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Vier arabische Staaten verbieten John-le-Carré-Verfilmung

John le Carré hat sich Zeit gelassen, bevor er, der Großmeister des Geheimdienst-Romans, auf die Anschläge des 11. September 2001 und den anschließenden US-geführten war on terror literarisch reagierte: Erst 2008 erschien sein Thriller A Most Wanted Man, auf Deutsch Marionetten, in dem le Carré schildert, wie ein vermeintlicher tschetschenischer Terrorverdächtiger in Hamburg anlandet und von US-Geheimdienstlern gekidnappt wird, Ausgang offen. Es ist ein Buch, das die dunklen Seiten dieses Krieges gegen den Terror auslotet, und aus dem die Sorge um die Menschenrechte, letztlich die Sorge um die kollektive Vernunft des Westens spricht. Im vergangenen Jahr erschien der Kinofilm zum Buch, Philip Seymour Hoffman und Willem Dafoe zählten zu den Darstellern.

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Wie Gauland den Islam fremder macht, als er ist

Was bedeutet das eigentlich: einander „kulturell völlig fremd“ zu sein?

Ich habe mal einige Tage in einer Aborigine-Community im australischen Outback verbracht. Da habe ich erhebliche kulturelle Unterschiede festgestellt. Genau genommen habe ich gar nicht begriffen, was um mich herum geschah. Es gab nicht nur eine Sprachbarriere. Ich wusste auch nicht, was wichtig ist. Oder wer. Ich hatte keine Ahnung, welche Regeln gelten. Ich verstand nicht, was die anderen in mir sahen oder nicht sahen, ob sie etwas von mir erwarteten – und wenn ja, was?

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Pegida ist noch lange nicht vorbei

Pegida-Orgnisator Lutz Bachmann ist über ein Hitlerbärtchen gestolpert und zurückgetreten. Und in Leipzig stellte sich den Legida-Marschierern eine Überzahl an Gegendemonstranten in den Weg, so wie zuvor schon in Hamburg, Berlin, München, Köln und anderen Orten. Schlechte Nachrichten für die „Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“ – ohne Zweifel. Aber ist jetzt alles wieder in Butter? Pegida abgehakt, weil das Gute gesiegt hat? Wenn schon Jakob Augstein drüben bei SPIEGEL ONLINE „stolz“ ist, weil „Deutschland (…) mit diesen rechten Spinnern nichts zu tun haben (will)“ – kann man dann nicht offiziell Entwarnung geben? 

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Was sagen eigentlich die Kirchen zu Pegida?

Die Pegida-Bewegung trägt den Begriff schon im Namen: „Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes„. Doch Abendland ist hier nicht als geografische oder historische Bezeichnung gemeint; der Begriff „Islamisierung“ ist ein erster Hinweis: Die Pegida-Demonstranten meinen ein Abendland, das sie selbst oft mit den Attributen „christlich“ oder „christlich-jüdisch“ anreichern. Dieses Abendland stellt in ihren Augen eine Art gewachsene Wertegrundlage dar, deren Bedeutung durch die „Islamisierung“ in Frage gestellt werde.

Nun sind die evangelische und die katholische Kirche natürlich nicht die Gralshüter dieses Begriffs. Auch der Zentralrat der Juden ist es nicht. Jeder ist frei, ihn zu verwenden. Ich fand es trotzdem interessant, alle drei Institutionen zu fragen, wie sie zu diesem Begriff stehen. Außerdem wollte ich wissen, ob sie eine Islamisierung des Abendlandes befürchten.

Ich habe deshalb drei Mal dieselbe E-Mail verschickt; die beiden Fragen lauteten folgendermaßen:

1.) Glauben Sie, dass es eine schleichende, offene oder drohende „Islamisierung“ in Deutschland gibt?

2.) Finden Sie den Begriff „Abendland“ oder „christliches Abendland“ oder „christlich-jüdisches Abendland“ sinnvoll? Was bedeutet er für den Zentralrat der Juden / die Deutsche Bischofskonferenz / die Evangelische Kirche in Deutschland, verwenden Sie ihn oder halten Sie ihn für irreführend?

Im Folgenden dokumentiere ich die Antworten in voller Länge.

Ein Sprecher der Evangelischen Kirche in Deutschland antwortete so:

„Von einer Islamisierung kann angesichts eines Bevölkerungsanteils von weniger als fünf Prozent Muslimen und des friedlichen Zusammenlebens keine Rede sein. Der Begriff christliches Abendland ist ein Kulturbegriff, der mit Religion nur bedingt etwas zu tun hat. Er kann leicht dazu missbraucht werden, etwas als christlich auszugeben, was faktisch den christlichen Orientierungen entgegensteht. Der Begriff wird leider auch oft missbraucht, um sich von anderen Menschen, anderen Religionen und anderen Kulturen abzugrenzen. Wenn der Begriff benutzt wird, um ausländerfeindliche, rassistische und menschenverachtende Parolen zu unterfüttern, ist das das genaue Gegenteil von Christentum.“

Die Antwort von Josef Schuster, dem Präsidenten des Zentralrats der Juden:

„Von einer ‚Islamisierung‘ Deutschlands kann überhaupt keine Rede sein. Das zeigen allein die Zahlen: In Deutschland leben nur vier Millionen Muslime, vier Millionen von 80 Millionen Bürgern. Hier werden von den Pegida-Initiatoren in unverantwortlicher Weise Ängste geschürt und zugleich eine bestimmte Religion verunglimpft. Mit Blick auf unsere Geschichte kann man durchaus von einer christlich-jüdischen Kultur sprechen. Der Begriff „christlich-jüdisches Abendland“ wird von Pegida und Co. jedoch in einem ausgrenzenden Sinn verwendet. Das lehne ich ab. Sowohl in der Geschichte Europas als auch heutzutage hat der Islam zu wichtigen kulturellen und zivilisatorischen Errungenschaften beigetragen und war und ist eine Bereicherung. Ebenso gab es immer säkulare Strömungen, die unsere Kultur vorangebracht haben.“

