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Das Wörterboarding des Innenministeriums

Dies ist eine kleine Geschichte über: eine Panne, eine ehrenwerte parlamentarische Praxis, die deutsche Sprache und Politik. Und zwar in genau dieser Reihenfolge.

Die Panne, um die es geht, ereignete sich im November 2013 auf dem Flughafen Köln/Bonn, von wo aus eine Frau in die Türkei reisen wollte, die 50 (leere) Magazine für das Sturmgewehr AK47 bei sich führte. Dieses besondere Gepäck fiel bei der Kontrolle auf. Aber die Frau wurde weder festgehalten, noch wurden die Magazine sichergestellt. Die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung (FAS) berichtete zuerst über den Fall.

Der hätte natürlich nicht passieren dürfen, denn diese Art Gepäck fällt unter die einschlägigen Exportverbote, wenn man keine spezielle Genehmigung hat. Hinzu kam, dass die betreffende Frau die Mutter zweier polizeibekannter radikaler Islamisten ist, die sich wiederum in Syrien aufhalten. Es lag also nicht gerade fern, dass die Magazine etwas mit dem bewaffneten Kampf in Syrien zu tun haben könnten. Und wegen des Syrien-Embargos hätte die Ladung dorthin erst recht nicht geschafft werden dürfen. Trotzdem gelang es laut FAS derselben Dame, im Dezember auf demselben Wege noch einmal 187 Magazine außer Landes zu bringen.

Aber Pannen kommen vor. In diesem Fall handelte es sich dem Vernehmen nach um menschliches Versagen: eine Fehleinschätzung der Rechtslage. Mittlerweile läuft gegen die Dame ein Ermittlungsverfahren beim Generalbundesanwalt.

Dem Bundestagsabgeordneten Hans Christian Ströbele (Grüne), und jetzt kommen wir zu einer ehrenwerten parlamentarischen Praxis, ließ diese Meldung keine Ruhe. Er stellte daher eine mündliche Frage an die Bundesregierung. Er wollte wissen, wie die Bundesregierung es bewerte, dass die Dame weiterreisen durfte. Er wollte ferner wissen, ob diese „Duldung bzw. Unterstützung der Reisetätigkeit und des Waffentransports von möglichen V-Personen und deren Angehörigen“ gegen eine gemeinsame Linie aller Bundesländer verstoße, der zufolge mutmaßliche Dschihadisten auf dem Weg zu Kampfeinsätzen im Ausland eigentlich aufgehalten werden sollen.

„Von möglichen V-Personen und deren Angehörigen“: Ströbeles Frage zielte nicht nur auf eine mögliche Panne am Flughafen, vielmehr sollte sie die Bundesregierung dazu bewegen, sich darüber zu äußern, ob für „V-Personen“ von deutschen Geheimdiensten oder „deren Angehörige“ Sonderregeln gelten – ob also beispielsweise deren Ausreisen nicht unterbunden werden.

Interessante Konstruktion. Denn antwortet die Bundesregierung: „Ja, dann gelten jeweils eigene Regeln“, hätte Ströbele sie dazu gebracht, etwas offenzulegen, was sie sicher nicht offenlegen will. Und jeder würde außerdem sofort vermuten, dass die Dame und/oder ihre Söhne solche V-Personen sind.

So weit, so klar. Jetzt kommen wir zur deutschen Sprache. Beziehungsweise zur Antwort der Bundesregierung. Schön wäre es, die Bundesregierung würde sich bei der Beantwortung solcher Fragen an der gesprochenen Sprache orientieren. Tut sie aber leider nicht. Tatsächlich ist die Antwort eher ein Fall von Wörterboarding. Sie müssen jetzt stark sein.

Die Bundesregierung, hier vertreten durch den Parlamentarischen Staatssekretär Dr. Günter Krings, führt in der Antwort an Ströbele zunächst aus, dass sie leider keine weiterreichenden Informationen geben könne, da „der geschilderte Vorgang“ Gegenstand eines Ermittlungsverfahrens sei. In mehr Worten: „Eine Auskunft hierzu könnte weitergehende Ermittlungsmaßnahmen erschweren oder gar vereiteln, weshalb aus dem Prinzip der Rechtsstaatlichkeit folgt, dass das betroffene Interesse der Allgemeinheit an der Gewährleistung einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege und Strafverfolgung hier Vorrang vor dem Informationsinteresse hat.“

Die Bundesregierung sagt also erst einmal gar nichts zum von Ströbele aufgemachten V-Mann-Fass; das war freilich zu erwarten. Wenig ist heikler als das Geschäft der Dienste mit Informanten, da wird in aller Regel weder bestätigt, noch dementiert. (Ich vermute allerdings, nach einigen Telefonaten „in Sicherheitskreisen“, die ich heute geführt habe, dass in diesem Fall niemand eine V-Person war.)

