Lesezeichen
‹ Alle Einträge

Ist Schach ein Sport?

 

Schach ist kein Sport mehr. Zumindest kein förderungswürdiger. Diese Nachricht dürfte in den vergangenen Wochen niemandem entgangen sein, der sich für Schach interessiert. Das Bundesministerium des Inneren (BMI) hat dem Deutschen Schachbund die jährliche Förderung in Höhe von 130.000 Euro gestrichen. Der Grund: Eine im Dezember 2013 in Kraft getretene Richtlinie des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB), die Sportarten ohne „eigenmotorische Aktivität des Sportlers“ für nicht förderungswürdig erklärt.

In der Schachwelt wollte man das nicht kampflos hinnehmen. Die entsprechenden Webseiten waren voller Diskussionen um die Rechtmäßigkeit dieser Maßnahme und Aufrufe zum Protest. Von einer DDR-isierung des Sports war die Rede, weil die Fördermaßnahmen auf den Spitzensport zugeschnitten seien. Schach sah sich als Bauernopfer. Es gab sogar eine parlamentarische Anfrage der Grünen zu diesem Thema sowie eine Petition gegen die Kürzung. Mit Erfolg: Am Donnerstag beschloss der Haushaltsausschuss des Bundestages, dass die Streichung der Mittel zurückgenommen wird.

Doch der drohende Ausschluss aus der Welt des echten Sports brachte Aufruhr in die Schachszene. Die meisten Debatten drehten sich um die erwähnte „eigenmotorische Aktivität“. Wehmütig wurden Vergleiche gezogen zwischen Schießen und Motorsport auf der einen und Schach auf der anderen Seite. Man fragte sich, warum ein geringer eigenmotorischer Anteil im einen Fall völlig ausreicht, um als Sport anerkannt zu sein und gefördert zu werden, in dem anderen aber nicht mehr.

Die von den Regularien geforderte „eigene, sportartbestimmende motorische Aktivität des Sportlers“ im Schach ist tatsächlich eher überschaubar. Allerdings: Bewegung und Reaktionsschnelligkeit werden wichtiger, je weniger Bedenkzeit die Spieler haben. Im Gegensatz etwa zum Poker existieren beim Schach sogar einige wenige reglementierte Bewegungsabläufe (es darf nur mit einer Hand gezogen und insbesondere geschlagen werden), an denen gute Spieler so zuverlässig erkannt werden, wie ein guter Tennisspieler an seiner Rückhandtechnik. Jegliches Bewegungsmoment beim Schach leugnen kann nur jemand, der noch nie eine umkämpfte Blitzphase einer Partie erlebt hat. Und nur jemand, der noch nie eine sechsstündige Turnierpartie oder ein neunrundiges Schnellschachturnier mitgespielt hat, kann bezweifeln, dass Schachspieler nach dem Wettkampf durchaus körperliche Erschöpfung verspüren können.

Doch auch in einem viel weiteren Sinne kann man sich die Frage stellen, ob Schach ein Sport ist. Neben der Eigenmotorik gibt es eine Vielzahl anderer Kriterien, an denen sich eine Sportart messen lassen sollte und bei dem Schach Probleme bekommt. Wir haben einige etwas genauer angeschaut:

1. Regularien

Jeder Sport hat seine eigenen Regeln, ohne geht es nicht. Sie aufzustellen und einzuhalten bildet einen elementaren Teil eines Sports. Doch der Schachspieler ist ein Gewohnheitstier. Neue Bestimmungen werden von der Fide oder vom Schachbund erlassen, aber nicht immer von der breiten Masse aufgenommen, wie sich zuletzt bei der neuen Spielervereinbarung in der 2. Bundesliga gezeigt hat. Dort soll vor allem der Deutsche Schachbund in Person des Schiedsrichters mehr  Möglichkeiten haben, Spieler zu kontrollieren, die im Verdacht stehen, mithilfe von Computern zu betrügen. Doch Schachspieler möchten sich ungern auf neue Spielregeln einlassen, erst recht, wenn sie dadurch vermeintliche Privilegien verlieren.

Oft braucht es beim Schach einige Überzeugungsarbeit, um neue Regeln durchzusetzen. Besonders krass ist dieses Phänomen beim Thema Karenzzeit zu beobachten. In keiner anderen Sportart ist es den Akteuren gestattet, zu spät zum Wettkampf zu kommen und trotzdem antreten zu dürfen. Man stelle sich vor, ein Marathonläufer beginnt seinen Lauf eine halbe Stunde nach Beginn des offiziellen Massenstarts. So ähnlich ist es bei klassischen Partien, wo jeder Spieler am Anfang der Partie zwei Stunden Bedenkzeit zur Verfügung hat.

