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Wie ich gegen Viswanathan Anand Remis spielte

 

Wie es bei Heldengeschichten so ist, das darf ich bei aller Bescheidenheit sagen, wären sie oft um ein Haar gar nicht geschrieben worden. Am Vorabend der Blitz-WM wurde ich, noch sehr von meinem Abschneiden beim Schnellschach deprimiert, ins Schiedsrichterbüro gerufen. Dort eröffnete man mir, dass auf der Seite des Weltschachbundes aus bisher ungeklärten Gründen ein kürzliches Turnierergebnis von mir gelöscht worden sei, bei dem ich einige Elo-Punkte gutgemacht hatte. Dies würde mich nun in der Startrangliste des nächsten Tages um viele, viele Plätze zurückwerfen und mir die Chance auf einen attraktiven Erstrundengegner verhageln.

Doch ich gab nicht auf, jammerte vor Ort die halbe Schiedsrichterschaft voll, den Vorfall zu klären, telefonierte selbst abends noch mit einem Funktionär, setzte die halbe Fide, den Schachweltverband, darauf an, meine 51 Elo-Punkte zu suchen. Morgens waren sie plötzlich wieder da, angeblich ein Computerfehler, der nun behoben wurde.

Und so saß mir paar Stunden später Vishy Anand gegenüber, der Ex-Weltmeister, der Tiger von Madras, einer der berühmtesten Spieler der Welt. Er schlenderte etwas gelangweilt ans Brett, aber gab mir ausgesprochen freundlich die Hand. Nach einer kurzen, aber für mich schier endlosen Eröffnungsrede war endlich die Runde freigegeben. Ich griff zu meinem Damenbauern.

Über diese Partie, bei der mir vor Aufregung die Knie zitterten, ich kurz vor dem Hyperventilieren war und meine Anspannung Zuschauern fast schon körperliche Schmerzen bereitete, gibt es sonst nicht viel zu sagen. Sie verlief zu normal, er und ich, wir spielten nicht überragend, aber ordentlich, vermieden große Risiken und grobe Fehler. Bis kurz vor Schluss, als ich in einem eigentlich übersichtlichen Bauernendspiel stolperte und mit Verlust bestraft werden hätte müssen. Doch der mehrfache Weltmeister aus Indien hat sich zu diesem Zeitpunkt schon mental mit einem Remis abgefunden, was er ein paar Züge später anbot. So schnell wie da ging meine Hand wohl selten über einen Schachtisch. Vor der WM meinte ich noch, das Fallobst zu sein und nun schüttelte ich, in meinem Sonic-Tshirt, mein Glücksshirt übrigens, der Legende Viswanathan Anand nach einem Remis die Hand.

Wir unterhielten uns noch eine kurze Weile über das Endspiel, er wirkte aufgeräumt und gelöst, keineswegs enttäuscht, mir zitterte die Stimme und ich hätte vermutlich in der fünften Klasse besseres Englisch hingekriegt. Es war bezeichnend, dass wir ausschließlich die Frage diskutierten, ob ich am Ende noch eine kleine Siegchance ausgelassen haben könnte oder die Stellung sowieso remis war. Auf die Idee, dass er die Partie durch einen kleinen Trick für sich hätte entscheiden können, ist keiner von uns gekommen. Dann verabschiedete er sich und ich saß für einen Augenblick alleine da mit meiner Freude, mit meiner Euphorie, mit meiner Erschöpfung.

Danach durfte ich viele Hände schütteln, mir dutzendfach auf die Schulter klopfen lassen. Ich musste Fragen zur Eröffnungswahl oder Mittelspielverlauf beantworten. Die Pause schien ewig zu dauern, ich wurde von einem mir unbekannten Menschen in Beschlag genommen, der mit mir über den Welthunger und eine ökologisch faire Wirtschaft diskutieren wollte. Ich kam kaum von ihm los, suchte noch die Confession Box auf, wo ich meiner Freude vor laufender Kamera Ausdruck verleihen konnte. Ich wusste, das ist bereits der Höhepunkt, es kann nicht so weiter laufen, irgendwann kommt der Absturz. Ich wusste nur nicht wann. Bis dahin wollte ich jeden Moment auskosten.

