Garri Kasparow liebt die Show, den großen Auftritt, bei dem er im Mittelpunkt steht. Einen solchen hatte der Ex-Weltmeister im Anschluss an die US-Meisterschaften im Schach, die Anfang dieser Woche in St. Louis zu Ende gingen. Kasparow kündigte an, in einem Blitzturnier gegen die drei Ersten der Meisterschaft anzutreten. Vier Spieler, jeder spielt gegen jeden sechs Partien, 18 Runden Blitzschach der Weltklasse. Die erste Runde beginnt am Donnerstag, den 28. April, um 13 Uhr Ortszeit, in Berlin ist es da 20 Uhr, am Freitag folgt die zweite Hälfte des Turniers. Der Veranstalter überträgt das Spektakel live auf seiner Turnierseite und so kann die Schachwelt zuschauen, wie gut Kasparow noch spielt.
Doch um in diesem Viererturnier zu bestehen, muss der Ex-Weltmeister so gut wie zu seinen besten Zeiten spielen. Seine Gegner zählen zur absoluten Weltspitze und den größten Talenten ihrer Generation: Fabiano Caruana, der Sieger der US-Meisterschaft 2016, ist 23 Jahre jung und Nummer drei der Weltrangliste, Hikaru Nakamura rangiert mit 28 Jahren auf Nummer sechs der Weltrangliste und Wesley So ist mit 22 Jahren die Nummer zehn in der Welt.
Eigentlich müsste Kasparow in diesem Feld absoluter Außenseiter sein. Er ist 53 Jahre alt, als er 1985 Weltmeister wurde, war noch keiner seiner Gegner geboren. Im März 2005 zog sich Kasparow vom Turnierschach zurück, seitdem hat er keine Partie mit langer Bedenkzeit mehr gespielt. Stattdessen schrieb er Bücher, hielt Vorträge über alle möglichen Themen und engagierte sich politisch im Kampf gegen Wladimir Putin in der russischen Opposition.
Mit Schach hat er sich zwar auch beschäftigt, aber eigentlich müsste er außer Übung sein. Vor allem im Blitz, der Paradedisziplin junger Spieler. In St. Louis hat jeder Spieler fünf Minuten Bedenkzeit für die ganze Partie, sind die verbraucht, muss jeder Zug in spätestens drei Sekunden gemacht werden. Dazu braucht man gute Nerven, Kraft und Konzentration.
Doch viele glauben, Kasparow könnte das Turnier gegen seine jungen Konkurrenten gewinnen. Immerhin halten ihn viele für den besten Schachspieler aller Zeiten. Dafür gibt es gute Gründe: Mit nur 22 Jahren wurde er 1985 jüngster Weltmeister aller Zeiten und bis zu seinem Rücktritt 2005 hat er danach die Schachwelt dominiert. Zwar verlor er seinen Weltmeistertitel im Jahre 2000 an Wladimir Kramnik, aber dennoch war Kasparow von 1986 bis 2005 nur drei Monate lang nicht die Nummer eins der Welt.
Legendär sind auch Kasparows zahllose Schaukämpfe, mit denen er Schach immer wieder publikumswirksam präsentierte. Er spielte zehn Partien gleichzeitig blind, er trat gegen starke Vereinsmannschaften und Nationalmannschaften an, er spielte zahlreiche Wettkämpfe gegen Computer und 1999 trat er sogar gegen die Welt an. Gespielt wurde online, beide Seiten hatten jeweils 24 Stunden Bedenkzeit pro Zug, die Teilnehmer der Welt stimmten über den besten Zug ab, nach vier Monaten und 62 Zügen hatte Kasparow gewonnen.
Kasparow besiegte nicht nur die Welt, sondern gewann auch die meisten seiner Schaukämpfe. Sehr gut vorbereitet war er immer, denn verlieren mag Kasparow gar nicht und viele Gelegenheiten, es im Laufe seiner langen Karriere zu lernen, hatte er nicht.
Auch auf das Blitzturnier in St. Louis wird sich Kasparow gründlich vorbereitet haben. Mit Sicherheit hat er die Partien von Caruana, Nakamura und So gründlich studiert und wahrscheinlich die eine oder andere Überraschung in der Eröffnung vorbereitet. Natürlich weiß er auch, wie stark seine Gegner spielen, und er wird in Blitzpartien gegen starke Gegner getestet haben, wie stark er selber noch spielt. Seine Gegner wissen das nicht. Kasparow ist vielleicht der stärkste Spieler aller Zeiten, aber nach über zehn Jahren Turnierpause ist er für Caruana, Nakamura und So eine unbekannte Größe.
Trotzdem geht Kasparow mit diesem Blitzturnier ein hohes Risiko ein. Wenn es ganz schlecht läuft, hätte er seine Karriere in den Augen des Publikums nicht 2005 als Nummer eins der Welt beendet, sondern elf Jahre später, 2016, als Verlierer eines starken Blitzturniers. Womöglich noch als schlechter Verlierer. 1997, als er vom IBM-Computer Deep Blue besiegt wurde und eine der wenigen schachlichen Niederlagen seiner Karriere hinnehmen musste, hat der Ex-Weltmeister mit seinen Betrugsvorwürfen gegen IBM die Atmosphäre vergiftet und in aller Öffentlichkeit gezeigt, wie schlecht er verlieren kann. Sollte Kasparow nach ein paar Runden Blitz feststellen, dass er gegen die junge Generation chancenlos ist, könnte es zu einem ähnlich unappetitlichen Spektakel kommen.
Aber auch für Kasparows Gegner steht viel auf dem Spiel. Sollte der Ex-Weltmeister sie in Grund und Boden blitzen, würde man sich fragen, was ihre Erfolge und ihre Spitzenposition im Weltschach wert sind, wenn ein Ex-Weltmeister, der seine Karriere schon lange beendet hat, sie nach über zehn Jahren Turnierpause einfach vom Brett fegt.
Vor fast genau einem Jahr hat Kasparow schon einmal einen spektakulären Schaukampf in St. Louis gespielt. In einer Neuauflage ihres Weltmeisterschaftskampfes von 1995 trat er gegen den Engländer Nigel Short in einem Blitz- und Schnellschachwettkampf über zehn Partien an. Vor dem Wettkampf fürchteten viele, Kasparow hätte sich zu viel vorgenommen. Short hatte seinen Zenit zwar schon überschritten, aber war im Gegensatz zu Kasparow immer noch aktiv und gewann regelmäßig offene Turniere in aller Welt. Kasparow besiegt seinen ehemaligen WM-Herausforderer mit 8,5 zu 1,5.