Danach allerdings kommt die Regierung auf die Panne zu sprechen. Oder besser gesagt: Staatssekretär Krings versucht, eine Panne als Panne zu beschreiben, ohne das Wort Panne zu benutzen. Ich gehe das mal Satz für Satz durch – und versuche, zu übersetzen:

„Unabhängig hiervon wurde der Sachverhalt unter rechtlichen wie tatsächlichen Gesichtspunkten nachbereitet.“

Wir haben noch mal über den Fall gesprochen.

„Bei Würdigung der heute vorliegenden und zusammengeführten Erkenntnisse ist festzuhalten, dass sowohl die Sicherstellung der mitgeführten Gegenstände, als auch die Untersagung der Ausreise rechtlich möglich ist.“

Uns ist dann klar geworden, dass man in so einem Fall das dubiose Gepäck sicherstellen darf. Auch die Weiterreise darf man in so einem Fall verhindern.

„Dieses Ergebnis resultiert aus dem heutigen Erkenntnisumfang, der zum damaligen Zeitpunkt nicht vollumfänglich vorlag.“

Hinterher ist man eben immer schlauer.

„Es bleibt festzuhalten, dass die Ausfuhr entsprechender Teile ohne Genehmigung verboten ist. Was die Ausfuhr entsprechender Gegenstände nach Syrien angeht, gilt ein generelles Ausfuhrverbot. Umfang und Art der Maßnahmen richten sich nach den konkreten Gesamtumständen des Einzelfalls.“

Aber natürlich wissen wir schon, dass man so etwas nicht ohne Genehmigung ausführen darf, schon gar nicht nach Syrien, da gilt ja zusätzlich noch das Embargo. Was man dann genau unternimmt, kommt aber immer auf den Einzelfall an.

„Bei vollumfänglichem Vorliegen aller Erkenntnisse wären neben der Ausreiseverhinderung die Sicherstellung der relevanten Gegenstände sowie die Einleitung eines Strafverfahrens in Betracht zu ziehen gewesen.“

Eigentlich hätten die Kontrolleure am Flughafen das wissen müssen. Sie hätten die Magazine sicherstellen und eine Ausreiseverhinderung sowie die Einleitung eines Strafverfahrens prüfen müssen.

113 Wörter um zu sagen: Hätte nicht passieren dürfen, war eine Panne, die Kollegen am Flughafen haben die gesetzlichen Bestimmungen falsch ausgelegt. Mir wäre ein Innenministerium lieber, das Fehler, die in seinem Zuständigkeitsbereich passiert sind, in klaren Worten eingesteht.

Jetzt noch ein Wort zur Politik. Eine der Hilfskünste der Politik ist nämlich die Rhetorik. Und im Gegensatz zum BMI beherrscht Ströbele diese Kunst:

„Aus der Antwort der Bundesregierung schließe ich, dass die Bundespolizei tatsächlich Dutzende von Kalaschnikow-Magazinen von den Grenzbehörden nur fest- statt sicherstellte. Das ist weder mit der Rechtslage zu vereinbaren noch aus womöglich geheimdienstlichen Gründen zu rechtfertigen. Offenbar billigt die Bundesregierung, dass geheimdienstliche Interessen Vorrang haben vor einer Gefahrenabwehr für die öffentliche Sicherheit in Deutschland und international. Wenn die Bundesregierung beklagt, wie viel deutsche Islamisten zum Kämpfen in Kriegsgebiete ausreisen, muss sie sie aufhalten statt „gute Reise“ zu wünschen.“

Was lässt sich daraus lernen? Wer keine klaren Antworten gibt, muss damit rechnen, dass der Fragesteller das zu seinem Vorteil nutzt.

