fall der Kölner Nafris geht es vorrangig um ein ausländerrechtliches Problem – Abschiebungen von nicht anerkannten Asylbewerbern nach Nordafrika – und nicht um „den Islam“.

Im Idealfall würde man die Debatten um die drei großen Is, um Islam, Integration und Innere Sicherheit, so weit es geht unabhängig voneinander führen. Schon weil weder alle Terroristen Muslime sind noch alle, die integriert werden müssen, Muslime sind. Im besten Fall würden durch eine solche Differenzierung sogar mehr Probleme ernsthafter angegangen: Antisemitismus, zum Beispiel, ist nicht nur ein Thema bei muslimischen Einwanderern (und oft ist der Antisemitismus den Menschen aus politischen Gründen anerzogen worden, nicht aus religiösen). Ebenso wenig ist die Geringerachtung von Frauen und Mädchen ein exklusives Problem von Menschen muslimischen Glaubens.

Ich glaube, dass eine solche Entzerrung zu einer Enthysterisierung beitragen könnte. Und konstruktiver ist.

 

5. Die Moschee in Saudi-Arabien lassen 

Die Religionsfreiheit ist ein hohes Gut, eines der höchsten. Dazu gehört, dass Muslime hier, genau wie alle anderen, ihren Glauben praktizieren können. Wie sie es tun, wo es womöglich Grenzen gibt, darüber wird unentwegt gestritten, manchmal auch vor Gericht – und dagegen ist gar nichts zu sagen. Kopftuch, Beschneidung, rituelle Schächtung: Keine dieser Fragen ist abschließend geklärt. Ein normaler Vorgang.

Wenig konstruktiv ist es allerdings, wenn folgendes Argument aufgeboten wird: Über Minarette in Deutschland können wir ja reden, wenn in Saudi-Arabien Kirchen gebaut werden dürfen!

Diese Vermischung ist Unfug. Anders gesagt: Es ist widerspruchsfrei möglich, für Religionsfreiheit in Saudi-Arabien und nicht gegen Minarette in Deutschland zu sein. Saudi-Arabien ist eine De-facto-Diktatur, die auf einer fundamentalistischen Islamauslegung basiert. Warum sollten wir uns mit einem solchen Staat auch nur vergleichen wollen? Abgesehen davon haben die hier lebenden Muslime überhaupt keinen Einfluss auf die saudische Politik.

 

Zum Schluss

Was mich selbst jetzt schon nervt an diesem Beitrag: Dass er bei allem Bemühen darum, eine Debatte konstruktiver zu gestalten, zugleich schon wieder so klingt, als gebe es keine größere Herausforderung in diesem Land. Deshalb eine Schlussbemerkung: eine bessere, klügere, faktenreichere Islamdebatte würde selbstverständlich auch die Verhältnismäßigkeit zu allen anderen Problemen in diesem Land berücksichtigen.

 

Die CSU braucht Islamnachhilfe. Dringend.

Wie man an einem einzigen Social-Media-Posting sehen kann, dass die CSU gar keine vernünftige Debatte über den Islam führen möchte

Von Yassin Musharbash

Zuerst dachte ich: Ist das vielleicht ein Satire-Account? Aber es ist wirklich die CSU, von der das Posting kommt. Zumindest jemand, den die CSU dafür bezahlt, die Partei in den sozialen Netzwerken zu präsentieren.

Das Posting, um das es geht, ist ignorant und ärgerlich. Auch wenn die CSU es vermutlich für witzig und pointiert hält.

Das Posting erschien auf der Facebook-Seite der Partei und in ihrem Twitter-Account und sieht folgendermaßen aus: 

 

Das Bild der Frau in der Burka wird also genutzt, um ein Umfrageergebnis zu illustrieren, demzufolge 76 Prozent der Deutschen finden, „der Islam“ gehöre nicht zu Deutschland. Es ist natürlich immer schwierig, etwas Abstraktes wie „den Islam“ in einem einzigen Bild darzustellen. Man könnte das Foto einer Moschee nutzen. Das eines aufgeschlagenen Korans. Eines Minaretts. Vielleicht nicht superoriginell, aber wenigstens unproblematisch.

Eine Frau mit einer Burka auszuwählen, ist dagegen grotesk. Es gibt circa 4,5 Millionen Musliminnen und Muslime in Deutschland. Sehr, sehr hoch gegriffen, tragen möglicherweise einige wenige Hundert Musliminnen eine Burka. Die CSU illustriert also „den Islam“ mit dem Abbild einer Frau, die allerhöchstens jeden zehntausendsten Muslim repräsentiert.

Die CSU braucht Islamnachhilfe, wenn sie das nicht weiß. Dringend. Könnten also bitte ein paar Islamwissenschaftler oder noch besser: Muslime, in die Partei eintreten und dort segensreich wirken?

Alle Bayern sind Reichsbürger

Nur mal zum Vergleich: In Bayern gab es 2016 laut Verfassungsschutzbericht etwa 1.700 Reichsbürger. Der Anteil der Reichsbürger unter den bayerischen Bürgern ist damit interessanterweise ziemlich exakt so hoch wie der Anteil der Burkaträgerinnen unter den deutschen Muslimen: 0,014 Prozent.