Es ging sogar weiter wie bisher. Ich gewann, wie angekündigt, zwei Partien mit meiner Lieblingseröffnung Colorado gegen zwei starke Großmeister – die Genugtuung darüber war etwa vergleichbar damit, wie wenn ich mit Flip-Flops gegen Manuel Neuer einen Elfer verwandelt hätte – in den Winkel versteht sich. Dazwischen brachte ich den russischen Blitzexperten Vladimir Fedoseev ebenfalls an den Rand der Niederlage, er rettete sich um ein Haar. Dann habe ich mit etwas Glück dem Kubaner Leinier Domínguez ein Remis abgenommen – der Mann war 2008 Blitzweltmeister. Dann eine blöde Partie verloren, aber anschließend Étienne Bacrot besiegt, gegen den ich vor einem Jahr eine Art Gnadenremis erhalten hatte.

Es war unglaublich. Ich lag in der erweiterten Spitzengruppe einer Weltmeisterschaft, spielte entfesselt und euphorisiert, man trug mir zu, dass die User im deutschsprachigen Chat die Kommentierung meiner Partien forderten. Irgendwann war es zu viel für mich. Vor meinen Augen verschmolzen der große Spielsaal, die Hunderte Menschen, Bretter, Figuren und Kameras zu einem breiigen Etwas, ich hatte keine klare Sicht mehr und mir stockte der Atem. Ich musste noch vier Partien überstehen um den Tag als solchen zu retten, wie er angefangen hatte: Als den besten Tag meiner bisher unbedeutenden Karriere.

Es gelang mir nicht. Der Absturz kam mit Ansage. Ich verlor alle weiteren vier Partien, und das obwohl ich diese phasenweise wirklich gut spielte. Es fehlte nur am Ende jeder von ihnen ein wenig Energie und Coolness. Ich ließ mich immer wieder von billigen Tricks reinlegen. Nicht dass die Gegner sich nicht wehrten, aber im Grunde war es ein hoffnungsloser Kampf gegen mich selbst und es war kein Vergnügen, mir bei diesem Kampf zuzusehen. Wie beim Aschenputtel, es hatte Mitternacht geschellt, die Kutsche war längst wieder zum Kürbis implodiert, der irgendwo in der Ecke vergammelte. Die Pferde verwandelten sich in Ratten und rannten quietschend davon, ich stand in Lumpen bekleidet, mitten im Regen. Ich hatte genug von diesem Fest, fragte mich immer wieder, ob ich den Tag so genommen hätte, hätte man ihn mir vorher in dieser Form angeboten.

Am nächsten Tag habe ich mich fangen können, gewann zwischenzeitlich sogar wieder vier Partien am Stück. Aber es war nicht mehr das Gleiche, es waren nicht mehr die gleichen Gegner (ich hatte mich zwischenzeitlich in die deutschen Bereiche der Tabelle nach unten gearbeitet) und nicht mehr der gleiche Glamour. Gegen Ende hin schlug ich sogar noch ein paar kräftigere Großmeister, die letzten beiden Partien des Turniers verlor ich aber auf klägliche, peinliche Art und Weise, der Saft war bis auf den letzten Tropfen verbraucht.

Am Ende hatte ich 10 Punkte aus 21 Partien erzielt, was ziemlich genau meiner Erwartung entsprach und auch genau in meiner Startrangplatzierung (102. Platz) resultierte, und das nach einer unglaublichen Achterbahnfahrt. Mit ein wenig Abstand stelle ich aber mit einiger Genugtuung fest, dass die vielen Downs schneller zu verblassen beginnen als die Höhepunkte am Anfang, auch wenn vieles bis jetzt noch schmerzt. Ich denke ich werde irgendwann aufrichtig behaupten können, dass ich glücklich bin, bei der Blitzweltmeisterschaft 2015 in Berlin mitgespielt zu haben.