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Premiere in der Champions League

 

PALACIO-EUSKALDUNA-NOCTURNA
Der Spielort des ECC 2014 in Bilbao- Der Palacio Euskaduna Quelle: http://www.bidc-council.net

Während einer Partie musste ich etwas länger über einen meiner nächsten Züge nachdenken. Als ich hinauf schaute, stand er plötzlich da und starrte auch auf mein Brett: Viswanathan Anand, der Ex-Weltmeister, der vielleicht bald Wieder-Weltmeister. Ich war mir meines nächsten Zuges relativ sicher, traute mich aber nicht den Zug auszuführen, während Anand noch selber über meine Stellung nachdachte. Zu peinlich wäre es vor einem der besten Schachspieler der Gegenwart gewesen, etwas zu übersehen. Erst als der Inder wieder zu seinem eigenen Brett eilte, traute ich mich meinen Zug auszuführen.

So ist das wenn ich als Normalsterblicher plötzlich in der Champions League das Schachs antrete. In der Königsklasse, dem European Chess Club Cup (ECC). Teams aus ganz Europa treffen sich jedes Jahr, um den Besten auszuspielen. Auch mein Verein, die Schachfreunde Berlin, schickte dieses Jahr eine Mannschaft nach Bilbao. Für mich war es, im Gegensatz zu den meisten meiner Mannschaftskollegen, eine Premiere. Auf mich wartete so ziemlich alles, was im Schach Rang und Namen hat. Von der Top Ten fehlte lediglich der Weltmeister Magnus Carlsen. Der Rest ließ sich von den Teams aus Russland, Aserbaidschan oder Italien verpflichten oder spielte im parallel ausgetragenen Chess Masters Final. Ich war jedenfalls hoch motiviert.

Meine Euphorie erlitt jedoch bereits am Gepäckband am Flughafen von Bilbao einen Dämpfer. Mein Koffer war weg. Zum Glück erblickte ich die schwedische Weltklassespielerin Pia Cramling, die ebenfalls nach ihrem Koffer suchte. Ich erinnerte mich, dass sie mit dem spanischen Großmeister Juan Manuel Bellón López verheiratet ist und erhoffte mir durch ihre Sprachkenntnisse entscheidende Informationen zu erlangen. Meine Strategie ging auf. Mithilfe von Cramlings Spanisch erfuhr ich, dass mein Koffer noch in Brüssel feststeckte, während sich ihrer nur zwei Laufbänder weiter verirrte.

 

pia cramling
Die schwedische Großmeisterin Pia Cramling half mir das Kofferproblem zu lösen – Quelle: David Llada

In einem Shoppingcenter musste ich mich mit neuer Kleidung und Waschutensilien eindecken. Aber dann wurde endlich Schach gespielt. Meine Kollegen und ich freuten uns auf die Auslosung der ersten Runde. Zumindest da hatten wir die Chance gegen die absolute Weltelite anzutreten. Und tatsächlich bekamen wir mit SHSM Nashe Nasledie, einer Mannschaft aus Moskau, die Nummer sechs der Startrangliste zugelost. Vom Papier hätte ich gegen den russischen Superstar Alexander Morozevich, derzeit Nummer 23 der Welt spielen können. Doch der russische Mannschaftsführer hielt es nicht für notwendig, in Bestbesetzung gegen unser Team anzutreten. Zu Recht. So bekam ich es in der ersten Runde lediglich mit dem Russen Boris Grachev zu tun, derzeit Nummer 73 der Welt.

Zu meiner Motivation trug sicherlich auch der Spielort bei, der Palacio Euskalduna. Rolltreppen verbinden die verschiedenen Ebenen, Glasfronten erlauben Blicke auf den nahegelegen Fluss Nervión, ein Champions-League-würdiger Spielsaal also. Und dann noch die ganzen Topspieler, die man aus dem Internet oder von Zeitschriften her kennt. Alles Königsklassenfeeling half am Ende jedoch nichts. Grachev und der Rest der russischen Mannschaft zeigten deutlich, dass Russland im Schach immer noch eine Macht ist. Wir verloren verdient mit 1,5-4,5. Wenigstens war mein Koffer wieder da.

Das Schönste: die Partien der Weltelite live anschauen zu können. Spielern wie dem ehemaligen Weltmeister Veselin Topalov, Viswanathan Anand oder dem aktuellen Überflieger und der Nummer zwei der Welt Fabiano Caruana, der nicht einmal vor einem Monat das beste Schachergebnis aller Zeiten erzielte, im Wortsinn bei der Arbeit über die Schulter schauen zu können, ist schon etwas Besonderes.

Dass auch das Zuschauen gefährlich werden kann, war jedoch auch mir neu. Beim entschiedenen Kampf zwischen den beiden Favoriten SOCAR Azerbaijan und Obiettivo Risarcimento in der 5. Runde lief beim Stand von 2,5 zu 2,5 die letzte Partie. Es zeichnete sich ein Sieg der azerischen Mannschaft ab, jedoch musste Veselin Topalov noch sehr präzise spielen, um den vollen Punkt und damit den Mannschaftssieg einzufahren. Sein Gegner an Brett 2, der Amerikaner Hikaru Nakamura wehrte sich bis aufs Letzte und ließ jedes Mal, nachdem er seinen Zug ausgeführt hatte, seine Hand auf die Schachuhr hämmern. Bei immer weniger Zeit war die Anspannung förmlich zu spüren.

Auf einmal war ein leises Knipsen einer Kamera zu hören. Die Akteure selbst haben höchstwahrscheinlich bei der ganzen Anspannung nichts davon mitbekommen. Mir und vor allem dem spanischen Schiedsrichter hingegen war das leise Geräusch aufgefallen. Mit wilden Gesten machte der Unparteiische dem bekannten Schachjournalisten deutlich, dass er sofort den Turnierbereich verlassen müsse. Nachdem dieser sich weigerte und lediglich drauf verwies, dass er zumindest das Knipsen einstellen werde, griff der Schiedsrichter kurzerhand nach dem Presseausweis der um den Hals des Mannes baumelte und zerrte ihn nach unten. Glücklicherweise gab das Plastik nach, der Ausweis trennte sich vom Halsband, niemand wurde erdrosselt. Der Schiedsrichter zog sich an seinen Platz zurück, der Fotograf ließ das Knipsen sein, obwohl der Vorfall mehr Aufregung erregte als das Knipsen an sich.

Das restliche Turnier verlief für mich und meine Mannschaft durchwachsen. Nach einem guten Start folgten zu viele Niederlagen in den Schlussrunden. Ein kleiner Trost: Zwischendrin konnten wir uns auch ein Spiel der anderen Champions League, der Fußball-Champions-League anschauen, dafür war das Stadion von Athletic Bilbao nahe genug an unserem Hotel, etwa 15 Meter Luftlinie. Jedoch, das darf ich bei aller Bescheidenheit sagen: Unsere Partien auf dem Schachbrett waren weitaus spannender als Bilbaos Spiel gegen Schachtar Donezk.

stadion bilbao
Blick aus dem Hotelzimmer vor dem Champions League Spiel Athletic Bilbao – Schachtar Donezk