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Ein Terrorverdächtiger als Polizeispitzel?

Seit April sitzt der Leipziger Imam Hesham Shashaa alias Abu Adam wegen Terrorverdachts in Spanien in U-Haft. Jetzt behauptet sein Anwalt: Die Ermittlungen begannen erst, nachdem Abu Adam ablehnte, der Polizei als Informant zu dienen. Folge 7 unseres Ermittlungsblogs

Von Yassin Musharbash 

 

Der Fall des Leipziger Imams Abu Adam ist etwas Besonderes. Denn der Verdächtige und die Beamten, die gegen ihn ermitteln, widersprechen einander weniger, was die Fakten betrifft – dafür aber diametral, was die Interpretation dieser Fakten angeht.

Die spanische Polizei glaubt, dass Abu Adam, der eigentlich in Leipzig lebt, aber in den letzten Jahren zwischen Deutschland und einem kleinen Ort in Südspanien gependelt ist, ein radikaler Aufrührer ist, der gezielt Extremisten um sich versammelt. Ihn selbst verdächtigen sie sogar, in die Struktur der Terrorgruppe „Islamischer Staat“ eingebunden zu sein und dem dschihadistischen Terrorismus mit Propaganda und Geld Vorschub geleistet zu haben. Seit April 2017 halten sie ihn deswegen in Untersuchungshaft.

Abu Adam streitet das kategorisch ab: Seine Kontakte zu IS-Verdächtigen und anderen Radikalen dienten alleine dem Zweck, diese zu deradikalisieren, macht er geltend. Er lehne Gewalt ab und habe Zeit und Geld aufgewandt, um den Extremisten des IS und anderer Gruppen den Nachschub an jungen Verführten abzuschneiden.

In bisher sechs Folgen dieses Ermittlungsblogs habe ich den Fall aus verschiedenen Blickwinkeln beleuchtet. Denn die Causa Abu Adam ist auch auf einer weiteren Ebene von Bedeutung: Wie auch immer der Fall ausgeht, er wird die Debatte darüber befeuern, wer qualifiziert ist, Extremisten aus der dschihadistischen Szene zu deradikalisieren – und mit welchen Methoden.

Für die heutige Folge habe ich mit Abu Adams Anwalt in Spanien, Gonzalo Boye, ein Interview geführt*. Nicht zuletzt, um genauer zu erfahren, wie die spanische Justiz funktioniert, was also die nächsten Schritte im Verfahren gegen Abu Adam sein werden. Gonzalo Boye stellt in dem Interview darüber hinaus eine überraschende Behauptung auf: Die spanische Polizei habe Abu Adam als Informant anzuwerben versucht.

„Ich glaube, er braucht eine gute Verteidigung“

ZEIT ONLINE: Herr Boye, Abu Adam sitzt seit fast acht Monaten in Untersuchungshaft. Haben Sie ihn mittlerweile besuchen können? Wie sehen seine Haftbedingungen aus?

Gonzalo Boye: Ich habe ihn in dem Gefängnis Puerto de Santa María besucht, es gilt als das härteste Gefängnis Spaniens und liegt etwa 600 Kilometer von Madrid entfernt. Es hat ziemlich lange gedauert, die Besuchserlaubnis zu bekommen, ich habe den Fall auch erst vor einigen Monaten übernommen. Hesham Shashaa hält sich jeden Tag 20 Stunden in der Zelle und vier Stunden im Patio auf, wobei extreme Sicherheitsvorkehrungen gelten. Es ist das schlimmste Gefängnis Spaniens, weit entfernt vom Gericht und auch von meinem Büro, was es kompliziert macht, ihn regelmäßig zu besuchen.

ZEIT ONLINE: Ich habe Kenntnis von drei Dokumenten der spanischen Ermittler, einer Art Zusammenfassung der Vorwürfe, vom Protokoll einer ersten Vernehmung nach der Festnahme sowie einer „Faktensammlung“ der Ermittler. Die Vorwürfe der spanischen Ermittler wiegen schwer, sie beinhalten unter anderem Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung, Terrorpropaganda und -finanzierung. Können Sie uns sagen, wie weit fortgeschritten die Ermittlung ist? Und wurde Abu Adam bereits offiziell angeklagt?

Boye: Er wurde noch nicht offiziell angeklagt, das wird später passieren.

ZEIT ONLINE: Wer genau führt eigentlich die Ermittlungen?

Boye: Der Instruction Court Number 6 des Nationalen Gerichtshofes. Aber bisher wurde die gesamte Ermittlung von einer einzigen Polizeieinheit geführt.

ZEIT ONLINE: Wie viel Zeit haben die Behörden, bevor sie Abu Adam formal anklagen müssen?

Boye: Die maximale Dauer der U-Haft beträgt vier Jahre. Aber wir glauben, es ist an der Zeit, dass nun Anklage erhoben wird, denn die Ermittlungen laufen nicht mehr und es gibt bisher auch keine Beweise für fehlerhaftes Verhalten. Wir kämpfen dafür, dass Hesham Shashaa entweder vorläufig auf freien Fuß gesetzt wird oder der Fall ganz geschlossen wird.

ZEIT ONLINE: Die Ermittlungen laufen also derzeit nicht weiter?

Boye: Nicht wirklich. Alles, was in dem Fall vorliegt, sind die Annahmen einer Polizeieinheit, aber keine Beweise und keine weiteren Ermittlungen.

ZEIT ONLINE: Hören die Ermittler Zeugen an?

Boye: Nein. Sie haben ihre eigenen Schlüsse gezogen und scheinen kein Interesse daran zu haben, irgendetwas zu finden, das ihren ersten und unfundierten Annahmen widerspricht.

ZEIT ONLINE: Sie haben Hesham Shashaa geraten, nicht mit den Ermittlern zu sprechen. Ist das richtig?

Boye: Ja, es gibt keinen Grund, mit dem Gericht oder den Ermittlern zu sprechen, weil es keine Fakten oder Beweise gegen ihn gibt, also wissen wir gar nicht, was wir antworten sollen. Wenn der Ermittlungsrichter, der Staatsanwalt oder die Polizei uns etwas Neues präsentieren, werden wir antworten – aber nicht jetzt.

ZEIT ONLINE: Hesham Shashaas Familie sagt, sie versuche, Gegenbeweise zusammenzutragen, um zu demonstrieren, dass die Vorwürfe der Ermittler entweder auf Missverständnissen beruhen oder falsch sind. Die Familie sagt auch, dass sei schwierig, weil die Ermittler die meisten Dokumenten beschlagnahmt hätten, als Shashaa festgenommen wurde. Halten Sie es für möglich, dass es der Familie gelingt, Belege vorzubringen, die die Vorwürfe der Ermittler schwächen?

Boye: Wir werden jedes einzelne und alle möglichen Elemente finden, die seine Aktivitäten, seine Arbeit und seinen Lebenswandel demonstrieren können. Es ist nicht leicht, weil die Polizei seine Computer und Dokumente an sich genommen hat. Aber wir werden einen Weg finden.