Schließlich die Antwort des Pressesprechers der Deutschen Bischofskonferenz (DBK):

„Wir bitten um Verständnis, dass wir uns derzeit nicht an der Debatte beteiligen möchten. Die jüngsten Positionen von Papst Franziskus zum Islam (s. Besuch in der Türkei) und die Bedeutung Europas (s. Besuch in Straßburg) sind sicherlich wegweisend.“

 

EKD und ZdJ sind sich also einig: Von einer Islamisierung kann keine Rede sein. Zudem sehen sie die Art und Weise der Verwendung des Begriffes „Abendland“ durch Pegida skeptisch bis kritisch. (Allerdings warnt der EKD-Vorsitzende zugleich vor einer „Dämonisierung“ der Pegida-Bewegung, das ergänze ich hier gerne der Vollständigkeit halber.)

Ich bin dem Hinweis des DBK-Sprechers gefolgt und habe nachgelesen, was Papst Franziskus in der Türkei beziehungsweise in Straßburg gesagt hat. Der Papst hat hat auf diesen Reisen deutliche Worte gegen islamistischen Terrorismus, für die Religionsfreiheit und für den interreligiösen Dialog gefunden. Er hat auch inhumane Praktiken im Umgang mit Flüchtlingen angeprangert. Es waren starke, klare Aussagen. Aber auf das Phänomen Pegida sind sie nur schwer anzuwenden.

Unter dem Strich scheint es mir dennoch so zu sein, dass die Pegida-Demonstranten sagen wir mal: eher wenig Rückhalt in jenen offiziösen Institutionen genießen, deren Werte und Maßstäbe sie verteidigen möchten. Heute wollen die Demonstranten in Dresden mit dem Singen von Weihnachtsliedern gegen die „Islamisierung des Abendlandes“ protestieren. Ich vermute, dass kaum ein katholischer, evangelischer oder jüdischer Geistlicher dabei sein wird.

 

Das Gute im Schlimmen, oder #Illridewithyou

Sechzehn Stunden lang hat ein 50-jähriger iranisch-stämmiger Asylant am Montag im australischen Sydney dutzende Geiseln festgehalten. Als die Polizei das Café schließlich stürmte, in dem der Anschlag stattgefunden hatte, wurde der Geiselnehmer getötet, und auch zwei Geiseln überlebten diesen tragischen Tag nicht. Es ist nachvollziehbar, dass der Terrorakt, den der Attentäter im Namen der Terrorgruppe „Islamischer Staat“ beging (aber vermutlich, ohne eine Verbindung dorthin zu haben), die Nachrichten dominierte.

Aber es gibt noch eine andere Geschichte von diesem Tag zu erzählen.

Sie beginnt mit einer jungen Frau in Brisbane, die an diesem Tag im Zug sitzt und auf ihrem Handy die Nachrichten liest. Die junge Frau heißt Rachael Jacobs, und während sie liest, sieht sie am anderen Ende des Waggons eine andere Frau, die ebenfalls auf ihr Telefon starrt, und dann damit beginnt, ihr Kopftuch aufzuknüpfen. Rachael Jacobs berichtet, dass ihr in diesem Moment Tränen in die Augen schossen, weil sie annahm, dass die andere Frau Angst hatte, als Muslimin erkennbar zu sein – offensichtlich aus Sorge, dass man sie mitverantwortlich machen würde für die Tat des Geiselnehmers in Sydney, sie vielleicht bepöbeln würde.

Zufällig stiegen beide an derselben Station aus.  „Ich rannte ihr hinterher und sagte. ‚Setzen Sie es wieder auf! Ich begleite Sie!'“, schrieb Rachael Jacobs nach dieser Begegnung auf Facebook. „Sie begann zu weinen, umarmte mich für eine Minute, und ging dann alleine weiter.“

Eine andere junge Frau las diese Geschichte – und erfand daraufhin den Twitter-Hashtag #Illridewithyou, zu deutsch: „Ich fahre mit dir.“

Das löste eine Lawine aus. Innerhalb von nur 12 Stunden gab es 150.000 Tweets mit diesem Hashtag, berichten australische Medien. Wenn man nachliest, findet man darunter Nachrichten aller Art von hunderten von Menschen, die Muslimen und Musliminnen anbieten, sie zu begleiten, sollten diese Angst vor so genannten „Hate Crimes“ haben, wie sie in der Folge islamistisch motivierter Anschläge immer wieder vorkommen. Pendler posteten etwa, in welchem Bus oder in welchem Zug sie sitzen würden und woran man sie erkennen könne. Die Geschichte fand sogar eine Fortsetzung in der analogen Welt: Autofahrer stellten Schilder auf ihre Ablagen, auf denen „#Ilridewithyou“ stand.

Was man ebenfalls feststellen kann, wenn man den Twitter-Meldungsstrom nachliest, das ist: Wie viele Australier aller denkbaren ethnischen und religiösen Hintergründe sich durch diesen simplen Akt im Angesicht des Terrors in Sydney verbunden fühlten und das Gefühl hatten, zusammenzurücken und eine Art Gegengift gefunden zu haben. Ich will nicht allzu pathetisch werden, es gab auch Menschen, die sich über die Aktion lustig machten, oder sie für überflüssig und übertrieben hielten. Und natürlich ändert diese Aktion nichts am strukturellen Rassismus Australiens, oder an der irrsinnigen Asylpolitik des Landes. Aber für viele hundert Menschen, vielleicht tausende, hat sie an diesem Tag etwas bedeutet. Ob es Muslime waren oder irgend etwas anderes.

Ich finde das bemerkenswert. Und ja: tröstlich. Nicht zuletzt mit den Bildern der Pegida-Demonstration von gestern im Kopf.

