Offene Turniere gibt es im Schach viele, doch außer den Teilnehmern interessiert sich eigentlich niemand dafür. Zu viel schachliche Ausschussware wird nämlich produziert durch Partien mit teilweise riesigen Spielstärkeunterschied in den ersten Runden. Gegen Ende des Turniers tasten sich die Profis in den Spielen ab, wenn sie nicht gleich direkt Remisen verabreden. Sich da die wenigen Rosinen herauszupicken, kann für Außenstehende eine mühsame, wenig befriedigende Aufgabe sein.
In den vergangenen Jahren aber gab es erfreuliche Entwicklungen. Viele wirklich starke Spieler sind bereit, sich in Opens zu stellen, die dadurch immer mehr echten Festivalcharakter bekommen. Aktuell läuft in Katar bereits die zweite Auflage eines nach der Aussage der Veranstalter der stärksten Open, die es jemals gab. Immerhin zehn Spieler aus den Top 40 der Welt sind im Emirat mit von der Partie, angeführt von einem gewissen Magnus Carlsen, der sich wohl nicht nur durch die Aussicht auf die schon stattliche Siegprämie von 27.000 US-Dollar, sondern auch durch ein saftiges Antrittsgeld locken lassen hat.
Und das mehr als 40 Jahre nachdem das letzte Mal ein Weltmeister (Boris Spasski) einen solchen Schritt gewagt hat. Insgesamt sind etwas über 100 Spieler am Start, darunter auch sechs Deutsche, unterhalb einer Meisterstärke ist eine Teilnahme nahezu unmöglich. Gespielt wird in einer riesigen Indoor-Sportanlage, natürlich in der größten der Welt, unter den Sponsorenbannern von Bentley oder Qatar Airways. Ein kleiner, luxuriöser Saal, mit großzügiger Beleuchtung, Holzverkleidung und schweren Teppichen.
Jeden Tag gibt es aufs Neue Dutzende hochklassige, reizvolle Begegnungen. Kennt jemand Nino Batsiashvili? Die junge Frau aus Georgien nahm – in rote High Heels gekleidet, wie die Schachpresse begierig aufgriff – in der ersten Runde Carlsen ein Remis ab. Mit Schwarz. Dieser berappelte sich daraufhin und gewann zumindest seine nächsten drei Begegnungen, nachdem er, wie ebenfalls allerorts berichtet, beim Fußball wieder eine Runde Selbstbewusstsein getankt hatte.
Die meisten Favoriten haben bereits mehr Punkte abgegeben, so musste der Exweltmeister Wladimir Kramnik bereits zwei Unentschieden quittieren gegen Kacper Piorun aus Polen und Daniele Vocaturo aus Italien, beide von den Schachfreunden Berlin. Zwei Internetportale übertragen und kommentieren live, es gibt Interviews, Zusammenfassungen, Tabellen satt. Die Spannung steigt, Kurzremisen sind verboten.
Und: Xavi Hernandez, der ehemalige Star des FC Barcelona, der jetzt in Katar angeheuert hat, durfte unter großem Tamtam den ersten Zug einer Runde ausführen (was ihm allerdings nur im dritten Anlauf gelang). Kann man Schach überhaupt noch besser präsentieren? Katar will scheinbar auch im Schach eine Großmacht werden, zumindest im Organisieren sind sie es schon.
Aber die Sache hat Haken. Da wäre zunächst die Frage, wo eigentlich zum Beispiel die ganzen israelischen Spitzenspieler abgeblieben sind? Oder warum das Turnier unbedingt über die Weihnachtsfeiertage stattfinden soll?
Und dann gibt es noch solche generellen Dinge, wie Menschenrechte. Es gibt viele, die die Fußball-WM 2022 in Katar ignorieren, gar boykottieren wollen, aufgrund der Dinge die da mächtig schief laufen beim Bau der Stadien und der Infrastruktur allgemein (und des protzigen Spiellokals im Speziellen). Sollten wir als Schachspieler nicht auch darauf verzichten, das System mit unserer Anwesenheit zu honorieren?
Leider lassen wir uns beim Schach viel zu leicht kaufen. Die Kassen ständig leer, viele Einzelkämpfer, jeder Spieler muss sehen, wo er bleibt, wie er an die lukrativen Einladungen, Trainingsaufträge und den Aufenthalt in Luxushotels gelangt – letzteres unter Schachspielern durchaus eine ernstzunehmende Währung.
Wenn solche Turniere wie Katar oder auch Dubai, Al-Ain oder andere in der reichen Golfregion genau das anbieten, was sich die von der großen Konkurrenz in Europa gebeutelten Spieler gegenseitig mit größter Mühe abjagen müssen, dann ist es kein Wunder, dass solche Verlockungen nicht verschmäht bleiben. Merkwürdig ist es eher, dass die wenigen, die nicht darauf angewiesen sind (wie zum Beispiel der Weltmeister Carlsen), trotzdem hinfahren.