ZEIT ONLINE: Die spanischen Ermittlungsakten zeigen, dass die Ermittler Shashaas Telefon abgehört haben, Gespräche mit seinem Anwalt in Deutschland eingeschlossen. Ist das nach spanischem Gesetz legal?

Boye: In diesem Fall ist der Großteil der Ermittlungen illegal und das werden wir beweisen.

ZEIT ONLINE: Es wird aus den Akten überhaupt nicht klar, wieso die Ermittlungen gegen Hesham Shashaa eingeleitet wurden. Kennen Sie den Grund?

Boye: Einfach nur, weil er nicht als Informant für die spanische Polizei arbeiten wollte. Er ist kein Spitzel, sondern ein verantwortungsbewusster Mann, der ernsthaft daran arbeitet, Menschen zu deradikalisieren; da kann er nicht gleichzeitig für die Polizei arbeiten.

ZEIT ONLINE: Sie sagen, er wurde vor Beginn der Ermittlungen gefragt, ob er als Informant arbeiten würde?

Boye: Ja. Und nachdem er Nein sagte, begannen die Ermittlungen gegen ihn.

ZEIT ONLINE: Ich muss der Klarheit halber noch mal nachhaken: Hat Hesham Shashaa Ihnen erzählt, dass er gefragt wurde, ob er als Informant für die spanische Polizei arbeiten würde – oder gibt es für diese Information eine weitere Quelle?

Boye: Er hat es mir gesagt. Und ich habe es durch weitere Quellen geprüft.

ZEIT ONLINE: Die Familie hat mir berichtet, dass Hesham Shashaa regelmäßig Besuch von einer Mitarbeiterin einer spanischen Sicherheitsbehörde erhielt. Wissen Sie etwas darüber?

Boye: Ja, das ist wahr, aber sie (diese Institution, YM) war an der Festnahme nicht beteiligt. Der ganze Fall wurde von der Polizei aufgemacht, nachdem er sich weigerte, als Informant zu arbeiten.

ZEIT ONLINE: Wenn deutsche Ermittler die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung nachweisen wollen, suchen sie für gewöhnlich nach einem Treueeid, den der Verdächtige abgelegt hat, oder schauen, ob er in einem Propagandavideo auftaucht und dadurch deutlich macht, dass er dazugehört. Wie funktioniert das in Spanien?

Boye: Nach dem Gesetz sollte es in Spanien ähnlich ablaufen. Aber in diesem Fall läuft alles verkehrt.

ZEIT ONLINE: In einem Fall hat Hesham Shashaa anscheinend versucht, einer Marokkanerin und ihren Kindern, die zuvor auf dem Gebiet des IS gelebt hatten, dabei zu helfen, nach Spanien zurückzugelangen. Laut den Ermittlern bestand ein internationaler Haftbefehl gegen diese Frau. Wie schätzen Sie das ein?

Boye: Nun, das sagt die Polizei. Aber woher sollte Shashaa wissen, dass es dieses Dokument gab? In jedem Fall ist es kein Verbrechen, ihr dabei zu helfen, zurückzukehren.

ZEIT ONLINE: Hesham Shashaa hatte Kontakt zu verschiedenen Personen, die ihrerseits Beziehungen zu Menschen im IS hatten. Er sagt, er habe diese Kontakte unterhalten, um Menschen zu deradikalisieren und davon abzuhalten, sich dem IS anzuschließen. Die spanischen Ermittler scheinen das nicht zu glauben. Sie glauben offenbar, Abu Adam habe das Gegenteil getan und vielmehr ein Netzwerk von Radikalen um sich herum aufgezogen. Glauben Sie, es wird Ihnen möglich sein, das zu beweisen?

Boye: Wir werden das zweifelsfrei beweisen. Es wird dauern. Aber wir werden nachweisen, dass es sich um falsche Anschuldigungen handelt.

ZEIT ONLINE: Von allen Vorwürfen, die gegen Shashaa erhoben werden: welcher ist aus rechtlichem Blickwinkel der schwerwiegendste oder derjenige mit den weitreichendsten potenziellen Konsequenzen?

Boye: Ich habe bisher keine Beweise gegen ihn gesehen, zumindest nichts, was man als Beweis betrachten kann. Die Polizei sagt, Shashaa tue möglicherweise x, y oder z – aber nie, dass er es getan habe. Weil er nichts Falsches getan hat.

ZEIT ONLINE: Natürlich haben auch Terrorverdächtige das Recht auf einen Anwalt. Aber können Sie uns sagen, warum Sie sich entschieden haben, Hesham Shashaa zu vertreten?

Boye: Ich glaube, er braucht eine gute Verteidigung. Und ich glaube außerdem, dass er unschuldig ist.

 

* Das Interview wurde schriftlich per E-Mail geführt. 

 


Haben Sie Hinweise oder Informationen, die für diese Recherche hilfreich sein könnten? Schreiben Sie an yassin.musharbash@zeit.de


Bisher erschienene Teile dieses Ermittlungsblogs: 

„Ein Imam unter Verdacht“

„Der Fall Peter“

„Was bedeutet: ‚um sie zu beruhigen‘?“

„Er hat hier so eine Axt“

„Ich bitte Sie, meine Worte zu veröffentlichen“

„Der Imam und das Geld“

 

„Er hat hier so eine Axt!“

Wieso hatte der Leipziger Imam Abu Adam so viel Kontakt zu IS-Verdächtigen? Teil 4 unseres Ermittlungsblogs

Von Yassin Musharbash

Irgendwann im Laufe des Jahres 2015 stirbt in Syrien ein marokkanischer IS-Kämpfer namens Hadj Tabbai, möglicherweise durch eine Rakete. Er hinterlässt seine Ehefrau Habiba A. und fünf Kinder, die ihm in den Möchtegern-Staat des IS gefolgt waren. Das jüngste der Kinder ist im Herrschaftsgebiet des „Islamischen Staates“ (IS) geboren und hat darum keinerlei Papiere. Die übrigen Familienmitglieder sind Marokkaner, deren Pässe allerdings abgelaufen sind. Der älteste Sohn ist ebenfalls ein IS-Kämpfer.