Wie die CSU es wohl fände, wenn man einen Beitrag über Bayern mit Reichsbürgern illustrierte statt mit Bildern von Frauenkirche, Brezen oder Oktoberfest? Wenn man die Bayern also auf eine extreme Minderheit unter ihnen reduzierte. Denn genau das macht das CSU-Posting ja mit den Muslimen und der Burka: Der Islam = Frau mit Burka. Also: Bayern = Reichsbürger. Alles klar?

Wir müssen allerdings davon ausgehen, dass die CSU ihre Montage nicht aus Ahnungslosigkeit so gestaltet hat, sondern aus Absicht. Hier wird offensichtlich ein Transfer angestrebt: Alle finden Burkas inakzeptabel. Burkas stehen aber irgendwie für „den Islam“, das sagt uns die Bildsprache. Also ist es nur logisch, wenn 76 Prozent der Deutschen (und offenbar 100 Prozent der CSU) finden, „der Islam“ gehöre nicht zu Deutschland. Weil sonst … wäre man ja für die Burka!

Das ist natürlich nicht logisch. Aber darum geht es der CSU ja auch nicht. Sondern darum, jeder Differenzierung aktiv entgegenzuwirken.

Schließlich ist das ganze Posting in erster Linie gedacht als nachgetragene Rechtfertigung der Äußerung von Horst Seehofer, dem neuen CSU-Bundesinnenminister, „der Islam“ gehöre nicht zu Deutschland. Eine Debatte, die eigentlich schon pensioniert war. Und dann das … Deshalb sagt uns jetzt die CSU: Seehofer kann ja nicht falsch liegen, wenn so viele Menschen seine Meinung teilen!

Das Ganze weitet sich zu einer Kampagne aus: Am Dienstag legte CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt nach und erklärte: „Der Islam gehört egal in welcher Form nicht zu Deutschland“.

Noch mal zum Nachlesen: „Egal in welcher Form“!

Was auf diese Weise vollständig unter den Tisch fällt: Jede vernünftige Kritik an Burkas und extremistischen Varianten des Islam. Alles ist jetzt nämlich eins. Denn so wie man ein Rührei nicht mehr in Eiweiß und Eigelb scheiden kann, macht die CSU es mit solcher Agitation schwieriger, zwischen ganz normalen, vollständig harmlosen Muslimen auf der einen und Besorgnis erregenden Salafisten, Extremisten und Dschihadisten auf der anderen Seite zu unterscheiden.

Kein gutes Omen, wenn ein Bundesinnenminister einer Partei entstammt, die geradezu lustvoll und in seinem Namen eine der wichtigsten Trennlinien der deutschen Sicherheitspolitik verwischt.

 

Wie Deradikalisierung in Deutschland funktioniert

Es ist die erste systematische Untersuchung über den Stand der Deradikalisierung in Deutschland: Anfang der Woche hat die Beratungsstelle Radikalisierung im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge eine Studie veröffentlicht, die das Beratungsangebot des BaMF und der angeschlossenen zivilgesellschaftlichen Partnerorganisationen evaluiert. Über die wichtigsten Ergebnisse habe ich mit Milena Uhlmann, der Verfasserin der Studie, und Florian Endres, dem Leiter der Beratungsstelle, gesprochen. Uhlmann ist Politikwissenschaftlerin und hat insgesamt 16 Monate an der Evaluation gearbeitet. Einen Überblick über die zivilgesellschaftlichen Partner, die mit dem BaMF zusammenarbeiten, und weitere Informationen über dieses Netzwerk gibt es hier.

 

 

YM: Wenn in Deutschland jemand das Gefühl hat, sein Kind, der Nachbarsohn oder die Schülerin radikalisiert sich unter islamistischen Vorzeichen, dann kann er seit einigen Jahren die Hotline der Beratungsstelle Radikalisierung beim BAMF anrufen. Jetzt haben Sie Ihre eigene Tätigkeit und die Ihrer zivilgesellschaftlichen Kooperationspartner erstmals evaluiert. Wie viele Anrufe gab es denn bisher bei der Hotline – und was ist das Prozedere, das darauf folgt?

ENDRES: Wir haben am letzten Freitag den 4000. Anruf seit Gründung der Beratungsstelle am 1. Januar 2012 entgegengenommen. Wir erfragen dann jeweils im Gespräch, ob eine Radikalisierungsgefahr besteht oder ein Radikalisierungsprozess erkennbar ist. Das findet standardisiert durch unsere geschulten Mitarbeiter an der Telefonhotline statt. Gibt es solche Anzeichen, geben wir zumeist je nach regionaler Zuständigkeit die Betreuung in die Hände eines unserer zivilgesellschaftlichen Partner.

YM: Die meisten Menschen haben keine Vorstellung von dieser Arbeit. Womit ist Ihr Werkzeugkoffer gefüllt, was können Sie tun?

