Es sind nicht die stärkstmöglichen Teams beider Länder, die da zum Vergleichskampf aufeinandertreffen in einem geräumigen, aber etwas kargen Saal irgendwo in Ostberlin, wo es nach Farbe riecht und Paternoster von Etage zu Etage fahren. Im Spielsaal und draußen auf dem Flur stapeln sich belegte Brötchen, Säfte und Wasser warten auf die Zuschauer, die nicht da sind. Ein paar Journalisten und genauso viele Funktionäre sind zugegen, abzählen kann man sie an beiden Händen.
Für die norwegischen Gäste, die mit den Nummern 7, 8, 13 und 18 ihrer nationalen Rangliste antreten, dient das Treffen dazu, sich dem Trainer zu empfehlen. Im August ist in Tromsø die Schacholympiade, und Norwegen darf als Ausrichter drei Mannschaften stellen. Für eine Schachnation, in der insgesamt nur 43 Frauen und Mädchen als aktiv gemeldet sind, ist das sehr viel – rund ein Drittel von ihnen muss bei der Olympiade am Brett sitzen.
Eine dieser Spielerinnen ist Ellen Carlsen, Norwegens Nr.13. Sie und ihre Schwester Ingrid (Nr.33) sind die bekanntesten und gefragtesten im Team der Norwegerinnen, das liegt weniger an ihrer Spielstärke, mehr an ihrem Bruder Magnus Carlsen, bester Schachspieler der Welt und seit November 2013 auch Weltmeister.
Wenn man das weiß, erkennt man an Ellen eine optische Ähnlichkeit, die gleiche hohe Stirn, die man aktuell in jedem Jeans-Laden von G-Star bewundern kann. Aber die ältere Schwester mag es gar nicht, im Schatten ihres Bruders zu stehen, der vom Time Magazine unter den 100 einflussreichsten Menschen der Welt geführt wird.
Mit dem bisherigen Verlauf der Veranstaltung kann Ellen nicht zufrieden sein. Den Vergleich im klassischen Schach hat Norwegen schon mit 2,5:5,5 verloren, im Schnellschach holte sie beim 1:7 immerhin den einzigen Punkt für ihr Team. Auch das Blitzturnier läuft für sie und für Norwegen schlecht. Sie will es in jeder Partie solange wie möglich perfekt machen und jedes Mal läuft ihr die Zeit davon. Ein Zeichen, dass sie dem Schach wirklich verbunden ist und die Partie nicht einfach loslassen kann, wie ein geübter Blitzspieler, der rechtzeitig erkennt, wann man aufhören soll zu denken und einfach zieht. Zwischen den Partien guckt Ellen Löcher in die Luft und trauert den vergebenen Punkten nach. Ich befürchte schon, dass es mit dem Interview nichts wird, aber am Ende hat sie doch noch ein paar Minuten übrig.
Frau Carlsen, warum spielen so wenig Mädchen Schach? Werden die Jungs besser gefördert?
Es spielen doch schon immer mehr Jungen Schach als Mädchen, für uns ist es nicht so leicht, aufzuholen. Außerdem hat man bei einem Jungen mehr Verständnis, wenn er zu Hause sitzt und Schach übt. Von Mädchen wird doch viel mehr erwartet, dass sie sich für Kleidung und für Mode interessieren.
Würden Sie sagen, Männer und Frauen haben im Schach unterschiedliche Stärken?
Ja, ich würde schon sagen, dass Jungen die Fähigkeit haben, sich tiefer zu konzentrieren, sie benutzen nur die eine, wichtige Gehirnhälfte, während wir Frauen beide benutzen und uns über das unterschiedlichste Zeug Gedanken machen.
Wen wird Ihr Bruder Magnus im Herbst als Herausforderer vor sich haben?
Ich glaube, Wladimir Kramnik und Levon Aronjan sind schon die stärksten, die es gibt. Aber Aronjan, der hat keine guten Nerven. Ich weiß nicht, ob er es schafft. Er ist schon objektiv der beste Spieler, Kramnik ist auch gut, aber er wird langsam alt.
Würden Sie Ihrem Bruder einen bestimmten Gegner wünschen?
Keiner von denen ist leicht zu schlagen. Wenn er sein Bestes gibt, wird er gewinnen, sonst kann er auch gegen jeden verlieren. Magnus‘ Ziel ist es aber gerade, sich als die Nummer eins der Welt zu behaupten, da will man eigentlich gar nicht auf einen schwachen Gegner treffen.
Reden Sie viel über Schach mit ihm?
Nein, nicht wirklich. Jeder will mit ihm über Schach reden, also versuchen wir, es nicht auch noch zu tun. Schach ist Tabu-Thema. Er interessiert sich ja wirklich für genug andere Sachen, Sport, Fitness …
Ellen nimmt sich für dieses Interview knappe fünf Minuten. Sie beantwortet meine Fragen, während sie sich von einem Fotografen auf einem Gartenschachbrett mit einer überdimensionalen weißen Dame ablichten lässt. Richtig konzentriert wirkt sie bei beidem nicht, der Frust von sieben verlorenen Partien sitzt wohl noch immer tief. Sie spricht zwar nicht unfreundlich oder abweisend, aber gelangweilt. Ganz anders hatte die Medizinstudentin aus Oslo noch vor einer halben Stunde am Brett gesessen – tief in sich gekehrt, fokussiert spielte sie mit ihren braunen Haarsträhnen, die sie immer wieder über die Lippen fahren ließ. Ihre Hände zitterten, wenn sie sich nicht für ihren nächsten Zug entscheiden konnte.
Nun ist die Spannung raus, für meine Nachfrage, warum Frauen bei einer Partie meist am Brett sitzen bleiben, während Männer im Spielsaal herumlaufen, hat sie nur die Platitüde übrig, Frauen würde das Laufen mit High Heels schwer fallen. Selbst trägt sie Turnschuhe.