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Fünf Vorschläge für eine vernünftige Islamdebatte

 

Alle paar Monate bricht in Deutschland eine „Islamdebatte“ los. Stets verläuft sie unerquicklich. Wie könnte es besser gehen?

Von Yassin Musharbash 

Manchmal habe ich einen Traum. Ich träume davon, dass es gelingt, eine „Islamdebatte“ zu führen, in der nicht jeder gleich für einen Terroristenversteher gehalten wird, der nicht an die unaufhaltsame Islamisierung Deutschlands glaubt. In der aber auch nicht jeder, der sich wegen steigender Zuwandererzahlen aus muslimischen Ländern sorgt, sofort ausgelacht wird.

In der selbst ernannte Experten ausnahmsweise mal darauf verzichten, jede von einem 17-jährigen Marokkaner begangene Straftat mit einem Koran-Zitat zu kommentieren. Und in der bestimmte Politiker sich an der Lösung realer Probleme versuchen, anstatt diffuse Stimmungen zu bedienen. In der Fakten eine größere Rolle spielen als gefühlte Wahrheiten. Und in der nicht ständig Integration, Islam und Terror durcheinandergeworfen werden, bis man das eine Thema nicht mehr vom anderen unterscheiden kann – oder erinnern Sie sich an auch nur eine TV-Talkshow zu einem dieser drei Themen, in der es nicht sofort auch um die beiden anderen ging?

Jaja, sicher: Alles hat immer mit allem zu tun, und nichts kommt von gar nichts.

Aber teilen Sie nicht auch manchmal meinen Eindruck, dass wir seit 20 Jahren dieselbe Debatte führen? Und dabei kaum vorankommen?

Halten Sie mich meinetwegen für naiv, aber ich will den Glauben nicht aufgeben, dass es auch besser gehen könnte. Konstruktiver und ohne Hysterie. Ich habe eine gewisse Erfahrung mit der Islamdebatte. Hier sind ein paar Vorschläge, wie sie vielleicht fruchtbarer werden könnte.

 

1. Sagen Sie, was Sie meinen 

„Der Islam gehört nicht zu Deutschland“ – mit diesem Satz hat der neue Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) vergangene Woche der Debatte einen Neustart verschafft. Seitdem wird wieder gestritten.

Aber worüber eigentlich?

Horst Seehofer und die CSU-Führung erläuterten die umstrittene Aussage mit zwei Ergänzungen: Natürlich gehörten die hier lebenden Muslime zu Deutschland. Und es stehe außer Frage, dass Deutschland nicht durch den Islam, sondern durch das Christentum geprägt sei.

Interessant – denn kein vernünftiger Mensch würde diese beiden Sätze für falsch erklären. Doch Seehofer & Co haben nicht einfach nur diese beiden Sätze gesagt. Sie haben mit der Formulierung „Der Islam gehört nicht zu Deutschland“ eine Botschaft ausgesandt, die hier lebende Muslime fast zwangsweise als ausgrenzend empfinden müssen. Man kann den Satz deshalb als Beleg dafür betrachten, dass ihr Ziel gerade keine vernünftige Islamdebatte war.

Dabei wäre es so simpel: Sagen Sie einfach, was Sie meinen!

Also zum Beispiel:

„Deutschland ist ein christlich geprägtes und kein muslimisch geprägtes Land. Aber hier leben 4,5 Millionen Muslime, die auch zu Deutschland gehören.“

Das ist inhaltlich voll identisch mit allem, was die CSU nach eigenem Bekunden mit dem Satz sagen wollte. Nur ist es viel weniger spektakulär.

Sollte die CSU hingegen in Wahrheit etwas anderes gemeint haben, hat sie es bisher jedenfalls nicht gesagt. Dann wäre es dankenswert, wenn sie es nachtrüge. Die Regel „Sagen Sie, was Sie meinen“ gilt nämlich auch für extremere Positionen. Alles ist besser als rumzuschwurbeln oder zu raunen.

„Der Islam ist mit dem Grundgesetz nicht vereinbar“, ist zum Beispiel eine legitime Meinung, auch wenn ich persönlich sie für falsch halte. Sobald sie ausgesprochen ist, kann man Fakten herbeiziehen und über sie diskutieren.

Die Behauptung „Der Islam gehört nicht zu Deutschland“ eignet sich dafür nicht. Man merkt das daran, dass viele Diskussionsteilnehmer, auch Journalisten, die den Satz verteidigen, meistens zuerst sagen: Was wir eigentlich meinen, ist, dass eine bestimmte Art von Islam nicht zu Deutschland gehört. Und dann wird aufgezählt: Islamismus, Antisemitismus, Terror, Burka, etc.