UHLMANN: Wenn die Erstanalyse bei der Beratungsstelle die Gefahr der Radikalisierung bestätigt, nimmt der entsprechende Kooperationspartner persönlichen Kontakt zu den Beratungssuchenden auf und macht eine Lageanalyse: Was ist passiert? Wer ist beteiligt? Welche Ansatzpunkte gibt es, um ein Gegengewicht zum salafistischen Umfeld aufzubauen? Auf dieser Grundlage werden dann Ziele für den weiteren Beratungsprozess vereinbart und eine Strategie entwickelt.

YM: Kann man das konkreter beschreiben? Was bedeutet Deradikalisierung, und welche Methoden stehen zur Verfügung?

UHLMANN: Das ist fallbezogen, es muss immer ein individuelles Setting entwickelt werden. Wir müssen jeweils sehen, welche Strategie im konkreten Fall am erfolgsversprechenden ist.

YM: Aber was für Ziele können das denn sein: jemanden aus radikalen Kreisen lösen, eine ideologische Auseinandersetzung suchen, solche Dinge?

UHLMANN: Das alles können Ziele sein. Die Beratenden schauen immer auf die emotionale, auf die pragmatische und die ideologische Dimension. Innerhalb dieses Dreiecks sucht man Ansatzpunkte.

ENDRES: Zum Beispiel schilderten uns Eltern 2013/14 häufiger, dass Ihre Kinder planen, sich beispielsweise dem Islamischen Staat anzuschließen. Primäres Ziel hierbei war, mögliche Ausreisen nach Syrien oder in den Irak zu verhindern.

YM: In wie vielen Fällen sind denn die eigentlich Betroffenen gar nicht bereit, mitzuarbeiten?

UHLMANN: Der Ansatz des Netzwerks ist die Arbeit über das soziale Umfeld. Es kommt zwar durchaus vor, dass mit Radikalisierten direkt gearbeitet wird, etwa wenn sie sich an uns wenden oder sich das im Rahmen der Beratung ergibt. Aber die Beratenden ertüchtigen vor allem die Angehörigen im Umgang mit den Radikalisierten.

YM: Wir sieht die Zusammenarbeit mit den Sicherheitsbehörden aus? Wie sind die Regeln?

ENDRES: Die Kooperation hat sich sehr positiv und professionell entwickelt. In den Ländern setzen sich die Behörden intensiv mit dem Thema Deradikalisierung auseinander und unterstützen unsere Arbeit. Mittlerweile gelangen auch Fälle über Polizeibeamte zu uns, weil die Beamten den Familien raten, sich an uns zu wenden. Grundsätzlich ist es so, dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge und die zivilgesellschaftlichen Träger selbstverständlich die Sicherheitsbehörden einschalten müssen, sobald strafbare Handlungen im Raum stehen.

YM: Es gibt aber doch sicher Fälle, in denen betroffene Familien nicht wollen, dass die Sicherheitsbehörden eingeschaltet werden. Sind Sie da transparent?

ENDRES: Ja, wir weisen sofort darauf hin, sobald es relevant wird. Das ist in den fünf Jahren bisher noch nie ein Problem gewesen. Keine einzige Beratung wurde deswegen abgebrochen.

YM: Kann man den Erfolg des Netzwerks messen? Wie viele erfolgreich abgeschlossene Fälle gibt es?

UHLMANN: Um Erfolg messen zu können, braucht man eine Metrik. Diese gilt es perspektivisch zu erarbeiten. Das nächste Ziel ist deshalb zunächst, die Dokumentationsarbeit der Partner stärker zu vereinheitlichen. Und wir müssen uns darauf einigen, was für uns Deradikalisierungsindikatoren sind.

YM: Es gibt also ein funktionierendes Netzwerk, aber noch keine Möglichkeit, den Erfolg zu messen.

UHLMANN: Wir haben natürlich Evidenzen für den Erfolg der Arbeit der Beratungsstelle, die uns klar zeigen, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Aber noch können wir diesen nicht nach streng wissenschaftlichen Kriterien messen.

YM: Ihre zivilgesellschaftlichen Partner unterscheiden sich nicht nur nach regionalem Schwerpunkt, sondern haben auch verschiedene Vorgeschichten und Herangehensweisen. Wie einheitlich ist die Beratungsarbeit?

UHLMANN: Eines der Hauptergebnisse unserer Evaluation ist, dass die grundlegenden Standards relativ ähnlich sind. Es wird noch in diesem Jahr eine gemeinsame Handreichung geben, in der wir sie schriftlich definieren.

YM: Gibt es denn überhaupt abgeschlossene Fälle, wenn man so schwer sagen kann, was Erfolg ausmacht?

ENDRES: Es kommt manchmal vor, dass Familien jahrelang betreut werden. Am Anfang ist der Bedarf oft sehr hoch, dann flaut er erst mal ab. Aber dann tritt vielleicht ein Ereignis ein, ein Schicksalsschlag zum Beispiel, oder die Rückkehr des eigenen Kindes aus Syrien, und dann kann das wieder intensiver werden. In solchen Fällen zahlt es sich aus, wenn das Umfeld durch uns schon vorbereitet worden ist.