Hesham Shashaa alias Abu Adam

Im Januar 2016 ruft Hesham Shashaa beim marokkanischen Konsul in der südspanischen Stadt Valencia an. Er schildert dem Konsul, dass Habiba A. mit ihren vier jüngsten Kindern aus dem IS-Gebiet und aus Syrien abhauen möchte. Der älteste Sohn wolle bleiben. Shashaa sagt weiter, er habe versprochen, zu versuchen, der Familie zu helfen. Der Anruf beim Konsul dient offenbar der Erkundigung darüber, ob die Familie mit gültigen Papieren ausgestattet werden und nach Spanien, wo sie zuvor gelebt hat, zurückgebracht werden kann. Shashaa erwähnt, dass die Familie eine spanische Aufenthaltsgenehmigung habe. „Ich brauche grünes Licht“, schließt Shashaa das Gespräch, „um die Person zu finden, die sie herausholen kann.“

Hesham Shashaa, besser bekannt als Abu Adam, ist der Mann, um den sich dieses Ermittlungsblog dreht. Seit Ende April 2017 sitzt er in Spanien in Untersuchungshaft. Er gilt als terrorverdächtig. (Einen Überblick über die Vorwürfe gegen ihn habe ich in der dritten Folge aufgeschrieben, Sie können sie hier lesen.) Der Leipziger Imam sagt von sich selbst, er sei ein Kämpfer gegen den Dschihadismus. Wenn er Kontakte im Umfeld von IS-Anhängern habe, dann diene das allein seiner Tätigkeit als Deradikalisierer.

Die spanischen Ermittler sehen das anders. Das oben zitierte Telefonat wurde abgehört, eine Teilabschrift findet sich in den Ermittlungsakten. Die Spanier sagen, das Gespräch zeige, dass Abu Adam in der Lage sei, im IS-Gebiet relevante Personen zu finden. Und es belege, dass Abu Adam die Absicht habe, „kämpfende Mitglieder des IS“ nach Spanien zu schaffen – wo es dann denkbar sei, dass diese Anschläge planen. Außerdem steht in den Akten, dass für Habiba A. ein Haftbefehl wegen Terrorverdachts besteht.  Abu Adam beteuert währenddessen in seiner Vernehmung, die Frau denke anders als ihr getöteter Mann. Sie sei also nicht auf IS-Linie.

Abu Adam sieht angeblich: Eine unschuldige Frau mit vier Kindern, der er helfen will, aus dem IS-Gebiet zu entkommen.

Die Ermittler sehen hingegen: eine terrorverdächtige Frau, der Abu Adam, an den Behörden vorbei, helfen will, aus dem IS-Gebiet nach Spanien zu gelangen.

Es ist nachvollziehbar, dass den Ermittlern Abu Adams Vorgehen nicht gefällt. Zumal es häufiger vorkommt, dass der Imam seinen Kontakten vorschlägt, doch nach Spanien zu kommen.

In dieser Folge des Ermittlungsblogs werde ich einige der Fälle durchgehen, die den spanischen Ermittlern am verdächtigsten vorkommen. Sie sind ziemlich unterschiedlich, und nicht alle sind so gut dokumentiert wie der Fall Habiba A.

Drei Fälle aus Deutschland

Habib: Abu Adam telefoniert mit einem Mann namens „Habib“ in Deutschland. Der habe seinerseits mit zwei Leuten in Kontakt gestanden, die mit nach Syrien gegangen seien, heißt es in den Akten. Daraufhin hat Habib offenbar eine Aufenthaltsbeschränkende Maßnahme auferlegt bekommen. Mehr erfährt man nicht. Ich habe versucht, Habib zu erreichen, um mehr über die Natur der Beziehung herauszufinden, aber das hat nicht geklappt.

Daniel: Abu Adam telefoniert mit einem Mann namens „Daniel“, ebenfalls in Deutschland. Daniel  sagt, er habe ein gutes Leben, eine Unterkunft, einen Gebetsteppich. Man solle nicht danach streben, den Menschen zu gefallen, sondern Gott. Mehr erfährt man nicht. Auch Daniel habe ich nicht erreichen können.

Karim: Abu Adam telefoniert mit einem Mann namens „Karim“, der ihn mit „Meister“ anspricht. Auch ihm sind offenbar Maßnahmen auferlegt worden, die seine Bewegungsfreiheit einschränken. Offenbar sprechen die beiden über die Möglichkeit einer Ehe, die man zu dem Zweck schließen könnte, dass er reisen kann. Abu Adam sagt, es wäre ihm ein Vergnügen, mit ihm zusammen nach Spanien zu reisen. Die Ermittler schreiben, die halten Karim für einen „prototypischen Schüler Abu Adams“, ein junger, muslimischer, radikaler Deutscher, der offenbar erwäge, im Ausland im Dschihad zu kämpfen. Auch Karim konnte ich nicht erreichen, um nachzufragen.

Zu allen drei Männern befragt, erklärt Abu Adam in seiner Vernehmung den Akten zufolge, er kenne sie nicht. Warum er das sagt, verstehe ich nicht. Will er sie schützen? Sich schützen? Erinnert sich nicht? Hier bleiben einstweilen Fragen offen. Der Leipziger Anwalt Abu Adams erklärte dazu, dass die Familie dabei sei, entlastendes Material aus eigenen Unterlagen zusammenzustellen, dies aber der Umstände halber schwierig sei. Sobald es zusammengestellt sei, wäre die Familie bereit, es so weit möglich mitzuteilen.

Wer ist der Scheich? 

Abou El Khouloud: Die Ermittler schreiben, die Analyse von Abu Adams Telefonaten mit Dritten habe ergeben, dass Abou El Khouloud ein radikaler Islamist sei, der entweder zum IS oder einer ähnlichen Gruppe gehöre, an logistischen Aktivitäten zugunsten seiner Gruppe im Irak teilgenommen habe und Abu Adam eng verbunden sei. In der Vernehmung sagt Abu Adam, er habe keine Ahnung, wer Abou El Khouloud sei.

Fürstenfeldbrück: Abu Adam habe in Fürstenfeldbrück in einer Moschee Kontakt zu einer Gruppe Mädchen gehabt, schreiben die Ermittler, die ihrerseits Leute kannten, welche dem IS nahestehen und zum Kämpfen nach Syrien wollten. In der Vernehmung dazu befragt, sagt Abu Adam, er habe keinen solchen Kontakt gehabt. Andererseits gibt es in den Akten eine Passage aus einem abgehörten Telefonat, in dem Abu Adam sagt, er habe sich „eingemischt“, um die Töchter einiger Personen „zu beschützen“, weil diese nach Syrien hätten reisen wollen. Ich vermute, dass es sich um denselben Vorgang handelt, da er anscheinend ebenfalls in Fürstenfeldbrück spielt.

Georgous P.: Hier geht es um einen jungen Mann, der sich offenbar von Deutschland aus zum IS aufgemacht hat. In den Akten tauchen zwei abgehörte Telefonate mit Journalisten auf, aus denen hervorgeht, dass Abu Adam den Mann gekannt hat. Mehr erfährt man nicht. In seiner Vernehmung bestätigt Abu Adam, dass er den Mann kennt und erwähnt eine „radikale persische Braut“. Abu Adams Ehefrau sagte mir, dass ihr Mann mehrere ausreisewillige Radikale der Polizei gemeldet habe, darunter Georgous P. Ein Beleg dafür werde gesucht. (Ich liefere diesen und andere Belege nach, wenn/sobald sie mich erreichen.)

