Niemand soll meinen, die aus dem Ausland zum Kämpfen nach Syrien strömenden Dschihadisten seien nur im Land, um das Regime von Baschar al-Assad stürzen zu helfen. Es wird immer deutlicher, wie sehr insbesondere die mit Al-Kaidas Irak-Filiale verbündeten „Gotteskrieger“ der Dschbahat al-Nusra – sie treten gemeinsam unter dem Label Islamischer Staat im Irak und Syrien auf – längst daran gegangen sind, sich in Syrien festzusetzen. Und dort, wo sie es vermögen, ihre Gebietsgewinne auch dadurch abzusichern, dass sie die syrische Bevölkerung für sich zu gewinnen versuchen.
Ein aktueller Beleg dafür ist ein Propaganda-Video mit dem Titel Bericht über eine Werbeveranstaltung in Aleppo, das derzeit über die üblichen einschlägigen al-kaida-nahen Webseiten verbreitet wird. Darin zu sehen sind offenkundig nicht aus Syrien stammende Redner, die einer ziemlich großen Menschenmenge zunächst einmal klarzumachen versuchen, warum sie Helden sind: „Wir haben alles zurückgelassen, um hierher zu kommen, um den Muslimen zu helfen!“
Auf den Tischen vor den Männern stehen Getränke und Kekspackungen – in der islamischen Welt, also auch in Syrien, wird gerade der Fastenmonat Ramadan begangen, es scheint also, als ob die Terroristen zum Fastenbrechen am Abend eingeladen haben.
Sodann ist Unterhaltung angesagt: Jugendliche stimmen Kampfgesänge an, es geht darin zum Beispiel gegen die Hisbollah. Eine Art Moderator läuft aufgedreht zwischen den Menschen herum und fragt sie nach ihrer Meinung zum „Islamischen Staat in Irak und Syrien“.
Auch vor Kindern macht er dabei nicht halt. Ein kleines Mädchen versteht die Frage erst nicht so recht. Dann antwortet sie: „Das sind gute Leute, Gott schütze sie!“ Klar, für diese Antwort gibt es ein Lob.
Ein 13-jähriger Junge wird gefragt, was er werden wolle. Natürlich sagt er: „Mudschahid.“ Wer denn die Ungläubigen seien, will der Al-Kaida-Moderator wissen. „Baschar al-Assads Soldaten“, antwortet der Junge. Es klingt wie auswendig gelernt. Jedenfalls ist wohl auch dem Jungen klar, dass auf dieser Veranstaltung eine andere Auskunft nicht erwünscht ist.
Videos dieser Art häufen sich in letzter Zeit. Es gibt eines, das militante Dschihadisten beim öffentlichen Brotbacken und -verteilen zeigt. Ein weiteres (möglicherweise eine längere Version des oben beschriebenen Aleppo-Films) zeigt laut dem britischen Independent ein von Al-Kaida gesponsertes Eis-Wettessen zwischen zwei Jungs sowie einen Tauziehwettbewerb.
Die Filme erinnern an ähnliches Material aus Somalia, wo die Shabaab-Milizen vor ungefähr drei Jahren in vergleichbarer Weise versucht haben, die lokale Bevölkerung für sich einzunehmen. Das öffentliche Verteilen von Lebensmitteln während einer schweren Dürre half dem Image der Militanten zeitweise tatsächlich. Gleichzeitig freilich verhinderten die Shabaab damals, dass internationale Hilfsorganisationen in den am schwersten betroffenen Gebieten halfen. Das ist Zynismus, umgemünzt in Propaganda.
Bei Al-Kaidas Verbündeten in Syrien ist es nicht anders. Auch dort steht die zur Schau gestellte Kinderfreundlichkeit in Widerspruch zu anderen Informationen, etwa der berichteten (wenn wohl auch nicht unabhängig bestätigten) Hinrichtung eines 14-Jährigen, der anscheinend in den Augen der Extremisten den Propheten in unangemessener Art und Weise erwähnt hatte.
Ich kenne Syrien einigermaßen gut und war (vor dem Bürgerkrieg) oft in dem Land. Syrien ist eines der arabischen Länder, in denen militante Formen des Islamismus traditionell wenig verwurzelt sind. Es wäre eine Tragödie, wenn sich das – befeuert durch den Bürgerkrieg – ändern sollte. Diese Gefahr ist freilich in dem Maße gegeben, in dem es Al-Kaida und Co. gelingt, sich als Beschützer, Befreier oder Versorger zu inszenieren.