Es wäre so viel sinnvoller, einfach die Probleme aufzuzählen und Lösungsvorschläge zu machen oder zu fordern. Alles reale Probleme, die eine ernsthafte Debatte verdienten! Und keine Scheindebatte, die man in einem unpassenden und viel zu großen Rahmen aufzuspannen versucht.

 

2. Können wir uns die Tabu-Rhetorik sparen, bitte? 

Es wäre unsinnig, die Probleme zu leugnen, die mit dem Islamverständnis einiger hier lebender Muslime zu tun haben, siehe oben. Aber es ist ebenso unsinnig, dabei jedes Mal so zu tun, als bestünden unüberwindbare Tabus, die irgendjemanden daran hinderten, diese Probleme anzusprechen.

Insbesondere selbst ernannte Islamkritiker beharren beständig darauf, dass man sie diskreditiere, nicht zu Wort kommen lasse, totschweige und ignoriere … Woher ich das weiß? Weil ich ihre Beschwerden und Anklagen in der Zeitung nachlesen, im Fernsehen anschauen, im Radio hören, im Bundestag zu Kenntnis nehmen und als Buch kaufen kann.

Mir fällt keine denkbare islamkritische Position ein, die nicht schon seit Jahren dauerhaft auf dem Markt der Meinungen vertreten wäre, rassistische Positionen eingeschlossen.

Wirklich: Es gibt keine Tabus! Glauben Sie niemandem, der sagt: „Aber das darf man ja nicht sagen!“ – was derjenige meistens meint, das ist: dass er gerne mehr Zustimmung ernten würde. Dass er gerne sähe, wie Politik, veröffentlichte Meinung, die Gesellschaft sich in seine Richtung bewegen. Darauf hat er aber keinen Anspruch. (Es passiert trotzdem gerade, weswegen ich noch weniger verstehe, warum die Islamkritiker darauf beharren, Tabubrecher zu sein; aber vielleicht übersehe ich da auch ein Kalkül.)

Als ich vor 20 Jahren mein Studium aufnahm, da ging es in den Politikseminaren, die mich besonderes interessierten, schon um genau die Probleme, die angeblich bis heute nicht angesprochen werden dürfen: Dass viele Muslime ihre religiösen Werte über die hier geltenden Regeln stellen; dass muslimische Privatrichter den Rechtsstaat unterlaufen; dass wir Zuwanderung nicht bewusst steuern; dass mitten in Deutschland Frauen und Mädchen aufgrund muslimischer Wertvorstellungen diskriminiert werden; dass in Moscheen auf deutschem Boden antideutsche und antisemitische Hasspredigten gehalten werden; dass „der Islam“ ein Aufklärungsdefizit habe; dass ausländische Staaten radikale Moscheegemeinden finanzieren; dass wir einen „Euro-Islam“ brauchen, etc.

Das Problem ist also in Wahrheit, dass die Probleme nicht gelöst worden sind.

Das wäre ein sinnvoller Ausgangspunkt für eine vernünftige Islamdebatte: Reden wir über konkrete Maßnahmen für konkrete Probleme.

 

3. Der Koran ist keine Bedienungsanleitung

Gar nicht so selten ereignet sich auf Podiumsdiskussionen oder ähnlichen Veranstaltungen ein Schauspiel, das ich „Suren-Vier-Gewinnt“ nenne: Jemand meldet sich zu Wort und zitiert eine Passage aus dem Koran, die beweisen soll, dass jemand, der an dieses Buch glaubt, unmöglich ein rechtstreuer Bürger in einem demokratischen Gemeinwesen sein kann. Es sind immer dieselben Stellen, die vorgelesen werden: Tötet die Nicht-Muslime, Frauen dürfen geschlagen werden, Ungläubige sollen belogen werden, usw.

Dann entgegnet jemand mit anderen Koran-Passagen: Es gibt keinen Zwang im Glauben, die Buch-Religionen Christentum und Judentum werden vom Islam akzeptiert, wenn jemand einen Menschen tötet, ist es, als töte er die gesamte Menschheit, Frieden, Barmherzigkeit, etc.

Es gewinnt nie jemand.

Das liegt daran, dass der Koran eine schwer zu lesende Schrift ist, in Teilen ein Regelwerk, in anderen eher Poesie, über weite Strecken auf den ersten und oft sogar zweiten Blick gar nicht klar verständlich, man könnte auch sagen: widersprüchlich. Aus all diesen Gründen ist der Koran keine Bedienungsanleitung für Muslime.

Natürlich ist der Koran für Muslime wichtig. Aber die wenigsten haben ihn studiert oder auch nur vollständig gelesen. Genau wie die meisten Christen in Deutschland die Bibel nicht in Gänze gelesen haben dürften.