Mohammed I.: In der Vernehmung fragen die Ermittler Abu Adam nach einem Marokkaner dieses Namens, der in Alicante gelebt habe (also in der Nähe der Teilzeit-Residenz von Abu Adam), und der sich dem IS angeschlossen habe. Ja, bestätigt Abu Adam, er kenne ihn, der Mann sei tot. Zuvor sei er „Schüler an der Moschee in Alicante“ und sehr radikal gewesen. Weitere Informationen gibt es nicht.

Abdallah Al-Muslih: Dieser Mann habe Verbindungen zu Terrorgruppen im Irak, schreiben die Ermittler. Dazu befragt, sagt Abu Adam in der Vernehmung, es handle sich um einen Imam, der ab und zu nach Deutschland komme. Es habe aber seit sechs Jahren keinen Kontakt zwischen ihnen gegeben. Welcher Natur der Kontakt vorher war, darüber gibt es in der Aussage keine Auskunft. Ich bin mir noch nicht abschließend sicher, ob es sich um diesen Imam handelt, aber falls ja, dann hat er offenbar in einer Fernsehshow Selbstmordattentate für unter bestimmten Ansichten als akzeptable Taktik bewertet. Anderenorts soll sich Al-Muslih gegen Terrorismus positioniert haben, das habe ich noch nicht verifizieren können.

Zwei Fälle, die gar nicht in den spanischen Akten stehen

Morgen, am Donnerstag, erscheint in der ZEIT eine Geschichte über einen deutschen Dschihadisten, der beim IS zum Folterknecht aufgestiegen ist und mutmaßlich auch für mehrere Morde verantwortlich ist. Der Mann heißt Martin Lemke, er stammt aus Sachsen-Anhalt und hat eine Zeit lang in Sachsen gewohnt.

Auch Martin Lemke hatte mit Abu Adam Kontakt. Das ist ein Ergebnis meiner eigenen Recherchen und steht nicht in den spanischen Akten.

„Hatte gerade ein sehr nettes Gespräch mit Imam Abu Adam Shashaa“, schreibt Lemke am 7.1.2013 auf seiner Facebook-Seite. Etwas über eine Woche davor hatte er noch geschrieben, dass er bereit sei, für seine Religion zu sterben. Martin Lemke ist also zu diesem Zeitpunkt schon extrem radikal, wenn auch noch nicht als IS-Anhänger oder -Mitglied in Erscheinung getreten. Das wird noch über anderthalb Jahre dauern. Erst im November 2014 reist er nach Syrien; wenige Monate davor dockt er an das Netzwerk des Hildesheimer Scheichs Abu Walaa an, der sich derzeit vor Gericht wegen IS-Mitgliedschaft verantworten muss und Lemke den Weg ins „Kalifat“ geebnet haben soll.

Nach meinen Recherchen und denen meiner Kollegen Christian Fuchs und Holger Stark suchte Lemke damals Abu Adams Rat wegen Eheproblemen. Sicher ist, dass Lemkes Ehefrau sich im Laufe des Jahres 2013 von ihm trennte, weil sie nicht akzeptierte, dass er eine Zweitfrau wollte. Es ist also durchaus möglich, dass es um Beratung in dieser Frage ging. Die Sicherheitsbehörden haben diese Information offenbar nicht, jedenfalls findet sie keine Erwähnung. Stattdessen schreiben sie, es sei nicht auszuschließen, dass – neben anderen Imamen und Predigern – auch Abu Adam einen Anteil an der ideologischen Entwicklung Lemkes habe; allerdings scheint es für diese Hypothese keine Belege zu geben.

Bereits im Oktober dieses Jahres hat mein Kollege Daniel Müller die Geschichte eines Zwillingspaares aus NRW aufgeschrieben, die sich dem IS anschlossen und als Selbstmordattentäter im Irak starben. Auch hier bin ich auf eine Verbindung zu Abu Adam gestoßen. Einer der beiden Zwillinge, Kevin, reiste von März bis April 2014 nach Kuwait. Er wolle sein Arabisch verbessern, hatte er gesagt. Auf seinem Handy fanden Ermittler später zahlreiche Bilder von Sehenswürdigkeiten. Es gibt keine Hinweise darauf, dass die Reise etwas anderes war als ein Studientrip.

Abu Adam hat diese Reise offenbar organisiert. Das belegen SMS an Kevin, in denen Abu Adam ihn auffordert, einen gültige Passkopie zu schicken. Außerdem teilt Abu Adam mit, dass er eine WhatsApp-Gruppe namens „Gruppe A Kurs Darul Quran Kuwait“ einrichten wolle. Möglicherweise also eine Chatgruppe, in der sich die Teilnehmer des Arabischkurses austauschen können. (Darul Quran, ‚Haus des Korans‘, ist der Name des Moscheevereins, hinter dem Abu Adam steht.)

Juli 2014, drei Monate nach seiner Rückkehr, reist Kevin mit seinem Bruder zum IS. Später finden Ermittler bei einem der Gefolgsleute Abu Walaas, mit dem die Zwillinge zu tun hatten, einen handschriftlicher Zettel. Darauf folgende rätselhafte Notiz: „Alibi Studium Kuwait“. Die Ermittler vermuten, damit könnte gemeint sein, dass der Kurs eine Art Vorbereitungsphase für eine spätere Ausreise gewesen sein könnte. Belege gibt es dafür aber nicht. Auch nicht in die Verstrickung Abu Adams in diesen möglichen Plan.

Wie gesagt: Wegen der Untersuchungshaft ist es derzeit nicht möglich, Abu Adam dazu zu befragen. Sobald das möglich sein sollte, werde ich das nachholen.

Der Fall Amina 

Ich beschließe diesen Post mit einem besonders dramatischen Fall. Er dreht sich um eine junge Frau namens Amina, die psychisch labil ist und in deren Umfeld es nach meinen Informationen Ausreisen nach Syrien gegeben hat. Die spanischen Ermittler halten sie für extremistisch und glauben, dass Abu Adam auch sie nach Spanien verbringen wollte. Abu Adam macht geltend, dass er zu der Zeit, in der der Vorgang spielt, gerade dabei war, Amina zu deradikalisieren.

In den Akten wird aus Telefonaten zwischen den beiden zitiert. Sie verliere den Verstand, sagt Amina, sie plane ihren Weg zum IS. Du kannst zu mir kommen, wir finden einen Weg, sagt Abu Adam.

Im Januar 2016 eskaliert die Lage. Ein Mann, mit dem Amina sich eingelassen hat, will sie offenbar zwingen, sie zu heiraten. Er ist allem Anschein nach ein durchradikalisierter IS-Anhänger. Er schließt Amina ein. Heimlich ruft sie Abu Adam an.