 

Wie islamophob ist der „Focus“?

„Ein Glaube zum Fürchten“, so lautet die Überschrift des aktuellen Focus-Titels. Es geht, Überraschung, um den Islam. In dem Text, der eigentlich ein Pamphlet ist, werden „acht unbequeme Wahrheiten“ über diese Religion versprochen. Leider offenbart die Lektüre auch eine Reihe unbequeme Wahrheiten über den Focus.

1. Der Focus sucht sich seine Belege bei Extremisten, die er als „Gelehrte“ verkauft.

„Wiederholt haben islamische Gelehrte darauf hingewiesen“, schreibt der Focus, „dass westliche Frauen mit ihrer Kleidung zur Vergewaltigung geradezu einlüden. 2007 erklärte der australische Imam Sheik Faiz Mohammed, dass westliche Mädchen ‚Huren und Schlampen‘ seien“.

Das Zitat ist korrekt. Aber der Focus unterlässt es, auch nur in einem Halbsatz darauf hinzuweisen, dass Faiz Mohammed ein Dschihadist ist, der unter anderem gefordert hat, Kinder für Selbstmordattentate zu begeistern. Was hat so ein Verrückter hier als Kronzeuge zu suchen? Das ist, als würde man den Ku-Klux-Klan heranziehen, um christlichen Rassismus anzuprangern.

Der Focus macht passend, was passend gemacht werden muss. Weil er keine besseren Kronzeugen finden kann?

 

2. Der Focus gießt Öl ins Feuer, selbst wenn es gar keines gibt. 

Irgendein Osnabrücker Muslim hat den mittellustigen Komiker Dieter Nuhr angezeigt, weil er findet, dass Nuhr den Islam beleidigt habe. Mein Gottchen.

Aber was macht der Focus? Er illustriert diese Episode mit zwei Szenen im Comic-Style: Nuhr mit Heftpflaster vor dem Mund (Genau: Zensur! So weit sind wir schon gekommen!). Und eine wütende Demo von hasserfüllten, dichtgedrängten Salafisten, die ihre Fäuste schütteln und „Nuhr verklagen!“-Plakate hochhalten.

Tatsächlich gab es genau eine Kundgebung, an der in Osnabrück maximal 30 Menschen teilnahmen, und die friedlich blieb. Salafisten waren auch anwesend. Von Fäusteschütteln war aber nirgendwo etwas zu lesen oder zu sehen. Und dichtgedrängt standen die Männer auch nicht. Sie sahen eher etwas verloren aus. Ein Bild aus den Neuen Osnabrücker Zeitung kann man hier finden.

Die Realität interessiert den Focus anscheinend nicht. Er suggeriert lieber etwas herbei.

 

3. Der Focus liest keine Zeitung.

„Grüne und Sozialdemokraten finden es schlimm, dass Rechte oder Rechtsextreme gegen den militanten Islamismus mobil machen, aber sie blieben stumm, als die deutsche Salafistenszene demonstrierte, rekrutierte und randalierte – in solchen Kreisen gilt man schnell als ‚islamophob'“, schreibt der Focus.

Hä?

Otto Schily (SPD, 2014): „Parallel dazu sollten wir uns allerdings auch von falsch verstandener Toleranz verabschieden. In Deutschland gelten Meinungsfreiheit und Grundgesetz – und nicht die Scharia.“

Volker Beck (Grüne, 2011): Beck fordert die Bundesregierung dazu auf, die Einreise des islamistischen Predigers Bilal Phillips wegen Homophobie zu verhindern.

Cem Özdemir (Grüne, 2011) bezeichnete die Koran-Verteilaktion „Lies“ als „Werbestrategie“, mit der sich Radikale als Sprachrohr der Muslime darstellen wollten.

Eckhart Körting (SPD, 2011): „Fast jeder, der Richtung Dschihad abgedriftet ist, hatte mit Salafisten Kontakt.“

(Unvollständige Liste)

 

4. Für den Focus sind Deutsche nur als Opfer vorstellbar.

Noch so eine Illustration aus der Titelstrecke: Wir sehen einen bärtigen Muslim, der einen Koran hinter dem Rücken hält, und einem anderen jungen Mann verschwörerisch etwas ins Ohr flüstert (Koransuren gar?). Die Bildunterschrift lautet: „Wieder hat der angebliche Diener Allahs einen jungen Deutschen für seinen Kampf gewonnen.“

Deutsche, so lautet die subkutane Botschaft des Focus, werden verführt. Böse sind „die Anderen“.

Das ist auf so vielen Ebenen schief, dass man schreien möchte. Aber für den Focus ist offensichtlich klar: Der mit dem Bart – das kann schon mal kein Deutscher sein.

 

5. Der Focus kennt sich nicht aus in der Welt.

„In weiten Teilen der islamischen Welt dürfen Frauen weder am öffentlichen Leben teilnehmen noch Eigentum besitzen noch heiraten, wen sie wollen.“

Ich bin der Letzte, der reale Unfreiheiten verteidigt – aber dieser Satz allein reicht als Eingeständnis, dass es dem Focus nicht um Journalismus geht. In „weiten Teilen“ der muslimischen Welt? Nur zwei kleine Beispiele: Pakistan und die Türkei (zwei bevölkerungsreiche unter den mehrheitlich muslimischen Staaten) hatten weibliche Regierungschefs. Und Rania, die Königin von Jordanien, tritt nicht nur ständig öffentlich auf (jaja, ich weiß: repräsentativ, aber trotzdem), sie trägt auch noch – Achtung, Focus-Redaktion! – häufiger mal kein Kopftuch.

