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Drei Vorschläge, wie man über Köln reden kann

 

„Es gibt so Wochen, da hört man vor lauter Gebrüll kaum seine eigenen Gedanken“, hat die Kollegin Carolin Emcke gestern getwittert. Die Diskussion darüber, was an Silvester am Kölner Hauptbahnhof passiert ist, ist wichtig. Aber sie ist auch laut, in Teilen überlaut, und sie verdient in manchen Ecken auch den Namen Diskussion nicht mehr: nämlich dort, wo Informationskrümelchen nur noch als Munition verwenden werden, um Ressentiments gegen Flüchtlinge, Migranten, Muslime, Araber loszuwerden.

Wer Nachdenklichkeit einfordert, den Mangel an gesicherten Informationen beklagt oder nicht zu jedem Aspekt sofort eine knallharte Meinung hat, gilt dann plötzlich als feige oder naiv oder als Apologet aller nur denkbaren Verbrechen. Ich will mich aber nicht in die Defensive drängen lassen. Ich bin, ganz im Gegenteil, davon überzeugt, dass man vernünftig über Köln diskutieren kann, ohne in eine dieser vermeintlichen Fallen zu tappen.

1. Heute über die Tat reden – aber über die Täter: später!

Es gibt keinen, überhaupt keinen Grund, sich nicht über die Ungeheuerlichkeit von Köln zu empören. Ein Mob (und wenn man die Ereignisse in anderen Städten wie Hamburg und Frankfurt dazuzählt, was man wohl muss: mehrere Mobs) bedrängt, belästigt und beleidigen Frauen, übt sexualisierte Gewalt gegen sie aus, offensichtlich über Stunden hinweg, nahezu ungestört. Dass die Täter zusätzlich noch geraubt haben, gerät angesichts dieses Skandals schon fast in den Hintergrund. Das hätte nie passieren dürfen, das darf nie wieder passieren.

Nur: Die Diskussion über die Täter, die sollten wir besser noch nicht heute führen. Warum? Weil wir sie noch nicht kennen. Sicher, gerade meldet der Spiegel, dass einige Spuren der in der Nacht gestohlenen Handys anscheinend in oder in die Nähe von Flüchtlingsunterkünften führen. Ich habe auch mitbekommen, dass sowohl die Polizei als auch Augenzeugen als auch Opfer „Migranten“ als Täter benannt haben. Es gibt trotzdem vieles, was wir noch nicht wissen. Immer wieder heißt es, es seien Nordafrikaner gewesen. Dann meldete die Welt, es seien vor allem Syrer, die von der Polizei registriert wurden. Mal ist von Flüchtlingen die Rede; dann wieder heißt es: Nein, keine Flüchtlinge, sondern Ausländer oder Migranten, die schon länger hier leben.

Die Meldungen ergeben eben kein klares Bild. Weil wir all das noch nicht wissen, wissen wir auch nicht, ob wir es mit einer Gang oder mit der organisierten Kriminalität zu tun haben, wissen nicht, ob vielleicht noch ganz andere Gruppen von Menschen unter den Tätern waren, und wissen auch nicht, ob es einzelne unter den Tätern gab, die in besonderer Weise verantwortlich sind, weil sie Rädelsführer oder Planer waren.

In meinen Augen ist es aber ein Unterschied, ob die Täter hauptsächlich kürzlich ins Land gekommene Flüchtlinge sind oder seit Jahren oder Jahrzehnten hier lebende Personen (und gegebenenfalls deutsche Bürger). Die Diskussion, wie man so etwas in Zukunft verhindert, hängt auch davon ab.

Und noch etwas: Viele Menschen nehmen an, dass die Täter Muslime gewesen sein müssen. Mag sein, dass die meisten von ihnen nominell oder vom Familienhintergrund her Muslime sind. Ob sich auch nur ein einziger von ihnen als gläubiger Muslim bezeichnen würde, wissen wir hingegen nicht. Dass viele der Täter anscheinend betrunken waren, spricht eher gegen fromme Täter. Was dann wiederum bedeutet, dass es wenig Sinn ergibt, die Taten der Täter als authentischen Ausdruck muslimischer Kultur zu werten.

2. Alle Fragen stellen: ja; alle Antworten schon kennen: nein 

Das soll keinesfalls bedeuten, dass es Tabus geben sollte. Aber Fragen stellen ist eben etwas anderes als vermeintliche Antworten verkünden. Haben Männer aus muslimischen Ländern einen verstörend falschen Blick auf Frauen? Wieso bringt denen keiner bei, dass Frauen kein Freiwild sind? Wollen die das überhaupt verstehen oder sind die von der Überlegenheit ihrer Werte, ihrer Ansichten, ihres Geschlechts überzeugt? Ich finde keine dieser Fragen illegitim. Warum sollte man darüber nicht diskutieren?

Wer aber nur noch Antworten und keine Fragen mehr kennt (muslimische Männer verachten Frauen, weil das irgendwo im Koran steht; muslimische Männer wachsen eben mit Gewaltverherrlichung auf; für muslimische Männer sind deutsche Frauen eben nur Beute, etc.), der will keine Diskussion führen.

3. Sexualisierte Gewalt ist keine Vorstufe des Dschihad

Ich wäre auf diese Verbindung gar nicht gekommen. Alice Schwarzer stellt sie in drei Sätzen her:

Doch der Terror kam (noch) nicht aus der Kalaschnikow oder von Sprengstoffgürteln, er kam aus Feuerwerkspistolen und von Feuerwerkskrachern. Und von den grabschenden Händen der Männer. Die Jungs üben noch.

Wer ernsthaft glaubt, dass jeder kriminelle Nicht-Biodeutsche auch ein potenzieller Dschihadist ist, sollte mehr Bücher lesen, bevor er oder sie sich öffentlich äußert.