 

Georeferentielle Daten

In der vergangenen Woche habe ich hier über den Fall Patrick N. geschrieben – ein deutscher Islamist, der offenbar bereits im Februar 2012 durch eine US-Drohne in der pakistanischen Unruheprovinz Waziristan getötet wurde, wo er sich der „Islamischen Bewegung Usbekistans“ (IBU) angeschlossen hatte. Der grüne Bundestagsabgeordnete Hans Christian Ströbele hat nun eine Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage erhalten, die er am 16. Januar zu dem Tod des Offenbachers gestellt hatte. Ströbele wollte wissen, ob Patrick N. V-Mann der Sicherheitsbehörden war – ein Gedanke, auf den man kommen konnte, wenn man die „Märtyrer“-Rede der IBU über Patrick N. gehört hatte. Und er fragte, ob die Bundesregierung ausschließen könne, dass deutsche Stellen „zuvor an US-Stellen Handy-Daten bezüglich des Opfers“ übermittelt hatten. Die zweite Frage zielte darauf ab, ob deutsche Behörden möglicherweise geholfen haben, bewusst oder unbewusst, Patrick N. zu orten.

Die Antwort der Bundesregierung ist heute bei Ströbele eingegangen. Patrick N., heißt es darin, „wurde durch die Bundessicherheitsbehörden nicht als Vertrauensperson beziehungsweise V-Mann geführt“. Hier gibt es sechs Buchstaben, auf die es besonders ankommt: BUNDES-Sicherheitsbehörden. Denn so ist technisch gesehen lediglich dementiert, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz oder das Bundeskriminalamt N. als Informanten führen. Es bleiben theoretisch noch die entsprechenden Landesbehörden oder sogar eine untergeordnete Polizeibehörde übrig. Für die, das muss man hinzufügen, kann das Bundesministerium des Innern wiederum nur bedingt sprechen.

Die zweite Auskunft lautet so: „Ein Informationsaustausch mit ausländischen Dienststellen hat im Rahmen der gesetzlichen Aufgabenwahrnehmung und den hierfür vorgesehenen Übermittlungsbestimmungen stattgefunden. Georeferentielle Daten wurden auch in diesem Sachverhalt nicht übermittelt.“

Ich interpretiere das so, dass die Bundesbehörden durchaus mit US-Beamten, vielleicht auch mit pakistanischen Stellen, über Patrick N. kommuniziert haben. Allerdings „im Rahmen“ der „vorgesehenen Übermittlungsbestimmungen“. Ich bin nicht ganz sicher, was das bedeuten soll, vermute jedoch, dass darunter zum Beispiel „Beipackzettel“ gehören wie jener, den der Bundesnachrichtendienst (BND) anscheinend manchmal an übermittelte Informationen anhängt – und demzufolge die Informationen nicht widerrechtlich verwendet werden dürfen. Damit versucht der BND, sicherzustellen, dass seine Informationen nicht für extralegale Tötungen oder Ähnliches genutzt werden. Unklar bleibt, was es bedeuten soll, dass „georeferentielle Daten“ nicht übermittelt wurden. Klar, Koordinaten wären gewiss „georeferentielle Daten“. Aber was ist mit Handy-Daten? Nach denen hatte Ströbele ja gefragt.

Die Sicherheitsbehörden haben früher schon einmal erklärt, dass Handydaten ihrer Ansicht nach nicht geeignet sind, jemanden ausreichend genau für eine Drohnen-Zielerfassung zu lokalisieren. Das ist für Außenstehende freilich schwer zu überprüfen, vielleicht sogar für den BND selbst. Wer weiß schon, was die NSA alles kann?

Ströbele findet die Antwort, die er heute bekam, jedenfalls unzureichend: „Es bleibt nach dieser Antwort der Verdacht, dass Bundessicherheitsbehörden auch Handy- oder andere persönliche Daten des Getöteten übermittelten, die zur Ermittlung von dessen Aufenthalt entscheidend beitragen konnten. Dadurch müssen deutsche Behörden auch eine Verantwortung für den tödlichen Drohnen-Einsatz übernehmen.“

Wenn Ströbele als Ableitung aus einem Verdacht die Übernahme von Verantwortung fordert, ist das natürlich auch Politik.

Aber geklärt ist der Fall Patrick N. noch nicht. Es bleiben offene Fragen.