 

Fazit

Der Islam braucht einen Luther, schreibt der Focus als Fazit. Mindestens genauso dringend braucht der Focus allerdings Journalisten. Sollte diese Titelgeschichte ein ernst gemeinter Versuch gewesen sein, reale und diskussionswürdige Probleme anzusprechen, dann ist er gescheitert. Aber so geht das, wenn einem die eigenen Vorurteile den Blick verstellen. Oder wenn man glaubt, man könne durch das vermeintliche „Tabu“ der „Islamkritik“ noch ein paar Leser rekrutieren.

 

Antisemitische Kommentare bei „Politically Incorrect“

Das notorisch islamfeindliche Internetforum „Politically incorrect“ (PI) brüstet sich ja stets damit, dass es sich gegen den Mainstream stelle und gewissermaßen eine der wenigen verbliebenen wahrhaft liberalen Debattenplattformen sei. Das ist natürlich einerseits Quatsch, weil PI seine eigene Spielart der Political Correctness zu etablieren versucht („pro-amerikanisch; pro-israelisch; Grundgesetz und Menschenrechte; gegen die Islamisierung Europas“).

Andererseits ist es aber erschütternd wahr. Denn während in den „Leitlinien“ für Besucher steht, und zwar unter §1, dass „Kommentare, die mit fäkalsprachlichen, blasphemischen, antisemitischen oder vulgären Ausdrücken durchsetzt sind… von uns nicht akzeptiert“ werden, sind die Administratoren des Forums anscheinend deutlich besser darin, Fäkalsprache zu unterbinden als Antisemitismus.

Letzte Woche gab es wieder einen Anlass, der geeignet war, zu verdeutlich, was für Leser PI (auch) anzieht. Der Chef der von PI wohlwollend begleiteten „Alternative für Deutschland“ (AfD), Bernd Lucke, war zuvor aus einem Interview mit Michel Friedman herausgelaufen, weil er mit dessen aggressiven Nachfragen nicht zufrieden war. Es ging um ein – möglicherweise nicht korrekt wiedergegebenes – Zitat einer Parteikollegin von Lucke, von dem Friedman wissen wollte, ob es nicht rassistisch sei.

Luckes Walk-Out wurde von vielen PI-Kommentatoren gelobt. Mindestens eben so viele kritisierten Friedmann. Das ist natürlich jedermanns gutes Recht.

Eine andere Sache aber ist es, wenn diese Kritik mit eindeutigem oder subtilem Antisemitismus einhergeht. Die wenigsten der 183 Kommentare (Stand Dienstag) fallen in diese Kategorie; die folgenden, die seit Tagen ungelöscht auf der Seite von PI stehen, aber durchaus.

„Friedmann gilt seit Jahren durchaus auch in jüdischen Gremien als eine schillernde Figur, die der jüdischen Gemeinde schadet. Es ist die linksgrün gestrickte Medienwelt, die solchen Leuten eine Bühne gibt, indem sie, wie auch in diesem Falle, sich diverser ‚Vorzeigejuden‘ bedient…“

„Friedmann kann für Antisemitismus verantwortlich gemacht werden. Dieser schlieige, pomadisierte und Sonnenbank verunzierte falsche Moralapostel ist das Unerträglichste, was das Fernsehen zu bieten hat. Es darf nicht verwundern, dass diese billige Kreatur dem Ansehen des Jüdischen Volk schadet.“

„Was motiviert Friedmann?
Geld?
Jedenfalls sind linksgrüne Juden eher selten!“

„Friedmann schadet dem jüdischen Volk enorm. Viele Deusche, die eh schon vorbelastet sond, denken, wenn sie den Gockel sehen: ‚Das sind also die Juden! So eklig schmierig, betrügerisch und gemein. Schade, daß es keinen Hitler mehr gibt…‘ Dass viele Juden anständige Leute sind, die keinen neppen und schleppen, sehen die Zuschauer nicht. Nur den blöden Friedmann, der mit seiner Hakennase und seinem Benehmen das Klischee des typischen Hitlerjuden voll bestätigt…“

„Außerdem nimmt (er) sich unter dem Schutzschild des ‚Ich-darf-das-ich-bin-Jude‘-Nimbus allerleri Provokationen und zwischenmenschliche Regelverstöße heraus.“

„Schon Jesus von Nazareth wirde von hochnäsigen Pharisäern auf ähnlich hinterfotzige Art und Weise in die Falle gelockt, nur um ihn an den Henker Pontius Pilatus auszuliefern. Friedmann wendet die gleiche hinterfotzige psychologische Technikan wie vor 2000 Jahren. … Der Teufel Göbbels war auch ein seeeeeeeeer intelligenter Menschen, so glaubten damals die Menschen. Ich möchte Friedmann nicht mit Göbbels vergleichen, aber beide wenden die gleichen psychologischen Tricks an.“

„Nee, Friedmann ist sicher kein ‚Vorzeigejude‘ – außer vielleicht für Antisemiten. Er ist arrogant, schleimig, hinterähltig und verkörpert alles, was die Nazis und andere Antisemiten den Juden vorgeworfen haben bzw. immer noch vorwerfen. Mit so einem Typen im Rampenlicht tut sich die jüdische Gemeinde keinen Gefallen…“

Hier sind die klassischen, antisemitischen Klischess versammelt: Der Jude ist selbst schuld am Antisemititmus; er ist seine eigene Karrikatur; er ist schlimmer als die Nazis (oder wenigstens genau so schlimm); er nutzt den Holocaust für seine Zwecke; er ist geldgierig; etc.

Es ist keine Neugikeit, dass sich solcherlei Gestalten ihre Tage bei PI verkürzen. Ich finde es trotzdem wichtig, ab und zu mal zu dokumentieren, was sich unter dem Deckmantel der angeblich wahrhaften Liberalität so Bahn bricht.

 

Kommt ein Imam in eine Kirche…

… dann gibt es mittlerweile immer öfter Ärger. Zuletzt im pfälzischen Hambach, als während einer Anti-Kriegsmesse ein islamischer Gebetsruf erklang. Für selbsternannte „Islamkritiker“ ein Anlass zur Hysterie.