UHLMANN: Wir handeln nach der Maßgabe: Wer Beratung wünscht, bekommt sie auch.

YM: Wie verhält sich denn Ihre Arbeit und die Ihrer Partner zu den eigenen Ausstiegs- und Deradikalisierungsinitiativen einiger Sicherheitsbehörden in einigen Bundesländern? Diese sind ja nicht Teil Ihres Netzwerks…

ENDRES: Ich glaube, hier muss man gesamtheitlich denken. Sicherheitsbehörden in NRW und Niedersachen bieten eigene staatliche Programme an, mit diesen sind wir stetig in einem guten Austausch. Ist eine besondere fachliche Komponente gefordert, die die jeweils andere Stelle abdecken kann, werden einzelne Beratungsfälle auch weitergereicht.

UHLMANN: Eines der wichtigsten Ergebnisse der Evaluierung ist, dass Vertrauen zwischen Beratern und Betroffenen auf der einen und zwischen den Netzwerkakteuren auf der anderen Seite extrem hilfreich ist. Da sind wir vorangekommen.

YM: Mitarbeiter Ihrer zivilgesellschaftlichen Partner klagen über hohe Arbeitsbelastung und geringe Löhne, zugleich gibt es keine einheitliche Qualifikation für „Deradikalisierer“.

UHLMANN: Sicherlich ist die Anzahl der Beratungsfälle gestiegen, dafür wurde jedoch auch das Beratungsnetzwerk stetig ausgebaut und Personal bei den zivilgesellschaftlichen Partnern aufgestockt.  Wir stellen gemeinsam mit den beteiligten Akteuren auch gerade zusammen, welche Schulungen und Qualifizierungen wir als sinnvoll erachten. Insgesamt ist das Themenfeld einfach noch relativ jung und vieles in der Entwicklung.

YM: In den Beratungsstellen arbeiten typischerweise Psychologen, Sozialarbeiter und Islamwissenschaftler, aber noch niemand mit einem Abschluss in Deradikalisierung. Wäre so etwas sinnvoll?

ENDRES: Es ist durchaus ein Ziel, solche Zertifizierungen in Kooperation mit Hochschulen zu erreichen. Interne Schulungen gibt es natürlich schon, und im BAMF bieten wir auch Fortbildungen an. Jetzt arbeiten wir an einem einheitlichen Schulungskonzept, von dem das ganze Beratungsnetzwerk profitieren kann.

YM: Konnten Sie den Stand der Deradikalisierung in Deutschland mit dem Stand im Ausland abgleichen?

UHLMANN: Deutschland hat ein Alleinstellungsmerkmal, nämlich die Kombination von behördlicher Anlaufstelle und zivilgesellschaftlichen Organisationen. Dass das BAMF einen direkten Draht zu den Sicherheitsbehörden hat, ist zudem hilfreich. Das habe ich so in dieser Form im Ausland nicht finden können. Die hohen und stetig ansteigenden Beratungsanfragen werten wir auch als Beweis von Vertrauen in unser Angebot.

YM: Rückkehrer aus Syrien und dem Irak werden in Zukunft ein großes Thema sein. Ist das nicht eine Herausforderung völlig neuer Dimension auch für Sie?

ENDRES: Damit beschäftigen wir uns seit Monaten, und das Netzwerk hat schon seit 2015 mit Rückkehrern zu tun, weil zum Beispiel die Eltern ausgereister Jugendlicher schon beraten wurden. Noch ist die Zahl der betreuten Rückkehrer gering, aber das Thema wird wichtiger, insbesondere das Thema rückkehrende Frauen mit Kindern. Das kommt auf Jugendämter und Sicherheitsbehörden genauso zu. Wir sind ein wichtiger Partner für Beratung und Vernetzung, aber das wird eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Ob man die Rückkehrer deradikalisieren kann, das ist dann natürlich wieder einzelfallabhängig – nämlich davon, ob die das überhaupt wünschen oder sich verweigern.

YM: Sie haben Sie Studie im Auftrag des Innenministeriums durchgeführt, das auch das meiste Geld für das Netzwerk zur Verfügung stellt. Wie unabhängig ist Ihre Studie?

UHLMANN: Hier hat nicht die Beratungsstelle sich selbst evaluiert, sondern das Forschungszentrum des Bundesamts eine andere Abteilung. Das hat es auch in der Vergangenheit schon gegeben. Die Evaluation wurde nach wissenschaftlichen Kriterien vorgenommen. Sie bietet erstmals einen wissenschaftlich aufbereiteten Einblick in die Strukturen des bundesdeutschen Deradikalisierungsnetzwerks und die Beratungsprozesse. Diese erste Grundlagenforschung durch das Forschungszentrum hat sich auch vor dem Hintergrund der Sensibilität der Thematik angeboten. Als Forscherin des Bundesamts, das mit allen Beteiligten in direktem Austausch steht, konnte ich leichter Zugang zum gesamten Beratungsnetzwerk erhalten. Eine weiterführende Evaluation planen wir nach Schaffung der notwendigen Grundlagen perspektivisch an einen externen universitären Partner zu geben.