Wer wissen will, was Muslime glauben, muss deshalb mit ihnen reden. Den Koran zu lesen, hilft da nur bedingt. Zumal man jedem heiligen Text Gewalt antut, wenn man im Vorbeigehen aus ihm zitiert. Ebenso wie das Judentum und das Christentum hat der Islam eine reiche theologische Tradition. Ohne Kenntnis darüber, was Theologen zur Auslegung und Bedeutung einzelner Passagen sagen, gelangt man nicht an den Wesenskern einer Religion. Und deshalb sind Koran-Zitate auch nicht als Munition in der Islamdebatte geeignet. Sie sind nicht vorhaltbar, man kann nicht einfach zu einem Muslim sagen: Hier, schau mal, da steht doch, was du glaubst, schwarz auf weiß! Der Glaube ist kompliziert, nicht nur der muslimische. Es besteht immer ein Spannungsfeld zwischen heiligem Text und gelebtem Glauben. (Vielleicht sollte man noch ergänzen, dass die einzige muslimische Gruppe, die einfach bloß gewaltverherrlichende Passagen aus dem Koran zitiert, ohne den Großteil der islamischen Theologie zu beachten, die Dschihadisten sind.)

Darf man als Nicht-Muslim also nur über Muslime reden, aber nicht über ihre Religion? Keine Sorge, man darf. Aber vorzugsweise mit einem Minimum an Respekt, das sich zum Beispiel darin zeigt, dass man sich vorher mit der Materie beschäftigt. Wer glaubt, die Scharia sei ein Buch mit Regeln und Strafen darin, weil es halt immer irgendwie danach klingt, sollte sich lieber noch einmal informieren. Wer nicht weiß, was Salafisten sind, sollte sich bei dem Thema zurückhalten.

Ebenso wenig zielführend ist es, wenn Nicht-Muslime sich quasi selbst zu muslimischen Theologen ernennen und Reformideen für eine Weltreligion aus dem Ärmel schütteln. So wünschenswert es sein mag, dass sich in der muslimischen Theologie eine historisch-kritische Lesart des Korans durchsetzt: Das sind Entwicklungen, die von außen nicht sinnvoll beeinflusst werden können. Vernünftig ist es, dafür zu sorgen, dass Deutschland ein Land ist, in dem muslimische Reformer angstfrei forschen und lehren können. Vernünftig ist es zu sagen: Wer meint, aufgrund seiner Auslegung des Korans oder anderer wichtiger Texte gegen hier geltende und nicht zur Diskussion stehende Rechte (Religionsfreiheit, Gleichberechtigung, etc.) verstoßen zu können, der irrt und wird von uns daran gehindert werden. Jeder kann denken, was er will; aber nicht immer tun, was er möchte.

In der Islamdebatte gibt es eine weitere sich häufig wiederholende rhetorische Figur. Nach einem dschihadistisch motivierten Anschlag zum Beispiel. Dann sagt das eine Lager: Das hat mit dem Islam nichts zu tun, Islam ist Frieden! Und das andere Lager wartet nur darauf, um flugs ironisch zu erwidern: Ja klar, das hat mit dem Islam natürlich rein gar nichts zu tun! Komisch nur, dass die Täter laufend eure heilige Schrift zitieren!

Und wieder geht es nicht voran. Vergeudete Zeit! Dabei ist es eigentlich ganz einfach: Selbstverständlich hat der Dschihadismus etwas mit dem Islam zu tun. Die Täter sind keine Marsmenschen und auch keine Nihilisten. Sie sehen sich selbst, unbestreitbar, als Muslime. Zugleich sollte es jedoch nicht schwer fallen zu akzeptieren, dass fast alle Muslime auf der Welt den Dschihadismus als Perversion ihres Glaubens empfinden.

Nachdem man sich darauf geeinigt hat, bleibt genug Stoff für eine vernünftige Diskussion übrig. Zum Beispiel hierüber:

  • Wie lässt sich verhindern, dass Dschihadisten Nachwuchs rekrutieren?  (Hat die Anfälligkeit junger Menschen manchmal vielleicht gar nicht so viel mit Religion zu tun, sondern auch etwas mit ihren Lebensumständen oder ihrem subjektiven Gefühl, Opfer von Diskriminierung zu sein?)
  • Welche Rolle sollten Moscheegemeinden und Imame dabei spielen? (Sie stehen selbstverständlich in der Pflicht, weil islamistische Extremisten naheliegenderweise vor allem unter Muslimen zu rekrutieren versuchen.)

Wir sollten uns in der Islamdebatte nicht am Koran als heiligem Text abarbeiten. Wichtiger ist, was Muslime in diesem Land sagen und tun. Die meisten sagen und tun überhaupt nichts, was problematisch ist. Wer Hasspredigten hält, Andersgläubige bepöbelt, Menschen radikalisiert oder gar Terroranschläge plant, bei dem müssen die entsprechenden Gesetze angewandt werden. Punkt.