Nicht mehr als 8.960 Untertanen der britischen Königin dürfen den Titel Commander of the most excellent Order of the Britisch Empire tragen, einer von ihnen ist der walisische Komponist Karl Jenkins, dem der Titel 2010 verliehen wurde. Jenkins hat noch andere Auszeichnungen erhalten, aber eine weitere wichtige ist zweifellos, dass sein Werk The Armed Man 2008 in einer Top-10-Liste des Senders Classic FM von Stücken lebender Komponisten auf dem ersten Platz landete.

The Armed Man ist Jenkins‘ bekanntestes Stück. Es ist eine „Messe für den Frieden“, wie sie auch im Untertitel heißt. Seit der Uraufführung im Jahr 2000 ist sie Hunderte Male in der ganzen Welt aufgeführt worden; von Profis und von Amateuren. Eine der letzten Aufführungen fand am vergangenen Wochenende statt – in Neustadt-Hambach in der Pfalz.

Allerdings stiftete sie keinen Frieden.

Der Grund dafür ist knapp über zwei Minuten lang. Denn das Stück sieht vor, dass der islamische Gebetsruf vorgetragen wird. Das gesamte Werk befasst sich mit der Frage von Krieg und Frieden und der Rolle der Religion in beidem. Jenkins widmete das Stück seinerzeit den Opfern des Kosovo-Konflikts. Es folgt der Struktur einer klassischen christlichen Messe, enthält aber auch Überblendungen und Einschübe – darunter eben jenen Gebetsruf, der mit den bekannten Worten „Allahu Akbar“ beginnt.

Im Sommer dieses Jahres hatte die Leiterin der Kantorei der Pauluskirche von Neustadt-Hambach die Idee, das Werk in dem Gotteshaus aufzuführen. Für den Gebetsruf, den Adhan, bat man den Imam einer benachbarten Moschee um seine Teilnahme. Der sagte auch zu.

Doch je näher die Aufführung rückte, desto mehr regte sich Widerstand. Der Pastor der Gemeinde, Ludger Mandelbaum, hatte zwar die Mehrheit des Gemeinderates hinter sich; er hatte zusätzlich die Unterstützung des Landeskirchenrates Speyer eingeholt. Und auch der Islambeauftragte der Landeskirche sah kein Problem, wie die Südwestdeutsche Zeitung berichtete.

Aber eine Woche vor der Aufführung wurden am Rande des Gottesdienstes Flugblätter verteilt, in denen es der Zeitung zufolge unter anderem hieß, in dem „scheinbar friedlichen“ Gebetsruf seien „Intoleranz, Ausgrenzung und auch Gewalt programmiert“. Presserechtlich verantwortlich zeichnete der einschlägige „Islamkritiker“, Wilfried Puhl-Schmidt.

Ähnlich sieht das Hertha Jene, die für den Tag der Aufführung eine Mahnwache anmeldete.

Ich habe am Dienstag mit Jene telefoniert. Sie sagt, sie treibe vor allem die Christenverfolgung in islamischen Ländern um. Aus Respekt vor diesen Opfern habe der islamische Gebetsruf „keinen Platz in der Kirche“. Außerdem sei die Übersetzung der Worte „Allahu Akbar“ im Programmheft mit „Gott ist groß“ eine „Schönfärberei“; Allah dürfe man nicht einfach mit Gott übersetzen. Und überhaupt: „Allahu Akbar ist der Schlachtruf vor und nach mörderischen Aktionen der Muslime gegen Juden und Christen.“

Dass viele hundert Millionen Muslime jeden Tag mehrmals Allahu Akbar sagen, ohne irgendjemanden zu verfolgen, ficht sie nicht an. Der Kirche wirft sie unterdessen „Lüge“ vor. Sie verstricke sich in Schuld, „genau wie ’33: Damals haben sie Heil Hitler gerufen, heute ist es ähnlich.“

Jene scheint am Islam und den Muslimen grundsätzlich weniges Gutes erkennen zu können. Sie sagt auch, es falle ihr schwer, zwischen Radikalen und gewöhnlichen Muslimen zu differenzieren. Der Koran richte sich ja an alle Muslime gleichermaßen, und er enthalte zahlreiche Gewaltaufrufe. Die meisten Muslime sehen das freilich etwas anders. Und sie handeln auch anders.

Die Mahnwache, die Jene anmeldete, fand denn auch statt, direkt vor der Kirche. Es gibt im Netz Bilder davon. Auch zum Christentum konvertierte Ex-Muslime hatten sich eingefunden. Auf den Plakaten stand zum Beispiel „Allah ungleich Gott“ oder „Alle drei Minuten stirbt ein verfolgter Christ“. Aber auch mindestens ein Vertreter der zum Rechtsextremen tendierenden „German Defence League“ war dabei. Mit der, betont Jene, wolle sie natürlich nichts zu tun haben. Und stören hätten sie und ihre Mitstreiter das Konzert auch nicht wollen.

Es ist ein freies Land, die Mahnwache war genehmigt, und nicht jeder muss es gut finden, wenn ein Imam in einer Kirche auftritt.

Trotzdem gebe ich gerne zu, dass mich das schon verstört. Es ging schließlich um eine Friedensmesse. Und was hat der Imam der Stadt mit Christenverfolgung zu tun?

Auf dem islamophoben Internetportal Politically incorrect sieht man das naturgemäß anders. Hier wurde die Aufführung ausgiebig vor- und nachbereitet. Denn auf PI ist jeden Tag Weltuntergang. Oder zumindest Untergang des Abendlandes.