 

 

 

„Ich bitte Sie, meine Worte zu veröffentlichen“

Mittlerweile gibt es erste Reaktionen auf den Fall Abu Adam und wie ich mich ihm hier nähere. Auch kritische. Außerdem: Post von einem Professor. Teil 5 unseres Ermittlungsblogs.

Von Yassin Musharbash

In bisher vier Blogposts habe ich versucht, etwas mehr Licht in die Vorwürfe zu bringen, aufgrund derer der Leipziger Imam Hesham Shashaa, besser bekannt als Abu Adam, seit Ende April in Spanien in U-Haft sitzt.

Heute möchte ich die Gelegenheit nutzen, auf erste Reaktionen und weitere Medienberichterstattung einzugehen.

 

Hesham Shashaa alias Abu Adam

Ich fange an mit Sigrid Herrmann-Marschall, einer Bloggerin, die sich selbst als Sekten- und Islamismusexpertin bezeichnet und die auf jeden meiner bisher erschienen Blogs-Posts ausführlich reagiert hat.

Ihre Repliken enthalten einige Anmerkungen, die ich nachvollziehbar finde. Und sie enthalten einige Vorwürfe, auf die ich gerne kurz eingehen würde.

Frau Herrmann-Marschall findet, dass ich die Vorgeschichte von Abu Adam nicht sorgfältig genug recherchiert habe. Sie verweist zum Beispiel auf eine Zeitungsnotiz, in der Abu Adam sich einst als Journalist bezeichnet habe, nicht als Religionsgelehrten. Diese Meldung kannte ich tatsächlich nicht. Danke für den Hinweis.

Sie stört sich daran, dass ich nicht ermittelt habe, dass Abu Adam sich mit dem saudischen Prediger Abdallah al-Muslih nachweisbar getroffen habe und verlinkt entsprechendes Videomaterial. Auch hier: Danke für den Hinweis. Allerdings möchte ich eine kleine Information nachreichen. Wie in Teil 4 beschrieben, bin ich mir noch nicht abschließend sicher, dass der „Abdallah al-Muslih“, der in den spanischen Akten auftaucht, wirklich derselbe Mann ist. Es ist wahrscheinlich. Aber arabische Namen sind oft nicht ganz eindeutig. Deshalb war ich an dieser Stelle zurückhaltend.

Frau Herrmann-Marschall fragt weiter, ob Abu Adam tatsächlich politisch verfolgt worden sei, was, so verstehe ich das, eigentlich auf diese Frage hinausläuft: unter welchen Umständen hat er seine Aufenthaltsgenehmigung in Deutschland erhalten? Sie steht mit dieser Frage nicht allein, auch einige Leser haben sie gestellt. Ich habe sie bisher nicht recherchiert, weil ich finde, dass sie mit den aktuellen Terrorvorwürfen nichts zu tun hat.

Sie fragt darüber hinaus, wie genau denn die angeblichen Studien Abu Adams ausgesehen haben, beziehungsweise was für Zertifikate er besitzt. Ich habe auch das aktuell nicht nachrecherchiert. Wenn ich mich richtig erinnere, habe ich, als ich Abu Adam vor einigen Jahren in Spanien besuchte, einige akademische Zertifikate zu sehen bekommen. Dass Abu Adam großes Fachwissen in islamischer Theologie hat, merkt indes jeder, der sich mit ihm darüber unterhält.

Dieses Blog ist ein Experiment

Frau Herrmann-Marschall würde zudem gerne wissen, wann und wo genau Abu Adam bei Schulungen und Vorträgen, etc. aufgetreten sei. Das ist eine legitime Frage. Eine Liste habe ich leider nicht. Wenn ich die Zeit finde, werde ich das gerne als Auftrag begreifen, dem hinterherzusteigen. Aber auch hier: mit den Terrorvorwürfen gegen Abu Adam hat das wenig zu tun, deshalb ist es für mich aktuell keine Priorität.

Sie stellt außerdem die Frage, ob es sein könne, dass die Vorsitzende des Vereins „Darul Quran“, der Abu Adam als Extremismus-Experten eingestellt hat, seine Ehefrau ist. Kurze Antwort: Ja, ist sie. Ich hatte auch vor, das an der Stelle zu erwähnen, wo es meiner Meinung nach sinnvoll ist: in dem Blogpost, den ich zu Abu Adams Finanzen noch schreiben werde.

Ich bemühe mich in diesem Ermittlungsblog um größtmögliche Transparenz, und ich hoffe, es ist den Leserinnen und Lesern auch schon klargeworden, dass es sich um eine unerprobte journalistische Form handelt, in der ich hier berichte. Wenn Sie wollen: Ein Experiment. „Work in Progress“, habe ich es in Teil 1 genannt. Ich möchte hier noch einmal betonen, dass ich es überhaupt nicht schlimm finde, wenn ich auf Lücken in der Recherche hingewiesen oder konstruktiv kritisiert werde.

Sigrid Herrmann-Marschall hat aber auch Kritik vorgebracht, die ich zurückweisen möchte.