Ich hatte Gelegenheit, einige gespeicherten WhatsApp-Sprachnachrichten anzuhören. Im Folgenden Auszüge:

Amina schildert, dass sie in der Wohnung festsitze. Der Mann habe „nur Dawla im Kopf“. Dawla, arabisch für „der Staat“, ist ein Begriff, der oft für den IS verwendet wird. Der Mann habe auch Abu Adam für vogelfrei erklärt, weil der gegen den IS sei.

„Du Arme“, antwortet Abu Adam, „dein Glück ist scheiße.“ Sie müsse befreit werden, fährt er fort. „Mit Polizei, mit alles. Die mit Dawla im Kopf sind beschissene Menschen, die haben keine Gefühle.“

„Der ist voll stark“, sagt Amina. „Und er hat hier so eine Axt.“

„Ich komme mit der Polizei“, sagt Abu Adam. „Dich abholen und tschüss! Ich kann nichts gegen deinen Willen machen.“

„Ich habe Angst, dass er meinen Kopf abschneidet“, sagt Amina.

„Er wird überrascht … Schreib mir das alles, Adresse, und lösche das, bevor er kommt. Und ich mache meine Arbeit!“

Amina schickt ihm noch ein Foto mit einer Fahne, die sie an der Wand entdeckt hat, und fragt, ob das die Flagge des IS sei.

Als Nächstes wendet Abu Adam sich an Claudia Dantschke von der Beratungsstelle Hayat: Es gebe ein Problem mit einem „deradikalisierten Mädchen“. Er bittet, dass Dantschke ihm die Nummer einer zuständigen Polizeidienststelle in NRW besorgt.

In den spanischen Akten dann die Fortsetzung, nämlich Abu Adams Anruf bei der Polizei: „Amina wird von ihrem Ehemann bedroht, die Leute, mit denen er zu tun hat, sind IS.“ Er kenne sich damit aus, er beschäftige sich mit Deradikalisierung und arbeite mit solchen Leuten.

Am Tag darauf schreibt Abu Adam eine Nachricht an Claudia Dantschke: Amina sei befreit. (Ob durch die Polizei oder auf welche Weise genau, das weiß ich nicht.)

Obwohl der gesamte Vorgang mehr oder weniger auch in den spanischen Akten bekundet ist, betrachten die Ermittler ihn vor allem unter dem Gesichtspunkt, dass sie Amina für radikal halten, dass Abu Adam ihr Hinweise gegeben hat, wie sie vertraulich kommunizieren kann und dass er mit ihr und mit seinem deutschen Anwalt darüber spricht, ob sie nicht zum Zwecke der Deradikalisierung nach Spanien kommen könne.

Wie lautet das Fazit dieser Folge? 

1. Abu Adam hat sich in seiner Vernehmung entweder gar nicht zu den Vorhalten geäußert oder so, dass es nicht ausreichend war, jeden Verdacht auszuräumen, es könne um etwas anderes als Deradikalisierung gegangen sein.

2. Der Fall Habiba A. zeigt, dass Abu Adam eine Tendenz hat, sich zu überschätzen. Es liegt eine ziemliche Anmaßung darin, wenn man jemanden, der eine gewisse Zeit beim IS verbracht hat, einfach nach Europa zu holen versucht. (Ob das strafbar ist, ist noch mal eine andere Frage.)

3. Die Kontakte und die Umstände der Kontakte zu den späteren IS-Terroristen Lemke und Kevin sind erklärungsbedürftig. Warum organisierte Abu Adam eine Kuwait-Reise? Wer ist mitgefahren? Was ist dort geschehen? Hat das Abu-Walaa-Netzwerk die Studienreise heimlich als Test für die spätere Ausreise Kevins genutzt? Wusste Abu Adam, dass Kevin mit dem Abu-Walaa-Netzwerk in Kontakt stand?

4. Abu Adam macht geltend, dass er zwar oft mit vom IS beeinflussten Personen zu tun hatte, aber nur, um sie zu deradikalisieren. Es wäre hilfreich, wenn es mehr Belege dafür gebe, dass er, wie zum Beispiel im Fall Georgous P. behauptet, tatsächlich die Polizei eingeschaltet hat.

5. Der Fall Amina, der gut dokumentiert ist, belegt indes, dass Abu Adam mindestens einmal tatsächlich die Polizei eingeschaltet hat, und das sogar in einem Fall, in dem das vermutlich auch notwendig war. (Der Fall enthält zudem eine klare und nicht öffentlich gefallene Positionierung gegen den IS.)

6. Abu Adam scheint gerne Leute um sich zu scharen, jedenfalls fällt öfter der Vorschlag, doch auch nach Spanien zu kommen. Ich verstehe das Unbehagen der spanischen Ermittler. Ich vermute, dass ein Teil ihrer Anschuldigung, Abu Adam ziehe klandestin ein Netzwerk auf, damit zusammenhängt.

7. Zugleich habe ich in den Telefonaten, aus denen die spanischen Ermittler zitieren, keine Äußerung Abu Adams finden können, in der er den IS gutheißen würde.

Dabei will ich es für heute belassen. Ich werde aber sicher noch mal auf den einen oder anderen Fall zu sprechen kommen.

Für Freitag plane ich eine Folge, in der ich mich mit ersten Reaktionen auf dieses Blog befassen will.


Haben Sie Hinweise oder Informationen, die für diese Recherche hilfreich sein könnten? Schreiben Sie an yassin.musharbash@zeit.de


Bisher erschienene Teile dieses Ermittlungsblogs: 

„Ein Imam unter Verdacht“

„Der Fall Peter“

„Was bedeutet: ‚um sie zu beruhigen‘?“

 

Der „Islamische Staat“ verliert seine Nummer zwei

Die Nachricht war denkbar knapp: „Märtyrertod des Scheichs Abu Mohammad Al-Adnani, des offiziellen Sprechers des ‚Islamischen Staates‘, während der Überwachung von Maßnahmen zur Zurückschlagung der militärischen Angriffe auf Aleppo“. Um 19.47 Uhr am Dienstagabend verbreitete die dschihadistische, mit dem IS verbündete Propagandastelle Amak diese Meldung unter Berufung auf „militärische Quellen“, worunter der IS selbst zu verstehen ist. Eine unabhängige Bestätigung für den Tod Al-Adnanis steht aus; aber Amak-Meldungen haben sich in den letzten Monaten meistens bewahrheitet. In der dschihadistischen Szene wird die Nachricht denn auch nicht angezweifelt.