Entsprechend findet sich in den Kommentarspalten, wie stets bei solchen Anlässen, die übliche Mischung aus Rassismus und Verbalradikalismus. Hier ein paar Beispiele:

„Das geblöke eines Muezzins läßt mich jedesmal spekulieren, ob noch Hirn drin ist.“

„Dieser Windelbrüllaffe ist die Härte!“

„Die Evangelisch-Lutherische Kirche hat sich selber abgeschafft, erstens hat sie den Kirchengründer Martin Luther verraten und verkauft und zweitens hat sie Jesus Christus und alle Heiligen der Kirche verraten und verkauft. Pfui Teufel.“

„Danke an alle, die vor der Kirche standen und sich für die Wahrheit einsetzen. Dazu gehört in einer Zeit der Islamisierung Europas wieder Mut. Die Bedrohung der Existenz bei Islamaufklärern ist mittlerweile real. Nicht nur durch den drohenden Islam sondern auch von Seiten unserer Eliten in Politik, Medien und Deutschen Bischöfen.“

„Austreten bevor noch schlimmeres geschieht und man direkt als ein Volksverräter in die Geschichte eingeht! Wie damals bei den Nazis…..“

Selbstverständlich verzichteten die Diskutanten nicht darauf, Telefonnummer und E-Mail-Adresse des Pastors zu veröffentlichen. „Es ist nicht schön“, sagte Ludger Mandelbaum mir am Dienstag. 150 E-Mails hat er mittlerweile bekommen, „einige beleidigend“, wieder andere nehme er als Pastor durchaus ernst. Fünf Anrufe erhielt er am Dienstag, „von empört bis Austrittsdrohung“.

Vor Ort hatte es laut Mandelbaum deutlich mehr positive als negative Rückmeldungen gegeben. Die Kirche war bis auf den letzten Platz gefüllt gewesen, die Zeitung fand das Konzert berührend.

Auf Politically Incorrect werden derweil Daten und Orte herumgereicht, an denen The Armed Man als nächstes aufgeführt werden soll.

Es könnte also künftig etwas mehr Mut erfordern, ein weltberühmtes, auf den Frieden zwischen den Menschen ausgerichtetes Musikspiel zur Vorführung zu bringen. Hoffentlich wird es richtig oft gespielt.

PS: Der oben stehende Text bildet den Stand vom Dienstagnachmittag ab. Am späten Dienstagabend nahm er eine weitere Wendung. Denn Pastor Mandelbaum antwortete auf eine E-Mail aus dem PI-Umfeld. Ich dokumentiere seine Antwort hier, weil ich sie bemerkenswert finde.

„Seit 2002 werden Jahr für Jahr Vertreter aller Religionen nach Assisi zu einem Gebet für den Frieden eingeladen, um alle jene zu isolieren, ‚die den Namen Gottes für Zwecke und mit Methoden mißbrauchen, die ihn in Wahrheit verletzen‘. Karl Jenkins setzt sich mit seiner Friedensmesse für Toleranz ein. Er erinnert mit seinem Werk daran, welche Folgen ein mangelndes Verständnis zwischen den Kulturen und Religionen hatten und haben können. Wenn ein Muslim im Rahmen des Werkes seinen Gebetsruf singt, bringt er zum Ausdruck, was er von Gewalt im Namen der Religion hält – nämlich nichts.

Vor dem Konzert hat es eine Mahnwache gegeben von Menschen, zum Teil von Mitchristen, die darauf aufmerksam machen wollen, wie es manchen Christen zur Zeit in der muslimischen Welt ergeht, in Syrien, in Ägypten, in Malaysia. Ich nehme das wahr und ernst. Es zwingt mich als Pfarrer über unser Verhältnis und unser Gespräch mit muslimischen Menschen nachzudenken. Beten wir zum gleichen Gott? Das ist eine offene Frage. Aber eins weiß ich, nur wenn wir friedlich miteinander umgehen, offen werden, um zu hören, was den anderen im Inneren bewegt, werden wir eine Antwort bekommen. Am Ende kann nur Gott selbst uns eine Antwort schenken.

Es tut mir sehr leid, dass einige, darunter auch sehr ernsthafte Christen, sich durch die Friedensmesse mit dem muslimischen Gebetsruf in unserer Kirche beschwert fühlen. Für mich sind in diesen Tagen um und nach der Aufführung der Friedensmesse Wort Jesu nach dem Lukasevangelium leitend:

Lukas 6,27 Euch, die ihr mir zuhört, sage ich: Liebt eure Feinde; tut denen Gutes, die euch hassen. 28 Segnet die, die euch verfluchen; betet für die, die euch misshandeln.

In diesem Sinne grüße ich Sie…!“

Mandelbaums E-Mail landete natürlich umgehend auf Politically Incorrect – was eine neuerliche Welle von Kommentaren nach sich zog. Hier eine Auswahl der Schmähungen: „Erdnusskopf“, „Wer hat denn dem ins Gehirn gesch…?“, „Was für eine Heuchelei, Herr Pfarrer Mandelbaum!“, „Es müssen auch mal Taten erfolgen anstatt immer nur heuchlerisch sein Mitleid ausdrücken. Widerlich solche Menschen, und eine Ohrfeige für die orientalischen Christen“, „Antrag auf Einweisung“, „ein Zeichen von Hirnlosigkeit“.

 

Warum man jetzt auf die AfD achten muss

René Stadtkewitz, Bundesvorsitzender der rechtspopulistischen Partei Die Freiheit, hat in einem Brief an alle Mitglieder angekündigt, dass seine Truppe ihre sämtlichen Vorhaben auf Bundes- und Landesebene einstellen wird. Stattdessen wolle sich die Partei ausschließlich auf die Kommunalpolitik konzentrieren, Schwerpunkt Bayern. Auch an der Europawahl 2014 wird Die Freiheit nicht teilnehmen. Das Schreiben wurde im islamophoben Internetportal Politically Incorrect verbreitet; nach Auskunft der Geschäftsstelle der Partei ist es authentisch.