Bis heute ist es in vielen Klassen und Turnieren erlaubt, bis zu einer Stunde zu spät zu kommen und den Gegner warten zu lassen. Zwar läuft ab Beginn der Partie bereits die eigene Bedenkzeit, sodass die Verspätung auf eine gewisse Art bestraft wird. Doch das ist es vielen Spielern wert, sei es um das Frühstück auszudehnen oder sich intensiver auf den Gegner vorzubereiten. Als Verbände versuchten, diesen Passus aus dem Regelwerk zu streichen, leisteten die Spieler Widerstand. Die Gründe waren meist aberwitzig: Als Berufstätige hätten sie keine Zeit, könnten halt nicht früher kommen, sagten einige Spieler.

Oder die sogenannte Sofia-Regel: Sie verbietet eine einvernehmliche Punkteteilung zwischen beiden Akteuren vor einer bestimmten Anzahl von Zügen. Nur in Ausnahmefällen darf so etwas im Einverständnis mit dem Schiedsrichter vereinbart werden. Die Regel geht zurück auf ihre Premiere bei einem Weltklasseturnier, das vor wenigen Jahren in der bulgarischen Hauptstadt ausgetragen wurde. Eine Partie sollte nicht zu früh friedlich beendet werden, weil sonst der kämpferische, sportliche Aspekt zu kurz gerate. Bis heute ist diese Regel eine Ausnahme und findet sich hauptsächlich dort, wo Sponsoren und mediale Aufmerksamkeit sind (Bundesliga, Weltklasseturniere). In unterklassigen Ligen gibt es sie nicht. Zu groß ist der Widerstand der Spieler, die sich um ihre Rechte beschnitten sehen. Dies ist beispielhaft für die Haltung vieler Schachspieler, die zwar einerseits für das Schach den Status einer Sportart fordern, im Gegenzug aber nicht bereit sind, dafür einen Preis zu zahlen.

2. Mediale Darstellung

Ein Sport, der um Aufmerksamkeit buhlt, kann sich der Entwicklung der Medien kaum entziehen. So verwundert es nicht, dass die Turniere an denen die Weltstars teilnehmen, sich in den vergangenen Jahren eigene Standards wie Livekommentierungen, Videoübertragungen und ausführliche Rundenberichte auferlegt haben. Eine erfreuliche Entwicklung, doch auch hier wirft das Licht Schatten.

So wird zwar viel Wert darauf gelegt, berühmte und starke Spieler vor die Kamera zu holen, die dem eingeweihten Kenner die jeweiligen Finessen der Stellung erklären. Eine Berichterstattung für den Laien findet jedoch so gut wie nicht statt. Dem Spielgeschehen zu folgen ist für einen Durchschnittseuropäer um einiges schwieriger, als sich zum ersten Mal den Superbowl anzuschauen. Schach muss den Spagat zwischen Laienberichterstattung und der für Fortgeschrittene besser in den Griff bekommen. Ein Sport muss für jeden zugänglich gemacht werden, sonst wird es schwierig.

Auch was die interne Berichterstattung angeht, gibt es Verbesserungspotenzial. Die Darstellung auf den bekannten Internetseiten und Magazinen ist des Sports oft nicht würdig. Da werden immer wieder die Namen von Weltklassespielern verwechselt, es gibt klare fachliche Fehler, und sonderlich aktuell ist das Ganze oft auch nicht. Zudem mangelt es manchem Autor an Feingefühl, was die Außendarstellung des Schachs angeht. Dem Sport würde es jedenfalls guttun, wenn er die Klischees des einsamen, introvertierten Junggesellenzeitvertreibs nicht selbst noch bestätigen würde.

3. Soziales

Sport ist immer auch Hobby und ein soziales Ereignis. Häufig übt man seinen Sport über Jahrzehnte aus und findet Freunde fürs Leben. Der Verein und seine Mitspieler werden zur zweiten Familie, man trifft sich auch abseits von Training und Wettkämpfen und trinkt zusammen ein Bier. Ganze Wochenenden werden dem Vereinsleben gewidmet. Beim Schach gibt es so etwas eher selten. Viele Schachspieler kommen zum Vereinsabend oder Punktspiel des Spielens wegen. Das wars dann oft auch.

Schach ist ein Einzelsport, Mannschaftsbetrieb hin oder her. Beim Schach beschäftigt man sich vor allem mit sich selbst und seinen Fähigkeiten. Eine Identifikation mit seinem Verein erscheint den meisten nicht wichtig, da Schach zu einem großen Teil der Selbstverwirklichung dient und somit sehr ichbezogen ist. Schach ähnelt in dieser Hinsicht weniger dem Status einer Sportart, denn eines Hobbys, bei dem die eigenen Interessen mehr in den Vordergrund gerückt werden als das große Ganze.

Schach hat also auch abseits der Problematik der eigenmotorischen Aktivität noch andere Besonderheiten, die auf den ersten Blick für einen Sport ungewöhnlich sind. Es sind vor allem Barrieren, die eines Tages überwunden werden müssten. Das Zeug dafür hat das königliche Spiel allemal.