 

4. Trennen, was nicht zusammengehört

Nicht immer, wenn ein Muslim etwas macht, tut er es, weil er Muslim ist. Wir alle sind durch mehr als unsere Religionszugehörigkeit geprägt; es ist niemals sinnvoll, jemanden alleine darauf zu reduzieren.

Für die Islamdebatte bedeutet das: trennen, was nicht zusammengehört.

Ein Beispiel: In der Silvesternacht 2015/16 kam es in Köln zu zahlreichen, teils schweren sexuellen Übergriffen an Frauen. Viele der Täter und Tatverdächtigen waren „Nafris“, Polizeijargon für Nordafrikaner. Wir haben damals in einer Rekonstruktion jener Nacht im ZEIT-Magazin mit zahlreichen jungen Männern aus Nordafrika gesprochen, die dabei gewesen waren.

Wir wissen, dass die meisten betrunken oder berauscht waren. Dass viele von ihnen im Sommer 2015 nach Deutschland gekommen waren, als es hieß: Die lassen jeden rein! Es bleibt unerklärlich und unentschuldbar, dass viele von ihnen in jener Nacht Frauen angriffen. Aber in keinem Fall haben wir Grund zu der Annahme gefunden, das alles könnte irgendetwas mit der Tatsache zu tun haben, dass die Täter Muslime sind. Die meisten, mit denen wir sprachen, waren religionsfern aufgewachsen, Muslime eher nur nominell. Sie sind aber in Zuständen aufgewachsen, in denen Frauenrechte kein großes Thema waren. Das erklärt mehr als der Rückgriff auf „den Islam“. Trotzdem löste die Kölner Silvesternacht damals nicht nur eine Flüchtlings-, sondern auch eine Islamdebatte aus.

Ich habe dieses Beispiel nicht angeführt, um es aus jeder Diskussion herauzuhalten – im Gegenteil, all das muss auf den Tisch. Aber im richtigen Rahmen. Im Fall der Kölner Nafris geht es vorrangig um ein ausländerrechtliches Problem – Abschiebungen von nicht anerkannten Asylbewerbern nach Nordafrika – und nicht um „den Islam“.

Im Idealfall würde man die Debatten um die drei großen Is, um Islam, Integration und Innere Sicherheit, so weit es geht unabhängig voneinander führen. Schon weil weder alle Terroristen Muslime sind noch alle, die integriert werden müssen, Muslime sind. Im besten Fall würden durch eine solche Differenzierung sogar mehr Probleme ernsthafter angegangen: Antisemitismus, zum Beispiel, ist nicht nur ein Thema bei muslimischen Einwanderern (und oft ist der Antisemitismus den Menschen aus politischen Gründen anerzogen worden, nicht aus religiösen). Ebenso wenig ist die Geringerachtung von Frauen und Mädchen ein exklusives Problem von Menschen muslimischen Glaubens.

Ich glaube, dass eine solche Entzerrung zu einer Enthysterisierung beitragen könnte. Und konstruktiver ist.

 

5. Die Moschee in Saudi-Arabien lassen 

Die Religionsfreiheit ist ein hohes Gut, eines der höchsten. Dazu gehört, dass Muslime hier, genau wie alle anderen, ihren Glauben praktizieren können. Wie sie es tun, wo es womöglich Grenzen gibt, darüber wird unentwegt gestritten, manchmal auch vor Gericht – und dagegen ist gar nichts zu sagen. Kopftuch, Beschneidung, rituelle Schächtung: Keine dieser Fragen ist abschließend geklärt. Ein normaler Vorgang.

Wenig konstruktiv ist es allerdings, wenn folgendes Argument aufgeboten wird: Über Minarette in Deutschland können wir ja reden, wenn in Saudi-Arabien Kirchen gebaut werden dürfen!

Diese Vermischung ist Unfug. Anders gesagt: Es ist widerspruchsfrei möglich, für Religionsfreiheit in Saudi-Arabien und nicht gegen Minarette in Deutschland zu sein. Saudi-Arabien ist eine De-facto-Diktatur, die auf einer fundamentalistischen Islamauslegung basiert. Warum sollten wir uns mit einem solchen Staat auch nur vergleichen wollen? Abgesehen davon haben die hier lebenden Muslime überhaupt keinen Einfluss auf die saudische Politik.

 

Zum Schluss

Was mich selbst jetzt schon nervt an diesem Beitrag: Dass er bei allem Bemühen darum, eine Debatte konstruktiver zu gestalten, zugleich schon wieder so klingt, als gebe es keine größere Herausforderung in diesem Land. Deshalb eine Schlussbemerkung: eine bessere, klügere, faktenreichere Islamdebatte würde selbstverständlich auch die Verhältnismäßigkeit zu allen anderen Problemen in diesem Land berücksichtigen.