Stadtkewitz macht in dem Schreiben kein Geheimnis aus den Gründen für die Entscheidung: „Mit der Alternative für Deutschland hat es erstmals eine bürgerlich-liberale Partei geschafft, sich eine realistische Chance zu erarbeiten, bereits im kommenden Jahr in zahlreichen Parlamenten vertreten zu sein. Diese Chance gilt es nun nach Kräften zu unterstützen.“ Es müsse diejenige Partei die „optimalen Startbedingungen erhalten, die die größte Erfolgschance hat, Politik in unserem Sinne gestalten zu können“. Die Ziele der AfD, konstatiert Stadtkewitz weiter, „decken sich zu min. 90% mit unseren“.

Sind die AfD-Aktivisten die professionelleren Rechtspopulisten? Stadtkewitz‘ Schreiben dürfte die Debatte, wie rechts die AfD ist, weiter lebendig halten. AfD-Chef Bernd Lucke hat zwar im Wahlkampf immer wieder entsprechende Vorwürfe zu entkräften versucht. Aber Zweifel bleiben.

„Wir lieben die Vielfalt“

Für DIE ZEIT hat die Kollegin Caterina Lobenstein zum Beispiel im August einen AfD-Wahlkämpfer beobachtet, der erklärte: „Wir lieben die Vielfalt. Aber der Massenzuzug aus einem ganz fernen Kulturraum, der islamische, der archaische Kontext, der belastet uns.“ Und dem Spiegel sagte der Hamburger AfD-Sprecher Anfang September, es lasse sich nicht leugnen, dass „sich in mehreren Ländern systematisch rechte Gruppen formieren, die auf Inhalte und Image unserer Partei Einfluss nehmen wollen“. Schaut man sich darüber hinaus Social-Media-Profile von AfD-Mitgliedern und -Funktionären an, findet man rasch welche, die öffentlich gegen Moschee-Neubauten polemisieren oder die neu-rechte „Identitäre Bewegung“ gut finden.

Natürlich ist die AfD weder was das Programm, noch was das Personal angeht, durchgehend xenophob. Schon gar nicht in dem Maße wie Die Freiheit. Sie ist zudem bürgerlicher und intellektueller. Aber sagen wir es so: Es gibt durchaus Rechte, die gern bei der AfD mitmischen. Sie finden sich vermutlich eher an der Basis als in der Spitze, was aber nicht heißt, dass sie keinen Einfluss haben.

Und nun könnten es mehr werden. Denn das Lob aus Stadtkewitz‘ Munde hat in islamfeindlichen Kreisen Gewicht. Deshalb muss man sich jetzt – auch wenn sie den Einzug in den Bundestag verpasst hat – genau anschauen, wie es mit der AfD weitergeht.

Wählerpotenzial am rechten Rand

Auf Politically Incorrect, dem Zentralorgan der deutschen islamophoben Szene, löst die Erklärung ein gespaltenes Echo aus. Viele Diskutanten bekunden Stadtkewitz Respekt; man darf davon ausgehen, dass etliche von ihnen die AfD für wählbar halten. Andere sehen die AfD als zu nahe dem politischen Mainstream. In der Summe dürfte es also durchaus ein paar Wähler aus diesem Lager geben, die nun überlegen werden, bei der Europawahl statt bei Der Freiheit ihr Kreuz bei der AfD zu machen.

Es wird deshalb interessant sein zu beobachten, wie die AfD ihren Europa-Wahlkampf gestalten wird. Bei der Europawahl gilt keine Fünfprozenthürde, sondern eine von drei Prozent. Lucke & Co. dürfen also hoffen – auch weil der Euro ihr Leib-und-Magen-Thema ist –, ohne weitere Zuspitzung ins Europaparlament getragen zu werden. Aber was, wenn die Umfragewerte wieder sinken – und der eine oder andere Parteistratege das Wählerpotenzial am rechten Rand zu nutzen versucht? Euro-Skepsis und Islamophobie gehen in anderen westeuropäischen Rechtsparteien schließlich schon lange Hand in Hand.

Die AfD ist noch nicht fertig ausgeformt, ihr Profil noch nicht fixiert. Die kommenden Monate könnten dafür entscheidend sein.

 

Im Twitterversum

Helden und Hetzer, Experten und Verschwörungstheoretiker, Opfer – am Ende gar vermeintliche Täter: Der Anschlag von Boston und die Suche nach den beiden mutmaßlichen Terroristen hat auf Twitter das Beste und das Schlimmste zugleich hervorgebracht. Ein Erfahrungsbericht aus vier Tagen „Twitter-Gewitter“.

Ich bin müde, denn ich habe seit Montag nur wenig geschlafen. Ich war dafür sehr ausgiebig auf  Twitter unterwegs. „Du twitterst so intensiv und spätnachts, da dachte ich, Du bist auf der Boylston Street (in Boston) unterwegs“, schreibt mir gerade ein ZEIT-Kollege aus den USA. Ich war die ganze Zeit in Berlin, nicht in Boston – und ich hoffe, dass ich nicht ernsthaft das Gefühl erweckt habe, ich sei vor Ort; das wäre anmaßend und schräg.

Aber Twitter ist auf seine ganz eigene Art durchaus ein Dabeisein-Medium. Wobei das „Dabei“ weniger einen tatsächlichen Ort beschreibt als vielmehr eine öffentliche Diskussion über einen realen Ort und ein echtes Geschehnis. Ich suche aus, wessen Mitteilungen über dieses Ereignis ich wahrnehmen will.  Ich setze mich absichtsvoll einem ungefilterten Strom an wahren und falschen und halbwahren Informationen aus. Wenn man sich dieser Einschränkungen bewusst ist, kann Twitter ein grandioses Medium sein.

