Alle zwei Jahre kommen Deutschlands oberste Schachfunktionäre zum Bundeskongress zusammen. Diesmal an diesem Wochenende in Halberstadt, Sachsen-Anhalt. Doch wo normalerweise nur Amtsinhaber bestätigt und neue Kandidaten abgenickt werden, geht es dieses Mal um mehr. Um sehr viel mehr. Auf dem Plan stehen die Wahlen des Vorstands, die deswegen so besonders werden könnten, weil alle drei Vizepräsidenten für den Kongress ihre Rücktritte angekündigt haben. Christian Warnecke, der nun ehemalige Vorsitzende der Deutschen Schachjugend, hat seinen schon vollzogen. Die Geschäftsführerin verabschiedet sich in den Mutterschutz, einige andere Funktionäre werden ihre Arbeit ebenfalls beenden. Um den Präsidenten Herbert Bastian könnte es so einsam werden, wie damals um Forrest Gump an der Bushaltestelle.
Glaubt man den Ausführungen der Vizepräsidenten, ist Bastian an der personellen Auszehrung nicht ganz unverantwortlich, um es vorsichtig zu formulieren. In selten harschen und offenen Worten kritisieren die beiden scheidenden Vizepräsidenten Michael Langer und Michael Woltmann Bastians Führungsstil, seine Ehrlichkeit (oder deren Mangel), seine Kompromissbereitschaft und die von ihm national wie international betriebene Politik.
Über Bastians Wahl zu einem der Vizepräsidenten des Weltschachverbandes Fide unter der Führung einer für die westlichen Verbände wenig tragbaren Person wie Iljumschinow wurde an dieser Stelle schon verwundert nachgefragt. Langer schließt hierbei nicht explizit aus, dass Bastian dafür belohnt wurde. Auch Herbert Bastian selbst, der sich zu der Frage, ob er bei der Fide-Wahl nun für Kasparow (wie es ihm aufgetragen worden war) oder für Iljumschinow gestimmt habe, auf das Wahlgeheimnis beruft und schweigt, scheint es zumindest nicht für nötig zu halten, diesen Vorwurf zu entkräften.
Die Führungskrise kommt zur Unzeit. Nach Halberstadt muss sich ein völlig veränderter und vermutlich wenig eingespielter Stab an Verantwortlichen mit den Problemen des deutschen Schachs beschäftigen, womöglich mit einem neuen Präsidenten. Dies kann eine große Chance sein, aber auch eine große Gefahr. Denn es kommt sofort eine Menge Arbeit auf die neue Führung zu.
Zunächst wären da die sportlichen Probleme. Seit dem Überraschungssieg bei der Europameisterschaft 2011 ist dem deutschen Team kein großer Wurf mehr gelungen. Feierte man 2014 noch die Einbürgerung des deutschstämmigen Rumänen Liviu-Dieter Nisipeanu als eine menschliche und sportliche Verstärkung, so hört man derzeit immer öfter, dass Deutschlands Nummer eins, Arkadij Najditsch, ein Angstgegner von Magnus Carlsen, bald für ein anderes Land starten könnte. Das wäre eine große sportliche Schwächung.
Mittlerweile sind zwar schon einige der Schachprinzen, einer speziell geförderten Jugendgruppe, so stark, dass sie in die Nationalmannschaft drängen. Doch muss man daran erinnern, dass ihre Erfolge vom Deutschen Schachbund aktuell mit einem riesigen Spiel-, Trainings- und Förderungspensum erkauft werden. Sollten sich die jungen Männer nicht von ihrem Plan abbringen lassen, im Anschluss an das Schachjahr ein Studium zu beginnen, wird dies ihre Entwicklung zwangsläufig bremsen.
Auch finanzielle Probleme werden die Arbeit des neuen Präsidiums begleiten. Im vergangenen Jahr wäre dem Schach fast die Sportförderung gestrichen worden. Die Einbuße konnte auf 40.000 Euro reduziert werden, aber die Sorge bleibt, dass irgendwann die Förderung ausbleibt. Die jährlich sinkenden Mitgliederzahlen tun ein Übriges. Es kommen immer weniger Beiträge herein. Besonders in Deutschland muss sich Schach immer mehr gegen andere Freizeitmöglichkeiten, höhere Arbeitsbelastungen bei Erwachsenen und vollere Schulpläne bei Jugendlichen behaupten. Zudem wird das Schach, wie hier angerissen wurde, von einer Hälfte der Bevölkerung mehr oder weniger ignoriert.
Und es gibt noch viel mehr: Der Kampf gegen (elektronischen) Betrug muss so ausgestaltet werden, dass er potenzielle Schummler abschreckt, aber Täter auch erwischt und effektiv bestraft. Dazu muss besonders an der Basis viel Überzeugung geleistet werden. Vielen Amateuren ist ihre persönliche Freiheit bislang noch viel wichtiger als Prävention des Betrugs, den sie (vermutlich zu Unrecht) noch nicht in ihren Kreisen vermuten.
Zudem müssten die Deutschen Meisterschaften reformiert werden. Spieler und Fachpresse beklagen sich seit Langem, dass der aktuelle Modus, bei dem sich – neben einigen Freiplätzen – ausschließlich Vertreter aus den schwach besetzten Landesmeisterschaften für das Turnier qualifizieren, nichts anderes als ein großer Kindergarten sei und für die Topspieler unseres Landes kaum attraktiv wirke. Ein Wechsel zu einem attraktiveren Modus wird allerdings wohl nur mit einem anderen Präsidenten möglich sein. Herbert Bastian, der erklärterweise den Ländern nicht das Vorrecht wegnehmen will, die Teilnehmer der Deutschen Meisterschaft zu stellen, ist seit Jahren stärkster Spieler Saarlands – und fast jedes Jahr bei der Deutschen Meisterschaft dabei.