Said al-Shihri, die Nummer Zwei der Al-Kaida-Filiale auf der Arabischen Halbinsel, ist durch eine US-Drohne getötet worden. Für die Terrorgruppe ist das ein schwerer Schlag.
Said al-Shihri, dessen Tod Al-Kaidas Filiale auf der Arabischen Halbinsel nunmehr und nach monatelangen Spekulationen offiziell bestätigt hat, war der prominenteste Vertreter einer ganz speziellen Untergruppe von Al-Kaida-Terroristen: Er war schon vor dem 11. September 2001 ein Dschihadist gewesen, war danach festgenommen worden und hatte mehrere Jahre im US-Gefangenenlager Guantánamo verbracht; als er 2007 von den USA in sein Heimatland Saudi-Arabien überstellt wurde, bestand die Hoffnung, dass er entweder dem bewaffneten Kampf abschwören würde, oder dass zumindest die saudischen Sicherheitsbehörden ihn im Blick behalten würden.
Beide Hoffnungen trogen: Als Al-Kaidas Filiale auf der Arabischen Halbinsel (sprich: in Saudi-Arabien und im Jemen) aus den Trümmern der dezimierten Dependence in Saudi-Arabien wiedererrichtet wurde, erlangte al-Shihri sehr bald eine Schlüsselstellung.
Dass sein Aufenthalt in GITMO, wie Guantánamo im Militärsprech heißt, dabei eine Rolle spielte, erklärte er selbst in einer Art Aufsatz in einem Online-Magazin Al-Kaidas im Jahr 2010: „Vor meiner Gefängniszeit dachte ich, es müsste auch in den Amerikanern wenigstens einen Bodensatz an Menschlichkeit geben… Aber nachdem ich direkt mir ihnen zu tun hatte, bin ich zu der Erkenntnis gelangt, dass die Menschheit sich schützen muss, indem sie die Amerikaner bekämpft, denn sie sind Feinde der Menschheit.“
Shihri, der in GITMO einst die Nummer 372 trug, gehörte ohne Zweifel zur Führungsspitze der Kaida-Filiale auf der Arabischen Halbinsel (AQAP). Er tauchte in Reden und Videos auf, er war mit Gewissheit an strategischen Entscheidungen beteiligt.
Sein Tod (der irrtümlich bereits mehrfach verkündet worden war) ist folglich ein Schlag für die Terroristen. Shihri war schon vor 9/11 ein Verbündeter Osama Bin Ladens; es gibt nicht mehr so viele aktive Kaida-Kader mit derartiger Vorgeschichte, die sich ja letztlich in soziale Währungen wie Einfluss, Erfahrung und Rekrutierungspotenzial übersetzen lässt.
Andererseits, und das ist der Hauptaspekt dieses Blog-Posts, halte ich wenig davon, nach einem solchen Ereignis einfach einen Namen von einer Liste zu streichen und dann zu sagen: Wieder einen Big Shot erwischt, Al-Kaida stirbt aus, keine Frage! Ich glaube, dass das deshalb wenig Sinn ergibt, weil wir zu wenig Einblick darin haben, welche möglicherweise mittlerweile entscheidenden Figuren in der Zwischenzeit wichtige Posten erklommen haben. Tatsächlich geht die Gleichung ganz anders: Jedes Mal, wenn einer derjenigen Terroristen ums Leben kommt, die „wir“ (Terrorexperten, Fachleute, informierte Öffentlichkeit, Nachrichtendienste) „kennen“ (in dem Sinn, dass wir etwas über sie wissen: ihre Vorgeschichte, Veröffentlichungen, etc.), ergibt sich in Wahrheit ein anderes Problem, nämlich dass der „devil that we know“ ziemlich sicher durch einen „devil that we do not know“ ersetzt wird.
Mit anderen Worten: Einer Sicherheit (Shihri = AQAP‘s Nummer Zwei) folgt eine Unsicherheit (AQAP hat eine neue Nummer Zwei, die wir nicht kennen, ODER AQAP hat keine neue Nummer Zwei), die uns jede Art der Einschätzung schwerer macht.
Dasselbe Phänomen gilt für die Zentrale Al-Kaidas. Fast alle entscheidenden Führer sind in denen vergangen vier bis fünf Jahren festgenommen oder getötet worden; einige Analysten schließen daraus, Al-Kaida sei so gut wie besiegt. Ich neige zu einer anderen Ansicht. Ich glaube: Wir wissen gar nicht mehr, was das bedeutet. Wir können nicht einschätzen, ob Al-Kaida in der Lage ist, diese Löcher zu schließen oder nicht. Wir wissen, wenn wir ehrlich sind, heute weniger über Al-Kaida als vor fünf Jahren.
Das klingt paradox. Aber ich habe das in den letzten Jahren ein paar Mal auf Terrorkonferenzen getestet. Indem ich zum Beispiel gefragt habe: Gibt es hier irgendjemanden, der in der Lage ist, mir Kurzporträts der zehn wichtigsten Al-Kaida-Führer von auch nur je zwanzig Zeilen Länge zu schreiben? Niemand kann das; und wer etwas anderes behauptet, macht sich wichtig. Genau das war vor sechs Jahren anders. Da waren Leute am Ruder, die „wir“ kannten.
Dieser Punkt ist mir wichtig. Sich mit einer Sache auszukennen, bedeutet nicht, alles zu wissen, sondern auch benennen zu können, wo die blinden Punkte liegen.
In diesem Sinne gilt: Der Tod von al-Shihri ist mit Gewissheit ein Verlust für AQAP, schon weil enorm viel Erfahrung und „institutional memory“ verloren gegangen ist. Aber wie schwer der Verlust wirklich ist, und ob AQAP ihn ausgleichen kann: Ich weiß es nicht. Aber ich weiß, dass ich jedem misstraue, der darüber eine schnelle und angeblich eindeutige Antwort parat hat.