Freilich auch ein irritierendes. Ein skurriler Höhepunkt in den vier Tagen „Twitter-Gewitter“, in das ich mich wegen der Bostoner Anschläge begeben habe, fand am Freitagnachmittag statt, als plötzlich Nachrichten aus dem abgehörten Funkverkehr der Bostoner Polizei über Twitter liefen. Wenig später bat die Polizei, natürlich auf  Twitter, das zu unterlassen. Denn es bestand die Sorge, dass der Flüchtige via Twitter Wissen über Polizeipläne erhalten könnte.

Mehr Echtzeit geht nicht. In Twitter steckt echtes Potenzial, im Schlechten wie auch im Guten. Bostoner Bürger haben Betroffenen nach den Explosionen am Montag nicht zuletzt über Twitter Hilfe und Unterkunft angeboten.

Twitter ist kein Journalismus-Ersatz. Die meisten Twitterer plappern einfach vor sich hin, so wie es Menschen in der analogen Welt auch tun: „Hast du schon gehört?“ – Was dann folgt, ist oft genug ein Gerücht, unvollständig, halbfalsch. Aber es kann in Sekundenfrist tausendfach verbreitet werden und mit jeder Verbreitung echter wirken. Auch das geschah im Fall Boston, in übelster Weise. So galten in Teilen des Twitterversums über Stunden hinweg erst ein Saudi-Araber und dann ein indischer Student als Täter. Sie waren nicht einmal verdächtig. Kaum jemand entschuldigte sich für diese Falschmeldungen, und manche störten sich auch nicht daran, dass sie gefährlichen Blödsinn um die Welt geschickt hatten. Im Gegenteil. Sie wollten nur, dass andere es glaubten. Twitter ist wie jedes Medium auch ein Werkzeug von Hetzern, Rassisten, Terroristen.

Andererseits ist Twitter großartig, um auf dem Stand zu bleiben, wenn es um echten Journalismus geht. Es ist unmöglich, durch Googeln so schnell an so viele Links zu aktuellen Artikeln aus aller Welt zu kommen. Wer jedoch die Leute, denen er auf Twitter folgt, geschickt aussucht, hat seinen eigenen digitalen Schnipseldienst schnell zusammen. Lesen und bewerten muss jeder selber – aber es hilft zum Beispiel, wenn ein Experte, den man kennt und dem man traut, einen Link zu einem Text herumschickt und erkennen lässt, dass er ihn schon gelesen hat und für wichtig hält.

Wer stattdessen nur CNN geschaut hat (was ich stundenweise parallel getan habe) war oft schlechter und langsamer informiert. Und warum soll ich warten, bis ein Journalist anderswo eine Meldung aufbereitet und produziert und online gestellt hat, wenn ich der Bostoner Polizei, dem Polizeipräsidenten, dem zuständigen Staatsanwalt und dem FBI auf Twitter folgen kann, wo ich ihre Kommuniqués als Erster bekomme?

Und dann gibt es noch die hyperreale Seite an Twitter, die manchmal fast wieder irreal wirkt: Wenn ich auf Twitter lesen kann, wie Bostoner Einwohner beschreiben, was sie in dieser Sekunde sehen, wenn sie aus dem Fenster schauen. Wenn sie sogar noch die Fotos dazu schicken, aus einer Zone, zu der Journalisten keinen Zugang haben, weil sie abgeriegelt ist. Oder wenn, ein weiterer Höhepunkt und besonders gespenstisch, plötzlich der Twitter-Account des Flüchtigen entdeckt wird und seine eigenen Worte von vor einigen Tagen oder Wochen nachzulesen sind. Die dann wieder von Menschen kommentiert werden – unter ihnen solche, die ihn kannten. (Oder es behaupten – wie gesagt: Das Prüfen muss man schon selbst übernehmen!)

Twitter ist sehr unmittelbar und schnell. Doch das bedeutet nicht, dass man nicht auch an kluge Gedanken geraten kann. (Für Journalisten können natürlich auch die nicht klugen Gedanken interessant sein, weil sie trotzdem etwas aussagen.) Ich beschäftige mich seit Jahren mit Terrorismus und folge darum vielen Terrorexperten, die ich zu einem guten Teil auch aus der realen Welt kenne, von Konferenzen, aus Interviews und so weiter. Ich weiß, dass sie sich auch für den Anschlag interessieren und ich lege Wert auf das, was sie zu sagen haben (die Klügsten unter ihnen unterlassen freilich das freihändige Spekulieren, sie weisen stattdessen auf hilfreiche Ressourcen hin, die den Kontext erweitern). Auf Twitter habe ich eine Dauer-Konversation mit ihnen, ohne dass ich sie anrufen muss, einen nach dem anderen. Einer dieser Experten twitterte am dritten Tag die auf den ersten Blick erstaunliche Theorie, dass Twitter sogar helfen könne, den Nachrichtenzyklus zu entschleunigen.

Das wirkt verrückt. Andererseits: Einzelne TV-Sender berichteten zwischenzeitlich deutlich weniger besonnen als Twitterer. Eine interessante Frage: Fühlten sie sich von Twitter getrieben? Oder hätte Twitter ihnen helfen können, besser zu berichten? (Aber das ist eine andere Diskussion.)

Twitter hilft jedenfalls eher beim Informieren als beim Nachdenken. Es ist nicht logisch, nicht geordnet, nicht strukturiert. Twitter allein ist auch sicher keine gute Grundlage für die Beschreibung oder Deutung der realen Welt, und so nutze ich es auch nicht. Aber es ist nah, direkt, laut. Und interaktiv: Mini-Debatten inmitten eines großen, globalen Palavers. Ernsthaftes und Wichtiges und Nachdenkliches versteckt in einem unablässigen, oft auch redundanten Strom – das ich aber anders vielleicht gar nicht entdeckt hätte.

Twitter ist anstrengend. Ich mache jetzt eine Pause.