Wenn die Ereignisse der vergangenen Tage in Deutschland eine Frage aufgeworfen haben, dann ist es diese: Wie und woran kann man mögliche dschihadistische Attentäter rechtzeitig erkennen? Welche Anzeichen gibt es, wer kann sie lesen, wie müssen sie weitergegeben werden – und an wen?
Ich habe diese Fragen acht international anerkannten Experten gestellt, mit der Bitte um eine kurze Antwort. Hier sind sie:
Peter Neumann, Direktor des International Centre for the Study of Radicalization and Political Violence (ICSR), King’s College, London:
Wir erkennen sie nicht daran, wie religiös sie sind oder wie sie sich kleiden. Muslim oder sogar Salafist zu sein ist (noch) nicht strafbar.
Die einzig verlässlichen Hinweise sind: wen sie kennen (Kontakte ins extremistische Milieu), was sie sagen (Pro-IS-Äußerungen, IS-Symbole auf Facebook-Profil, etc.) und, in geringerem Ausmaß, was für Informationen sie konsumieren.
Bei echten einsamen Wölfen wird das natürlich schwierig. Aber Studien haben gezeigt, dass selbst einsame Wölfe in 60 Prozent aller Fälle ihre Orientierung und Absichten mit Kontakten teilen.
Assaf Moghadam, Akademischer Direktor am ICT (International Institute for Counter-Terrorism), Herzliya, Israel:
Was das frühzeitige Erkennen potenzieller Terroristen so schwierig macht, ist, dass die Motive für den Terrorismus genauso zahlreich sind wie Terroristen selbst. Zudem mischt sich jeder Terrorist seinen eigenen Cocktail von Motiven. Terrorismusforscher haben sich daher seit Jahrzehnten vergebens darum bemüht, die genauen Ursachen des Terrorismus auszumachen.
Daniel Heinke, Koordinator Terrorismusabwehr beim Bremer Innensenator:
Die Attentäter der jüngsten dschihadistischen Anschläge haben kein offensichtliches „Profil“, das ihre vorherige Identifizierung ermöglicht hätte. Es ist gerade bei einer „stillen“ Radikalisierung häufig nahezu unmöglich, eine individuelle Anschlagsplanung im Vorfeld zu entdecken. Es gibt aber auch Hinweise auf Verbindungen der Terroristen zu weiteren Personen – hier setzen die Sicherheitsbehörden an und versuchen, Planungen rechtzeitig aufzudecken.
Guido Steinberg, Terrorexperte der Stiftung Wissenschaft und Politik, Berlin:
Das eindeutigste Kennzeichen ist einschlägiges Kommunikationsverhalten, das kann der Konsum von Terrorpropaganda sein, aber auch die Kontaktaufnahme zu Terrorgruppen. In den vergangenen Jahren sind die Sicherheitsbehörden in Deutschland besser darin geworden, so etwas zu entdecken, aber natürlich braucht es dafür einen Anfangsverdacht. Im Nachhinein gibt es allerdings bei fast allen Tätern Hinweise auf eine Radikalisierung. Wenn es gar keine zu geben scheint, wie im Würzburger Fall, könnte das ein Anzeichen für gewachsene Vorsicht sein. Aber grundsätzlich ist es schwer, eine Radikalisierung zu verbergen, und es dürfte in den meisten Fällen Menschen im Umfeld geben, die das ahnen, sich aber leider nicht unbedingt immer melden.
Clauda Dantschke, HAYAT Beratungsstelle Deradikalisierung, Berlin:
Erkennen kann man eine Radikalisierung nur in vertieften Gesprächen und am Wandel im Verhalten, dazu gehören oft Zurückgezogenheit oder dass nur mit bestimmten Freunden noch kommuniziert wird. Nach außen fällt das kaum auf, man braucht eine Person, die die betreffende Person kennt – und die Veränderung mitbekommt.
Magnus Ranstorp, Research Direktor des Center for Asymmetric Threat Studies (CATS) am Swedish National Defence College, Stockholm:
Die Prüfverfahren bei der Immigration müssen verbessert werden, es müssen schärfere, zielführendere Fragen gestellt werden. Der zweite Ansatzpunkt ist, dass die meisten Einzeltäter irgendwann jemandem von ihrer Absicht erzählen, ihrer Familie oder Freunden. Dafür gilt es Sensibilität zu wecken. Drittens geht es auch um nachrichtendienstliche Mittel: Potenzielle Attentäter besuchen zum Beispiel oft einschlägige Websites. Viertens wäre es sinnvoll, wenn Deutschlands Sicherheitsbehörden weiter zentralisiert würden – wenn jeder wüsste, was der andere tut.
Fernando Reinares, Direktor des Program on Global Terrorism am Elcano Royal Institute, Madrid
Polizei und Nachrichtendienste können, mit angemessenen Mitteln und etwas Glück, Individuen erkennen, die militante Dschihadisten sind oder zu kleinen aktiven Zellen gehören; aber im Vorhinein Individuen zu identifizieren, die keinen kriminellen Hintergrund haben, allein agieren und möglicherweise von psychologischen Problemen betroffen sind, ist sehr schwierig.
Es gibt einen Weg, diese Schwierigkeiten teilweise auszugleichen – und das sind die Frühwarnsignale, die von Familienmitgliedern, Freunden und Nachbarn kommen können. Es ist wichtiger als je zuvor, die Gesellschaft insgesamt in die Prävention des dschihadistischen Terrorismus‘ einzubinden. Ein gutes Beispiel liefert Spanien, wo es den „Stop Radicalismo“-Plan gibt, der Ende 2015 aktiviert wurde, um die Mitwirkung von Bürgerinnen und Bürgern zu gewährleisten, und sich als hilfreich erwiesen hat.
Thomas Hegghammer, Direktor für Terrorismusforschung am Norwegian Defence Research Establishment (FFI), Kjeller:
Wir können sicher nicht alles verhindern, aber die Rate der aufgedeckten Anschlagsversuche kann möglicherweise durch mehr Internetüberwachung und mehr Analysten bei den Nachrichtendiensten erhöht werden. Am Ende geht es um eine politische Frage: Wie viel Privatsphäre und wie viel Geld sind wir bereit aufzugeben?