Für den IS ist der Tod ihres Sprechers eine herber Rückschlag: Niemand sonst aus dem Inneren der Terrorgruppe war präsenter. Mehrere Terroristen, die im Westen zugeschlagen haben, beriefen sich auf seine Aufrufe, den Terror in die Welt zu tragen. In den Onlinemedien des IS, ob Magazine oder Videos, war Al-Adnani der am häufigsten zitierte Repräsentant der Terrorgruppe. Immer wieder erklärte er die Strategie und Taktik des IS – mal indem er dazu aufrief, alle denkbaren Waffen gegen die „ungläubigen“ Schiiten einzusetzen; mal indem er von Anhängern des IS verlangte, sich ins „Kalifat“ in Syrien und im Irak zu begeben, um diesen „Staat“ mit aufzubauen; mal indem er theatralisch zu Gewalttaten auf der ganzen Welt aufrief, was zum Beispiel so klang: „Du musst die Soldaten, Patronen und Truppen der Tawaghit (Unterdrücker, YM) angreifen. Greife ihre Polizei-, Sicherheits- und Geheimdienstmitarbeiter (…) an. Mache ihnen ihr Leben bitter (…). Wenn du einen ungläubigen Amerikaner oder Europäer (…) oder einen Australier oder einen Kanadier (…) töten kannst, dann vertraue auf Allah und töte ihn auf jede mögliche Art und Weise.“

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Was die Ramadan-Terrorkampagne des IS bedeutet

Am Dienstagmorgen veröffentlichte Amarnath Amarasingam von der kanadischen Dalhousie University via Twitter einen aufschlussreichen Ausschnitt aus einem Chat, den er mit einem Anhänger der Terrorgruppe „Islamischer Staat“ (IS) geführt hat. Der Dialog kreist um den Anschlag, der sich am Montagabend in unmittelbarer Nähe der Prophetenmoschee in Medina in Saudi-Arabien ereignet hat und bei dem vier Menschen ums Leben kamen.

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„Sam, wir müssen reden!“

„So, fertig!“, rief Sam gut gelaunt. „Das Fliegengitter sitzt. Jetzt kommt auch in dein Zimmer keines von diesen Monstern mehr rein!“

„Danke dir!“, antwortete Michaela.

Es war nett, dass Sam an ihr Fenster gedacht hatte. Er war handwerklich allerdings auch viel geschickter als sie. Sie hätte Stunden gebraucht; und selbst dann wäre sie unsicher gewesen, ob sie vielleicht eine undichte Stelle übersehen hätte.

Es war schon o.k., mit Sam in einer WG zu leben. Sie wusste, dass er auch mit Francoise und mit Penny was am Laufen hatte. Aber hey, irgendwie kamen sie alle gut miteinander aus. Hauptsache, sie gaben aufeinander acht. Und Sam eben auf sie alle. Weiter„„Sam, wir müssen reden!““

 

Wie starb Osama Bin Laden wirklich?

Seymour Hersh ist eine Legende, und das zu Recht. Er hat das 1969 von US-Soldaten verübte Massaker in der vietnamesischen Ortschaft My Lai enthüllt; er hat 2004 maßgeblich an der Aufdeckung des Folterskandals von Abu Ghraib im Irak mitgewirkt. Das sind Verdienste, die ihm niemand nehmen kann. Das ist mehr, als die allermeisten Reporter in einem Leben leisten.

Das heißt aber nicht, dass jeder Artikel von Seymour Hersh zu Buchstaben geronnene Wahrheit ist. Im Gegenteil, in den letzten paar Jahren hat er einige eher krude und auch nicht besonders gut belegte Verschwörungen offenzulegen versucht. Seine Behauptung etwa, dass ein großer Teil der US-Spezialkräfte vom Opus Dei gesteuert würde… Na ja.

Am Sonntag nun hat Hersh mal wieder eine Bombe gezündet: 10.000 Worte umfasst sein Artikel im London Review of Book, darin behauptet die Journalistenlegende nicht weniger, als dass ungefähr alles gelogen war, was wir bisher über die Tötung Osama bin Ladens, den Weg dorthin und die genauen Umstände gehört haben.

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Hat die Türkei mit dem „Islamischen Staat“ gedealt?

Ende September gelang es der Türkei, nach mehr als drei Monaten 46 türkische Staatsbürger freizubekommen, die der „Islamische Staat“ (IS) im Juni im Irak als Geiseln genommen hatte. Ein spektakulärer Erfolg. Zumal, wie die Regierung betonte, kein Lösegeld bezahlt worden sei.

Warum aber gab der IS die Geiseln dann frei? Zahlreiche Spekulationen darüber sind in den vergangenen Wochen angestellt worden, viele Kommentatoren vermuteten, dass die Türkei etwa zugesagt haben könnte, sich nicht über die Maßen am Kampf gegen das Terror-Kalifat zu beteiligen.

Vielleicht war es aber noch anders.

Die Londoner Times berichtet heute, dass ihren Quellen zufolge zwei britische Dschihadisten unter einer weit größeren Zahl von Gotteskriegern gewesen seien, welche die Türkei als Gegenleistung freigelassen habe. Es geht demnach um insgesamt bis zu 180 Islamisten, die in türkischen Gefängnissen oder Krankenhäusern festsaßen. Dem Blatt liegt offenbar eine entsprechende Liste vor.

Die BBC griff den Bericht auf und ergänzte, dass Beamte im britischen Außenministerium den Times-Bericht für glaubwürdig hielten.

Ein solcher Deal wäre sicher nicht im Sinne der westlichen und arabischen Verbündeten der Türkei, die sich im Kampf gegen den IS engagieren. Zumal die Türkei jahrelang nicht genau hingesehen hat, wer so alles über ihre Grenze nach Syrien eingesickert ist. Für die meisten der Hunderten Dschihadisten aus Europa, die dorthin gezogen sind, war das die Route, die sie ins Kampfgebiet wählten.

Einer, der beim Versuch, nach Syrien zu gelangen, in der Türkei hängenblieb, ist ein österreichischer Hassprediger mit ägyptischen Wurzeln: Mohamed Mahmoud. Er saß in Österreich mehrere Jahre wegen Terrorismus im Gefängnis, ging danach nach Deutschland, dann nach Ägypten. Er gehört zum Umfeld des Berliner Ex-Rappers DesoDogg alias Abu Talha al-Almani, der heute regelmäßig für den IS Propaganda verbreitet (mutmaßlich von Syrien aus).

Mahmouds Haftbedingungen in der Türkei waren allerdings offenkundig sehr kommod. Er konnte weiterhin online Hasspredigten veröffentlichen. Ein deutscher Nachrichtendienstler nannte es eine Art Hausarrest.

Nun ist Mahmoud ebenfalls frei. Steht auch seine Freilassung im Zusammenhang mit der Freilassung der türkischen IS-Geiseln?

Dass Mahmoud frei ist, hat das österreichische Innenministerium bestätigt. Über einen Zusammenhang zur Freilassung will Wien aber nicht spekulieren. Die türkischen Behörden, so ein Sprecher des Ministeriums in Wien, hätten lediglich mitgeteilt, die zeitliche Höchstgrenze für Polizeihaft sei in seinem Fall erreicht gewesen.

