Melanie Ohme ist eine der bekanntesten deutschen Schachspielerinnen. Sie spielt in der Frauennationalmannschaft und war offizielle Botschafterin der Schacholympiade in Tromsø. Nach dem Abschluss eines Bachelor-Studiums in Psychologie an der Universität von Mannheim macht sie zurzeit in Groningen ihren Master in Psychologie – Schwerpunkt Arbeits- und Organisationsentwicklung. Im Deutschen Schachbund arbeitet sie ehrenamtlich als Referentin für Mädchenschach.
Melanie Ohme beim dritten Frauen- und Mädchenschachkongress in Kassel (Foto: privat)
ZEIT ONLINE: Frau Ohme, vor Kurzem fand in Kassel der dritte Frauen- und Mädchenschachkongress teil. Worum ging es?
Melanie Ohme: Unter anderem um die geringe Quote Schach spielender Mädchen und Frauen. Wir haben auf dem Kongress diskutiert, wie man Mädchen für das Schach gewinnen und beim Schach halten kann. Wir haben untersucht, wie das in anderen Disziplinen aussieht, zum Beispiel der Mathematik. Vereine haben ihre Mädchenschachprojekte vorgestellt, wir haben Stereotype und Rollenbilder analysiert und überlegt, was man im Frauenschach besser machen kann.
ZEIT ONLINE: Ihr Fazit?
Ohme: Ich glaube, die Mischung aus theoretischen Beiträgen und spannenden Diskussionen kam gut an. Im Spielbetrieb gab es dieses Jahr mit dem Erfurter Frauenschachfestival und dem noch anstehenden German Masters der Frauen schon ein gutes Angebot für Schachspielerinnen. Trotzdem gibt es noch viel Verbesserungsbedarf. Ich glaube, dass Mädchen- und Frauenschach auch in den Medien mehr Aufmerksamkeit erhalten sollte, um Mädchen die Angst vor dem männerdominierten Sport zu nehmen. Alle Teilnehmer und Teilnehmerinnen des Kongresses waren sich einig: Schach ist ein Sport für Frauen!
ZEIT ONLINE: Sie selbst spielen besser Schach als 99 Prozent aller deutschen Männer. Generell spielen Frauen weniger und schlechter Schach als Männer. Warum?
Ohme: Die Unterschiede in der Spielstärke von Männern und Frauen haben vor allem statistische Gründe. Würden mehr Mädchen Schach spielen, gäbe es bessere Spielerinnen. Aber Mädchen und Frauen, die Schach spielen wollen, müssen mit Vorurteilen kämpfen. Das zeigt sich schon in der Sprache. Schon der Ausdruck „Mädchenschach“ ist mit ängstlichem, passivem und schlechtem Spiel konnotiert. Wenn ein Mädchen Schach spielen will, wird sie im Schachverein oft nicht er-, sondern entmutigt. Irgendwann haben die Mädchen keine Lust mehr und hören auf. Ich war auch lange das einzige Mädchen in meiner Schachgruppe, das war nicht immer lustig. Doch ich habe mich durchgebissen. Und als ich besser wurde als die Jungs, waren sie still.
ZEIT ONLINE: Welche Bedeutung haben klassische Rollenbilder von Mädchen und Jungen, Männern und Frauen?
Ohme: Auf Stereotype und starre Rollenbilder stößt man immer wieder. Studien zeigen, wie sehr Rollenbilder das Verhalten prägen. Man spricht vom „Stereotype Threat“, dem Phänomen, dass sich die Menschen ihren Rollenvorbildern entsprechend verhalten und so Stereotype bestätigen. So hat man Frauen in Studien eine Reihe von Aufgaben vorgelegt – und einmal als Mathetest bezeichnet, einmal anders. Die Fragen waren identisch, doch wenn man den getesteten Frauen gesagt hat, es handele sich um einen Mathetest, haben sie schlechter abgeschnitten. Denn es gibt das Vorurteil, dass Frauen in Mathe schlecht sind. Dieses Rollenmuster haben die Frauen unbewusst reproduziert. Ähnliche Tests wurden auch im Schach durchgeführt. Man hat Frauen gegen Männer spielen lassen, und wenn man sie vorher an den Stereotyp „Frauen können kein Schach spielen“ erinnerte, schnitten sie schlechter ab.
