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Fünf Taliban für Bowe Bergdahl

 

Etwas über fünf Jahre verbrachte der israelische Soldat Gilat Shalit in Geiselhaft bei der Hamas. Als er 2011 freikam, ließ die israelische Regierung im Gegenzug über 1.000 Palästinenser frei. Unter ihnen veritable Militante.

Als am Wochenende nach fast fünf Jahren in Taliban-Gefangenschaft der US-Soldat Bowe Robert Bergdahl freikam, überstellten die USA im Gegenzug fünf Taliban-Kommandeure nach Katar, die zuvor jahrelang im Gefangenenlanger Guantánamo Bay festgehalten worden waren.

1.000 und fünf: Schon diese beiden Beispiele zeigen, dass die Spannbreite enorm ist, wenn es um den Austausch von Gefangenen zwischen Konfliktparteien geht. Wenn es eine Gemeinsamkeit gibt, ist es diese: Sowohl in Israel als auch in den USA gibt es den Grundsatz, keine Soldaten in Gefangenschaft zurückzulassen.

Allerdings kann man natürlich fast genau dasselbe von Hamas und Taliban sagen. Auch sie wollen ihre Gefangenen nicht zurücklassen. Nur handeln sie spiegelverkehrt: Sie entführen Soldaten der gegnerischen Seite, um Verhandlungsmasse zu gewinnen.

Solche Deals haben schon wegen dieser Konstellation immer auch eine politische Dimension, denen nicht nur mit Fragen der juristischen Legalität beizukommen ist. Denn es gibt noch einen zweiten Grundsatz, der vor allem in den USA immer wieder betont wird: Wir verhandeln nicht mit Geiselnehmern. Außer, müsste man leise hinzufügen, wenn wir es doch tun. So wie eben im Falle Bergdahls

Wie zu erwarten, hat in den USA bereits eine Debatte darüber eingesetzt, ob die Bergdahl-Entscheidung richtig war – oder ob der Schaden größer als der Gewinn sein könnte. Die Debatte verläuft verhalten, weil niemand laut sagen möchte, er hätte an Obamas Stelle Bergdahl lieber in seinem Verließ gelassen. Aber sie wird geführt zum Beispiel über den Verweis auf die Gefährlichkeit der befreiten fünf Taliban-Kommandeure.

Hier nun wird es interessant. Der US-Senator John McCain etwa äußerte sich dahingehend, dass er „wirklich gerne wissen würde, welche genauen Schritte unternommen würden, um sicherzustellen, dass diese hinterhältigen und gewalttätigen Taliban-Extremisten nie wieder den Kampf gegen die USA oder unsere Partner aufnehmen oder in irgendeiner Weise Aktivitäten aufnehmen, die die Aussichten auf Frieden und Sicherheit in Afghanistan bedrohen können“.

Die Antwort ist einfach: Es gibt zwar Abmachungen (zum Beispiel dürfen die Freigelassenen ein Jahr lang Katar nicht verlassen); aber es wird niemals eine Garantie geben, dass diese Kommandeure nicht genau das tun werden, was McCain gerne verhindert sähe. Das weiß McCain. Das weiß natürlich auch die US-Regierung. Absolut denkbar, dass einige dieser Männer schon in wenigen Monaten in Afghanistan in den Reihen der Taliban auftauchen. Was sie dann genau tun, weiß niemand; so wie ja auch niemand weiß, welche Rolle die Taliban für sich selbst nach dem Nato-Abzug sehen. Aber niemand kann ausschließen, dass diese Männer in Zukunft an Kämpfen gegen die afghanische Regierung teilnehmen.

Diese Männer waren zum Zeitpunkt ihrer Festnahme tatsächlich wichtige Taliban-Kader. Details kann man in Dokumenten finden, auf die in diesem Beitrag bei Daily Beast verlinkt wird. Ihnen wird etwa vorgeworfen, an Massakern gegen Schiiten beteiligt gewesen zu sein. Einer von ihnen soll überdies von Al-Kaida-Chef Bin Laden persönlich gebeten worden sein, eine Attacke gegen die Nordallianz zu führen.

Andererseits waren die afghanischen Taliban nie international agierende Terroristen nach dem Muster von Al-Kaida. Sie sind ihrem Ursprung und Wesen nach eine militante islamistische afghanische Gruppe, die vor allem an Afghanistan und der Machtverteilung in dem Land interessiert ist. (Dass die Taliban gegen die USA zu Felde gezogen sind, nachdem diese in der Folge von 9/11 mit der Isaf-Koalition zusammen die Taliban von der Macht vertrieben, ändert daran nichts.) Freunde Amerikas sind die fünf freilich trotzdem nicht. Und nach Jahren in Guantánamo vermutlich noch weniger als zuvor. Trotzdem würde es zu den Taliban und ihrer Ideologie nicht passen, Anschläge gegen die USA in den USA zu planen. Die negativen Auswirkungen des Deals sind also für Afghanistan möglicherweise folgenschwerer als für die USA.

Allerdings gibt es einen weiteren Haken an dem Deal – nämlich die Tatsache, dass die USA öffentlich nachvollziehbar nachgegeben haben. Was aber würde die US-Regierung tun, wenn es sich um einen US-Soldaten handelte, den Al-Kaida festhält?

Das ist keineswegs fernliegend. Schon in den Neunzigern (sic!) haben Al-Kaida-Kader in Afghanistan diskutiert, wie man festgenommene Genossen durch Geiselnahmen freipressen könnte. Al-Kaidas Filiale auf der Arabischen Halbinsel hat entsprechende Überlegungen formuliert. Und noch aus dem Jahr 2009 kennen wir in Gerichtsverfahren bekannt gewordene Al-Kaida-Unterlagen, in denen diese Idee formuliert wird. Es gibt glaubwürdige Vermutungen, dass Al-Kaida noch vor wenigen Jahren plante, in Europa eine Massengeiselnahme zu organisieren, um dann Zivilisten hinzurichten, wenn den Forderungen nach Freilassung der eigenen Gefangenen nicht nachgegeben würde.

Der Bergdahl-Deal wird entsprechende Gedankenspiele beflügeln. Das ist eine Nebenwirkung, die die Obama-Regierung nicht schönreden können wird. Die Gefahr für US-Soldaten (und vermutlich auch für US-Zivilisten), gekidnappt zu werden, ist jedenfalls seit dem Wochenende nicht gesunken.

Einige bewerten den Bergdahl-Deal aber wegen einer noch anderen Facette nicht bloß negativ. Denn ein Handel mit den Taliban kann auch als vertrauensbildende Maßnahme gelesen werden. Schließlich haben die Taliban noch keine eindeutige Position bezogen, wie sie sich in Afghanistan nach dem Isaf-Abzug verhalten wollen – ob sie eine konstruktive oder eine rein militant-destruktive Kraft sein wollen. Der Deal ermöglicht ihnen, als Partner an Statur zu gewinnen.

Es gibt also viele Blickwinkel auf den Austausch. Die Maßstäbe zur Bewertung reichen vom Persönlichen (Was wenn es mein Sohn wäre?) über das Pragmatische (Wir haben ihn zurück!) bis zum Politischen (Ein Deal ist besser als kein Deal, mal sehen, was daraus wird). Eine einfache Antwort gibt es nicht.