In Österreich wird wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung gegen Mahmoud ermittelt – es geht um den IS. Außerdem, so der Sprecher, werde in Österreich geprüft, wie es eigentlich um die Staatsangehörigkeit des Radikalen bestellt sei. Man prüfe Hinweise, Mahmoud habe bei seinem Ägypten-Aufenthalt die dortige Staatsbürgerschaft angenommen.

Bis jetzt hat Mahmoud sich noch nicht öffentlich zu Wort gemeldet. Überraschend wäre es nicht, wenn er demnächst an der Seite von Abu Talha al-Almani in einem Video zu sehen wäre. Die beiden zählen zu den Führungsfiguren der deutschsprachigen dschihadistischen Szene.

Ob die Türkei Mahmoud wirklich im Austausch freigelassen hat, ist also nicht klar. Aber vorstellbar.

Sollte sich der Bericht der Times über insgesamt 180 freigelassene militante Islamisten bestätigen, wäre Mahmoud allerdings womöglich nicht einmal das größte Problem. Die Türkei dürfte sich einige Fragen gefallen lassen müssen – wenn nicht öffentlich, dann gewiss hinter verschlossenen Türen.

 

 

 

 

Kalifat und Angstlust

Ist Saudi-Arabien das nächste Ziel der Terroristen des Islamischen Staates? Oder Jordanien? Oder Israel? Der Libanon vielleicht? Oder doch zuerst die USA?

Wenn man sich durch die aktuellen Schlagzeilen großer, internationaler Medien zu den Vorgängen im Irak und in Syrien wühlt, könnte man denken, es sei nur noch eine Frage von Tagen, bis irgendwo außerhalb des Iraks ein gigantischer Anschlag stattfindet. Oder bis die Dschihadisten des Islamischen Staates, frisch befeuert durch ihre Ausrufung eines Kalifats, vor Mekka und Medina auftauchen. Weit weniger Augenmerk scheint darauf gelegt zu werden, was diese Terroristen derzeit tatsächlich tun: irakische Zivilisten und Soldaten ermorden.

Dabei kann ich ja verstehen, dass die Frage gestellt wird, was der Islamische Staat (IS) als nächstes vorhat, nicht nur im Irak, sondern in der Region und darüber hinaus. Diese Frage ist gerechtfertigt, denn die Vorläuferorganisationen des IS haben stets eine internationale Agenda verfolgt, zum Beispiel mit Bombenanschlägen in Jordanien vor fast zehn Jahren und Plänen für Anschläge in Europa schon in den neunziger Jahren.

Aber Szenarien auszumalen ist nicht Dasselbe wie Fragen aufzuwerfen und Antworten zu suchen. Ich will nicht zynisch klingen, aber einige Berichte schmecken fast nach Angstlust. Warum noch nach Informationen suchen, wenn irgendwie alles denkbar ist?

Der US-Sender NBC zum Beispiel hat ungenannte Experten gefunden, die der Meinung sind, dass der IS eine „extrem große“ Gefahr für US-Interessen darstelle. Vermutlich stammen die Quellen aus den Sicherheitsbehörden. Solche Behörden warnen immer, denn sie wollen niemals die sein, die am Ende nicht gewarnt haben. In dem Report wird dann alles zusammengeworfen: Die Möglichkeit, dass IS-Kämpfer den internationalen Flughafen von Bagdad attackieren könnten; die Möglichkeit, dass der IS US-Botschaften in der Region angreifen könnte; die Möglichkeit, dass es einen IS-Anschlag in den USA geben könnte. Tatsächlich sind das drei Szenarien, zwischen denen Größenordnungen von Wahrscheinlichkeiten liegen. Und gar nicht gestellt wird die Frage, ob US-Ziele derzeit für IS wirklich Priorität haben.

Die ehemals renommierte Londoner Times schreibt derweil, dass Al-Kaidas Filiale in Nordafrika (Aqmi) dem IS Unterstützung zugesagt habe und die Al-Kaida-Filiale auf der Arabischen Halbinsel (Aqap) ihre besten Grüße sende. Beides ist irreführend. Es gibt einen Prediger aus dem Aqap-Umfeld, der sich lobend über den IS geäußert hat, aber er betonte zugleich, dass er überhaupt niemanden repräsentiere. Und gegrüßt hat eine unbedeutende Aqmi-Unteruntergruppe. Das war es auch schon. Die Times zitiert aber zusätzlich schon mal „Experten“, die prophezeien, es sei nur noch eine Frage der Zeit, bis auch die Schabaab-Milizen in Somalia und Boko Haram in Nigeria nachzögen.Womit nachziehen? So entsteht vor dem geistigen Auge der Leser das Gemälde einer Terror-Internationale, das in der Wirklichkeit kein Pendant hat. Sicher: Wer kann schon ausschließen, dass es so kommt? Natürlich niemand. Aber ich kaufe doch keine Zeitung, um zu erfahren, was so alles denkbar ist in dieser Welt.

Denn denkbar ist immer viel. Natürlich auch, dass Aqap seine besten Bombenbauer nach Syrien schickt. Und wenn ich bei der CIA arbeiten würde, wäre es womöglich tatsächlich Teil meines Jobs, mir das vorzustellen. Vielleicht sogar, dass am Ende einer solchen möglichen Kooperation ein Anschlag auf einen US-Jet stehen könnte. Das nennt man dann ein Szenario. Keine Nachricht. Aber im Moment werden aus Szenarien schnell vermeintliche Nachrichten, zum Beispiel im Telegraph, in dem die entsprechende Schlagzeile heißt: „Das Weiße Haus befürchtet, Al-Kaida-Ableger könnte Anschlag auf Flugzeug auf dem Weg in die USA planen“. Etwas genauer ist der Ursprungsbericht von ABC. Aus dem geht wenigstens hervor, dass es irgendwelche Geheimdienstinformationen gibt, auf denen das Szenario basiert. Aber welche das sind, wie zuverlässig und wie aktuell, erfahren wir nicht. Weil auch ABC es nicht weiß. Aber spüre ich irgendwo in dem Beitrag einen Hauch von Misstrauen gegenüber solchen angeblichen Geheimdienstinformationen? Nein.

Noch eine Schlagzeile aus dem Telegraph muss ich hier wiedergeben. „Hat der Islamische Staat Scud-Raketen?“, fragt das Blatt bang. Der Grund ist, dass der IS auf einer Militärparade eine solche erbeutete Rakete vorgeführt hat. Im Text selbst gibt der Telegraph dann Entwarnung und zitiert den Experten-Blogger Eliot Higgins mit dessen einschlägigem Tweet: „Die einzige Gefahr, die von dieser Scud-Rakete ausgeht, besteht darin, dass der IS aus Versehen einen Fußgänger überfährt, während er sie präsentiert.“ Higgins ist sich mit anderen Experten einig, dass die Scud-Rakete nicht einsatzfähig ist. Hier haben wir es also mit dem sozusagen umgekehrten Fall zu tun: Es wird eine Frage gestellt, obwohl die Antwort bekannt ist. Aber warum? Weil die Frage so viel dramatischer als die Antwort ist? Weil es ohne die Frage eine Nicht-Meldung wäre? 