ZEIT ONLINE: Das heißt, die Tatsache, dass Frauen im Moment schlechter und weniger spielen als Männer, hat gesellschaftliche, aber keine biologischen Ursachen?
Ohme: Natürlich gibt es biologische Unterschiede zwischen Männern und Frauen, aber Untersuchungen haben gezeigt, dass die beim Schach wahrscheinlich eine eher untergeordnete Rolle spielen.
ZEIT ONLINE: Nun wird gerne behauptet, Frauen fehle die Aggressivität, die Willensstärke, der Killerinstinkt, den man braucht, um im Schach erfolgreich zu sein.
Ohme: Schaut man sich an, wie die Frauen spielen, so kann man sicher nicht behaupten, sie spielen weniger aggressiv als die Männer. Im Gegenteil. Im Frauenschach wird mehr gekämpft und weniger häufig schnell Remis gemacht als im Männerschach. Vielleicht kommen nur die Frauen mit einer aggressiven Grundeinstellung an die Spitze. Im Breitensport sieht es wohl anders aus. So hört man immer wieder, wie Leute berichten, dass Mädchen dort friedlicher sind. Sie wollen sich nicht wehtun, machen schnell Remis oder sagen, „Wenn ich eine Figur von dir schlage, darfst du auch eine Figur von mir schlagen.“ Sie sehen Schach eher gemeinschaftlich und weniger als Kampf gegeneinander. Was Schach aber nun einmal ist.
ZEIT ONLINE: Spielstärke hin oder her – auf den ersten Blick scheinen für Frauen in der Schachwelt paradiesische Zustände zu herrschen…
Ohme: (lacht) … weil Hunderte von Männern sich um eine Frau reißen? Ja, es stimmt, als Frau hat man weniger Konkurrenz und mittlerweile gibt es in fast jedem Turnier Frauenpreise, um die manchmal nur drei oder vier Frauen kämpfen. Es gibt Männer, die besser spielen als ich, aber ich genieße als Frau einen gewissen Status in der Schachwelt, spiele in der Nationalmannschaft und werde zu attraktiven Turnieren eingeladen. Aber: Auch im Schach verdienen die Männer besser als die Frauen. In der Nationalmannschaft, bei Turnieren und in Mannschaftswettbewerben. Auch in der Berichterstattung herrscht ein Ungleichgewicht. Zwar wird heute viel mehr über Frauenturniere berichtet als früher, aber oft nur mit wenig mehr als mit Fotos schöner Frauen – so als ob bei Frauen das Aussehen, aber nicht die Leistung zählt.
ZEIT ONLINE: Es gibt eigene Turniere für Frauen. Ist das gut?
Ohme: Ja, wegen dieser Ungleichbehandlung ist es okay, wenn Frauen ihre eigenen Nationalmannschaften haben und eigene Turniere spielen. Im Moment müssen Mädchen noch motiviert werden, um Schach zu spielen und Frauen- und Mädchenpreise sorgen für eine solche Motivation. Aber natürlich sind diese Preise eine zweischneidige Sache, denn sie suggerieren zugleich, dass Mädchen eigentlich schlechter spielen.
ZEIT ONLINE: Was ist für Sie das Schöne am Schach?
Ohme: Ich liebe das Flow-Gefühl beim Schach, die Freude, wenn man sich voll und ganz in etwas vertieft. Nebenbei entwickelt man nützliche Eigenschaften wie Konzentrationsfähigkeit, problemorientiertes Denken und die Bereitschaft, nach ungewöhnlichen, kreativen Lösungen zu suchen. Dazu kommt die Wettkampfatmosphäre, die Anspannung, der Siegeswille und die Bereitschaft, sich anzustrengen, um gute Züge zu finden – das ist ein phantastisches Gefühl.