„Warum ‚ermittelt‘ er nur die positiven Dinge“, fragt sie etwa. Ich finde nicht, dass ich das tue. Ich habe auch nicht das „Ziel, ein Bild zu erzeugen“, wie die Kritikerin meint. Ich beharre weiterhin darauf, dass meine Recherche ergebnisoffen ist.

Frau Herrmann-Marschall suggeriert zudem, ich verwendete nur wenig Zeit auf dieses Blog. Als ich mitteilte, dass eine Kollegin mich einen halben Tag lang mit ihren Spanischkenntnissen unterstützt habe, kommentierte sie zum Beispiel ironisch: „Doch so lange? Na, das muss ja gut werden! Man fragt sich ernsthaft, wie viel Zeit sich der Herr Musharbash für weniger komplizierte Recherchen nehmen mag.“

Tatsächlich habe ich schon jetzt etliche Arbeitstage, über Monate verteilt, in dieses Projekt investiert. Dieses Blog ist also nicht, wie die Kritikerin mutmaßt, „zwischen Tür und Angel“ entstanden oder „eilig zusammengeschustert.“

Es stimmte auch nicht, dass ich kein Interesse daran hätte, etwas zu ermitteln, was „über den potentiellen Sachstand der Behörden hinausgeht“. Erst in der letzten Folge habe ich über Kontakte Abu Adams zu zwei späteren IS-Terroristen berichtet, von denen die spanischen Ermittler bisher gar nichts wissen. Im Übrigen weise ich darauf hin, dass weder der MDR noch der BR (Frau Herrmann-Marschall findet, ich ignoriere deren Berichterstattung, dabei habe ich zwei von drei Beiträgen verlinkt) im Gegensatz zu mir die spanischen Akten auch nur durchgegangen sind.

Frau Herrmann-Marschall fragt weiter, ob man nicht, „wie das üblicherweise der Fall ist im Journalismus, abwarten“ könne „bis es etwas Gehaltvolles von den Behörden gibt oder man selber Berichtenswertes gefunden hat“.

Ja, kann man. Aber dies hier ist eben etwas Neuartiges, die Erprobung einer Idee: nämlich in Form eines Blogs nachvollziehbar für die Leserinnen und Leser zu recherchieren, im Idealfall auch, um auf aktuelle Entwicklungen oder Hinweise eingehen zu können.

Das muss natürlich niemand mögen. Mir gefällt es bisher.

Zwei Dinge an Frau Herrmann-Marschalls Replik ärgern mich allerdings sehr. So behauptet sie, ich sei im Fall Peter (Sie können die Folge dazu hier nachlesen) „eine Art Gutachter“ gewesen und selber „Akteur“. Das stimmt schlicht nicht.

Desweiteren schreibt die Bloggerin: „Vieles wirkt wie frei von der Leber geschrieben, der Herr Musharbash schreibt ja auch Fiktives – da tut man sich mit Ausschmückungen leicht.“

Liebe Frau Herrmann-Marschall, seien Sie versichert: Ich verfüge über die notwendige intellektuelle Kapazität, meine berufliche Tätigkeit als Journalist von meinem Wirken als Romanautor zu unterscheiden und zu trennen.

Möglicherweise kennen Sie, liebe Leserinnen und Leser, Frau Hermann-Marschall nicht. Im Interesse der Transparenz reiche ich hier deshalb noch drei Links nach. Einer führt zu einem Interview, in dem Frau Herrmann-Marschall Auskunft über ihr Engagement gegeben hat; die anderen beiden führen zu Artikeln von Süddeutscher Zeitung bzw. Spiegel, in denen Frau Herrmann-Marschalls Tätigkeit (bzw. ihr en „Aktivismus“ – SZ) thematisiert wird.

Ein Professor meldet sich 

Eine zweite Reaktion, die ich gerne hier teilen möchte, erreichte mich per Email von Professor Mouhanad Khorchide, dem Leiter des Zentrums für Islamische Theologie in Münster, der dort die Professur für Islamische Religionspädagogik innehat. (Mehr über Herrn Khorchide hier und hier.)

 

„Lieber Herr Musharbash,

ich habe gerade ihre beiden Beiträge über Herrn Shashaa gelesen. Ich schreibe Ihnen, weil es mich persönlich stark irritiert, dass ausgerechnet Herr Shashaa im Zusammenhang mit Terror gebracht wird. Ich gebe zu, ich kenne ihn lediglich aus einem Podiumsgespräch in Bonn im Jahre 2014. Ich hatte nach dem Podium die Gelegenheit, mich für ca. 15 Minuten mit ihm unter vier Augen auszutauschen und zwar auf Arabisch (in palästinensischem Dialekt). Ich war erstaunt, wie stark wir uns beide über Gott und die Welt einig waren. Er beschwerte sich bei mir über Salafisten, die ihn zu einem Häretiker erklären und er dankte mir für meine Arbeit, die in seinen Augen sehr wichtig sei und den richtigen barmherzigen Islam darlegen würde. Er sagte mir, dass er sehr oft Kritik bekomme, weil er mich in Schutz nehmen würde, obwohl er mich persönlich nie kannte, aber er habe den Kritikern stets gesagt: „Habt ihr seine Bücher wirklich gelesen? Habt ihr mit ihm geredet? Wenn nein, dann lasst den Mann in Ruhe. Alles was er sagt, ist dass der Islam eine Religion der Barmherzigkeit ist“. Er sagte mir offen, dass man in Detailfragen gerne streiten kann (er sei auch mit allen Details, die ich schreibe einverstanden), aber das seien unwichtige Details.