Wie gesagt: Als gäbe es nicht genug zu berichten über die aktuellen Untaten des Islamischen Staates.

Trotzdem bin ich nicht der Ansicht, dass es falsch ist, sich mit Szenarien auseinanderzusetzen oder Spekulationen darüber anzustellen, was der IS als nächstes vorhat. Nur bevorzuge ich es, wenn es eine Faktengrundlage gibt, von der man ausgeht. Also zum Beispiel: Die Vorgeschichte, der track record, dieser Gruppe. Oder die Reden ihrer wichtigsten Kader, die natürlich immer noch Propaganda sein können, aber wenigstens den Vorteil haben, dass sie sich ja auch an die eigenen Anhänger und Kämpfer richten und deswegen durchaus etwas über Ideologie und Strategie verraten.

Aber vor allem gehört es dazu, immer wieder ehrlich zuzugeben, was wir alles nicht wissen. Und im Falle des IS ist das sehr viel. Im Vergleich zum IS war Al-Kaida ein offenes Buch. Im Falle von Al-Kaida war es über die Jahre jedem Interessierten möglich, sich auch unabhängig von Sicherheitsbehörden ein Bild von der Organisation und ihrem Führungspersonal zu machen. Es gab zahlreiche Bücher, die diese verfasst haben; Reden, die sie gehalten haben; glaubwürdige Berichte von Aussteigern, die sie gut kannten; Videos, in denen man sie agieren sehen konnte. Im Falle der aktuellen IS-Führung gibt es all das nicht. Und ich bin sicher, dass die Geheimdienste dieser Welt das Problem ebenfalls haben.

Der Islamische Staat ist eine monströse Terrorgruppe. Ich selbst würde kaum ein Schreckensszenario kategorisch ausschließen. Aber gerade bei Fragen, die für solche Szenarien bedeutsam sind, wie etwa die, ob Al-Kaidas Filialen sich nun tatsächlich oder eben doch nicht oder nur teilweise dem IS unterstellen, kommt es auf kleinteilige Informationssuche an, nicht auf den großen Pinselstrich.

 

Wollen Sie den Lauf der Welt beeinflussen? Bewerben Sie sich hier!

Ab und zu schaue ich auf die Webseiten der einschlägigen Geheimdienste dieser Welt, um zu schauen, in welchem Bereich diese gerade neues Personal suchen; das ist mitunter ganz aufschlussreich. Der britische Mi5 etwa, ein Inlandsgeheimdienst irgendwo zwischen dem deutschen Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) und dem US-Ministerium für Heimatschutz, sucht derzeit Russisch-Experten, die Telefonate abhören und Dokumente übersetzen sollen („abgefangen mit Genehmigung“, steht extra dabei). Der Job ist frisch ausgeschrieben; ziemlich naheliegend daher, dass er mit der Ukraine-Krise in Verbindung steht.

Interessant ist auch, wie enthusiastisch britische und US-amerikanische Geheimdienste ihre Jobs anpreisen – vor allem im Gegensatz zu den extrem nüchternen deutschen Diensten.

Die CIA etwa, der US-Auslandsgeheimdienst, verspricht Bewerbern für den clandestine service, also den verdeckten (Außen-) Einsatz: „This is more than just a job – it’s a way of life…“. Dem Terrorismus und der Proliferation von Massenvernichtungswaffen auf der Spur, müsse man als Kandidat Eigenschaften mitbringen wie „physische und psychische Gesundheit, Energie, Intuition, street sense, und die Fähigkeit, mit Stress klarzukommen“. Außerdem sollte man mit „sich schnell entwickelnden, uneindeutigen und unstrukturierten Situationen“ fertig werden können.

Die US-Lauschbehörde NSA wirbt ebenfalls recht glamourös: „Fordere das Unbekannte heraus! Löse das Unmögliche! Und bei der NSA geht es auch noch darum, die Nation zu beschützen. Eine Karriere bei der NSA bietet dir die Gelegenheit, mit dem Besten zusammenzuarbeiten, den Lauf der Welt zu beeinflussen, und deine eigene Zukunft zu sichern. Ist es nicht an der Zeit, deine Intelligenz arbeiten zu lassen?“

Der britische Mi5 kleidet die Ausschreibung des Russisch-Jobs in regelrechte Spionage-Prosa: „Je tiefer Sie in eine Sprache eintauchen, desto mehr entdecken Sie. Eine Konversation beginnt mit Sport, dreht sich um die Ökonomie, landet bei der Politik. Und Sie sind nicht nur dabei, um zu übersetzen; und auch nicht, um zu interpretieren; Sie sind dabei, um eine Verständnistiefe beizusteuern, die uns in die Lage versetzt, die richtigen Entscheidungen zu treffen, um die nationale Sicherheit zu gewährleisten… In dieser Rolle werden Sie gefordert werden wie in keiner anderen; sie werden nicht nur ihr Russisch verfeinern, sondern noch andere Fähigkeiten erlernen, innerhalb eines unterstützenden Umfeldes, das zugleich freundlich und locker ist.“

Der deutsche Auslandsnachrichtendienst BND sucht derweil „Freiberufliche Mitarbeiter/innen mit hervorragenden Sprachfertigkeiten für die Sprachen des Maghreb, der Levante, der Sahelzone und Somali sowie für die Sprachen und Dialekte aus dem kaukasischen Raum auf Honorarbasis.“ Die Jobbeschreibung:
Aufgabenschwerpunkte – Übersetzen und Verschriften von fremdsprachlichen Sachverhalten in die deutsche Sprache.“ Dazu noch eine Ermahnung: „Bitte behandeln Sie die Bewerbung diskret.“ Das war’s auch schon.

Das BfV sucht aktuell „IT-affine Sachbearbeiter/innen“; die Ausschreibung klingt so: „Als Sachbearbeiter/in im Bereich „Zentrale Fachunterstützung“ erbringen Sie vielfältige Dienstleistungen für alle Fachaufgaben und -bereiche. Das Aufgabenspektrum erstreckt sich auf die Bearbeitung und Auswertung gesammelter Informationen, die Dokumentation von Arbeitsergebnissen sowie die Fertigung von Stellungnahmen und Berichten. Das Arbeitsumfeld ist geprägt durch abwechslungsreiche Tätigkeiten in leistungsstarken und motivierten Teams. Ständig neue Herausforderungen werden durch eine offene Kommunikationskultur, in Eigenverantwortung und Teamarbeit bewältigt.“

Da sieht man die Resopal-Schreibtische gewissermaßen vor sich. War das jetzt gemein? Ich meine nicht. Lieber solche Nachrichtendienste als CIA und NSA. (Und noch lieber welche, die von engagierteren Parlamentariern noch besser kontrolliert werden.)