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Wir müssen über Ägypten reden…

 

Ahmed Mansur, prominenter Journalist des arabischen Satellitensenders Al Jazeera, ist wieder frei. Normalerweise müssen arabische Journalisten eher in arabischen Staaten damit rechnen, festgenommen zu werden; Ahmed Mansur widerfuhr das am Samstagvormittag in Berlin. Wobei es, technisch gesehen, keine Festnahme war, es sich stattdessen vielmehr um eine „Festhalteanordnung“ handelte. Die Folgen waren dieselben: Ahmed Mansur durfte seinen Flug nach Katar nicht nehmen. Er verbrachte nach Angaben seines Anwalts fast 10 Stunden auf dem Flughafengelände, später wurde er in die Haftanstalt Tempelhof verlegt.

Dann mahlten die Mühlen der deutschen Justiz. Denn es galt zu prüfen, ob ein Abschiebehindernis vorlag. Schließlich hatte Ägyptens Regierung darum gebeten, dass man ihr den Journalisten schickt. Das muss Deutschland nicht tun, wenn die Befürchtung besteht, dass der betreffenden Person Übles droht, etwa die Todesstrafe.

Nach 48 Stunden hatten die Justizmühlen fertig gemahlen: Mansur wurde am Montagnachmittag freigelassen.

Als hätte man nicht schon am Samstag wissen können, ja wissen müssen: Die ägyptische Justiz ist zurzeit außer Rand und Band und kann kein vertrauenswürdiger Partner der deutschen Justiz sein. Hunderte dubioser Todesurteile in den letzten Monaten sind ein ziemlich starkes Indiz dafür. Guido Steinberg, Nahostexperte der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik, formuliert es noch deutlicher: „Dabei hätte klar sein müssen: Was auch immer die ägyptische Justiz in diesen Tagen vorbringt, darf man getrost und ungeprüft in den Mülleimer befördern. Man kann den Ägyptern im Moment nicht trauen. Wir haben es hier mit einer Willkürjustiz zu tun.“

Guido Steinberg ist ein interessanter Gesprächspartner bei diesem Thema, weil er der Grund für Ahmed Mansurs Deutschlandaufenthalt war: In der vergangenen Woche interviewte Mansur ihn hier in Berlin für seine Jazeera-Sendung Grenzenlos. Das Thema war der Besuch des ägyptischen Präsidenten Sisi in Deutschland kurz zuvor.

Eingereist war Mansur ohne Probleme, obwohl er, aus Sarajevo kommend, bei der Einreise seinen Pass vorzeigen musste. Ein ägyptisches Auslieferungsersuchen, das angeblich schon seit Monaten besteht, hätte also schon Mitte vergangener Woche auffallen können, mündete aber, aus Gründen, die noch nicht bekannt sind, nicht in einer „Festhalteanordnung“.

Ahmed Mansur werden Sympathien für die Muslimbruderschaft nachgesagt; gegen diese Organisation führt Ägyptens aktuelles Regime einen erbitterten Kampf. In der Sendung über Sisi fielen zudem wenig freundliche Worte über dessen Regierung. Das dürfte erklären, wieso Kairo so erpicht darauf ist, Mansurs habhaft zu werden. (Es gibt, um das nicht zu unterschlagen, seitens der ägyptischen Behörden außerdem den Vorwurf, Mansur sei an Gewaltakten gegen einen Anwalt beteiligt gewesen; viele Beobachter halten das für nicht glaubhaft.)

Es erklärt indes nicht, wieso die deutschen Behörden – im Einzelnen, Medienberichten zufolge, zunächst das BKA, dann das Auswärtige Amt und das Bundesjustizministerium – sich gezwungen sahen, Mansur überhaupt erst einmal festzuhalten. Es wäre sehr interessant zu erfahren, wie die Begründung dafür lautet. Bisher ist sie nicht bekannt geworden. Hat Kairo nach der Sendung in Berlin interveniert?

Unter dem Strich, so schätzt es Guido Steinberg ein, hat Deutschland sich in jedem Fall einen zweifachen Schaden eingehandelt: Zum einen, weil nach der „Festhalteanordnung“ gegen Mansur in der arabischen Öffentlichkeit der Eindruck entstanden ist, Deutschland sei ein Erfüllungsgehilfe der ägyptischen Justiz. (Mansur ist sehr bekannt in den arabischen Staaten.) Zum zweiten weil nun, nach der Freilassung, „ägyptische Erwartungen enttäuscht werden, die Deutschland durch die Festsetzung zunächst selbst geweckt hat“, wie Steinberg sagt. Also kurz und richtig gesagt: Alle sind verstimmt.

Das wäre vermeidbar gewesen. Vielleicht ist es aber auch ein Ausfluss der Tatsache, dass die Bundesregierung derzeit keine wirklich kohärente Politik gegenüber Ägypten erkennen lässt. So wurde Sisi eingeladen und empfangen, bevor er das Versprechen freier Wahlen umgesetzt hat. Warum die Eile? Für Sisi war der Berlin-Besuch eine Aufwertung. Dass Deutschland im Gegenzug profitiert hätte, ist hingegen nicht erkennbar.

 

PS: Nachtrag 22. Juni, 18 Uhr 30: Hier ein paar mehr Details zum Mahlen der deutschen Mühlen von süddeutsche.de