Herr Shashaa, zu dem ich nachher aus zeitlichen Gründen leider nie wieder Kontakt aufnehmen konnte, machte auf mich den authentischen Eindruck, er sei zwar in manchen Fragen konservativ, aber für innerislamische Pluralität offen, er tritt authentisch für den Frieden und für ein konstruktives Zusammenleben zwischen Muslimen und Nichtmuslimen ein. Ich sage bewusst „authentisch“, weil er mir unter vier Augen und unter uns Palästinensern alles sagen konnte, was er wirklich denkt.

Ja, ich gebe zu, als ich auf das Podium kam, ich innerlich dachte: „Oh, nein! Jetzt muss ich mit einem Salafisten diskutieren“, denn sein Erscheinungsbild deutete auf das hin. Aber schon seine warme Begrüßung und die Art wie er mich angeschaut hat, vermittelte mir sofort etwas anderes. Während des Podiums fragte er mich zwischendurch was das eine oder andere deutsche Wort auf Arabisch heiße, weil er nicht alles verstanden hat und war sehr dankbar für meine Unterstützung. Ich kann mich nicht mehr an die Inhalte der Diskussion erinnern (sie wurde aber sicher aufgezeichnet), aber wir haben nicht gegeneinander sondern miteinander und zwar gegen die Radikalen argumentiert.

Umso mehr irritiert es mich, dass der Mann nun seit April im Untersuchungshaft sitzt. Der Mann Shashaa, den ich im April 2014 kennengelernt habe, ist definitiv kein Radikaler, im Gegenteil, er war äußerst höflich und bescheiden. Seine religiösen Ansichten entsprachen nicht im Geringsten denen von Salafisten oder Radikalen. Jemand, wie ich, der die salafistische Szene und deren Argumente sehr gut kennt, würde sofort erkennen, wer vor ihm steht.

Ich bitte Sie, diese meine Worte zu veröffentlichen und wenn möglich auch an die zuständigen Behörden weiterzugeben, denn ich habe den starken Verdacht, dass hier ein unschuldiger Mensch verdächtigt wird.“

Kurz darauf schickte Professor Khorchide noch eine Ergänzung:

„Ich habe mich nachträglich daran erinnert, dass er sich in unserem Vier-Augen-Gespräch auch darüber beschwert hat, dass viele Muslime heute den Islam als Hassansage gegen den Westen verstehen würden, was total verkehrt wäre, denn uns Muslimen würde es hier in Europa viel besser gehen als in den meisten islamischen Ländern. Ein Salafist oder Extremist würde niemals dies unter vier Augen so formulieren. Ich habe genug andere Erfahrungen gemacht. Ich war danach öfters auf seiner Facebook Seite und habe mitbekommen, wie stark er von Salafisten angefeindet und beschimpft wird, er schrieb immer wieder kurze Statements, meist auf Arabisch, in denen er extremistische Meinungen kritisiert und für den Frieden gerufen hat.“

Ein spanischer Medienbericht

Ich kenne die spanische Zeitung nicht, in der dieser Beitrag erschienen ist.

Aber der Bericht geht vor allem auf den auch von mir berichteten Umstand ein, dass der IS zur Ermordung Abu Adams aufgerufen hat, und listet ansonsten viele der Vorwürfe auf, die auch in diesem Blog schon erörtert worden sind.

An einer Stelle schreibt der Verfasser über die spanischen Ermittlungsakten, sie ließen Abu Adam als perfekten Dschihadisten erscheinen – und zugleich als das Gegenteil. Ich verstehe, dass er diesen Eindruck hat.

In der nächsten Woche wird es um Geldflüsse gehen.


Haben Sie Hinweise oder Informationen, die für diese Recherche hilfreich sein könnten? Schreiben Sie an yassin.musharbash@zeit.de

 

Warum Analyse gegen Angst helfen kann

Im Angesicht der Anschläge und Gewalttaten der vergangenen Tage verspüren viele Menschen in Deutschland ein neues Gefühl von Unsicherheit. Das ist nachvollziehbar. Genauso nachvollziehbar ist, dass dieses Empfinden diffus ist: Die Nachrichten überschlagen sich, was zunächst wie ein Terroranschlag erschien, stellt sich plötzlich als Amoklauf dar und andersherum – wieso soll ich da das eine vom anderen überhaupt noch krampfhaft unterscheiden, für mich, als potenzielles Opfer, ändert das doch nichts?!

Mir hilft es trotzdem, wenigstens etwas Ordnung in dieses Chaos zu bringen. Deshalb die unten stehende Übersicht (Stand Montagnachmittag). Sie beantwortet keine Fragen, aus ihr kann man keine Politik ableiten, und auch nicht, ob man morgen auf das Dorffest, Musikfestival oder Sportevent gehen soll oder besser nicht. Aber sie zeigt, wie unterschiedlich die Gewaltakte dieser fürchterlichen vergangenen Tage waren. Und dass es zum Beispiel zwischen dem Amoklauf von München und dem Axtangriff von Würzburg erhebliche Unterschiede gibt: Im ersten Fall war der Täter psychisch instabil, er war hier geboren, es gibt keinerlei Hinweis auf irgendeine Beeinflussung durch den „Islamischen Staat“ (IS). Ganz anderes Würzburg: Der Täter war ein jugendlicher Flüchtling aus Afghanistan, er bekannte sich zum IS und der IS sich zu ihm, Hinweise auf eine psychische Erkrankung gibt es hingegen nicht.

Es ergibt sich daraus, dass zur Prävention weiterer solcher Taten unterschiedliche Konzepte, unterschiedliche Politiken erforderlich sind. So lässt sich ein wenig Handlungsfähigkeit zurückgewinnen: Denn wir können mehr tun, je genauer wir wissen, womit wir es zu tun haben. Weiter„Warum Analyse gegen Angst helfen kann“

 

Drei Vorschläge, wie man über Köln reden kann

„Es gibt so Wochen, da hört man vor lauter Gebrüll kaum seine eigenen Gedanken“, hat die Kollegin Carolin Emcke gestern getwittert. Die Diskussion darüber, was an Silvester am Kölner Hauptbahnhof passiert ist, ist wichtig. Aber sie ist auch laut, in Teilen überlaut, und sie verdient in manchen Ecken auch den Namen Diskussion nicht mehr: nämlich dort, wo Informationskrümelchen nur noch als Munition verwenden werden, um Ressentiments gegen Flüchtlinge, Migranten, Muslime, Araber loszuwerden.

Wer Nachdenklichkeit einfordert, den Mangel an gesicherten Informationen beklagt oder nicht zu jedem Aspekt sofort eine knallharte Meinung hat, gilt dann plötzlich als feige oder naiv oder als Apologet aller nur denkbaren Verbrechen. Ich will mich aber nicht in die Defensive drängen lassen. Ich bin, ganz im Gegenteil, davon überzeugt, dass man vernünftig über Köln diskutieren kann, ohne in eine dieser vermeintlichen Fallen zu tappen.

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Warum der IS die Weltordnung nicht gefährdet

 

Heute gibt es in „Radikale Ansichten“ eine Premiere, nämlich einen Gastbeitrag. Im September habe ich in Herzliya, Israel, auf einer Terrorismuskonferenz über die Finanzen des „Islamischen Staates“ gesprochen; anschließend lernte ich bei der Veranstaltung die Juristin Daphné Richemond-Barak kennen. Aus unserem Austausch über die Frage, ob das „Kalifat“ des IS ein Staat ist, ein Protostaat oder eine Entität, die sich verhält wie ein Staat, ergab sich Daphnés Angebot, diesen Beitrag hier im Blog zu veröffentlichen, in dem sie diese Frage und ihre Implikationen aus dem Blickwinkel des Internationalen Rechts betrachtet. 

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Bitte etwas nüchterner, Herr de Maizière!

Zu den Stärken von Bundesinnenminister Thomas de Maizière gehört gemeinhin, dass er beruhigend nüchtern über bedrohliche Szenarieren referieren kann. Zusammen mit Angela Merkels betont unhysterischer Art ergab das einen Regierungs-Soundtrack, der – auch im Angesicht der Flüchtlingssituation und allen an ihr hängenden Unwägbarkeiten – so etwas wie Zuversicht ausstrahlte.
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Wie der „Islamische Staat“ Recht spricht

„Ist dies schon Wahnsinn, so hat es doch Methode“, heißt es in Shakespeares Hamlet über den dänischen Prinzen. Ganz ähnlich könnte man über die Rechtsprechung des „Islamischen Staates“ (IS) urteilen. Es lohnt sich, einen Blick auf die Fatwas, die Rechtsgutachten zu werfen, welche Muftis des IS in dessen „Kalifat“ in den vergangenen Monaten erlassen haben.
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Eine Nationale Strategie gegen Extremismus

Nicht alle Extremisten in Deutschland sind islamistisch motiviert, schließlich brennt fast im Wochentakt irgendwo eine geplante Flüchtlingsunterkunft, das sind auch Extremisten.

Aber es lässt sich nicht bestreiten, dass die Gruppe der islamistischen Extremisten seit einigen Jahren am schnellsten wächst. Immerhin rund 700 Islamisten aus Deutschland haben sich derart radikalisiert, dass sie ins Kriegsgebiet in Syrien oder dem Irak ausgereist sind; nicht in jedem Fall, um dort zu kämpfen oder zu Terroristen zu werden, aber mindestens mit einer Ideologie im Kopf, die ihre Wiedereingliederung nach der Rückkehr problematisch macht. Weiter„Eine Nationale Strategie gegen Extremismus“