Die deutsche Schachjugend (DSJ) lässt auf ihrer Website aktuell wieder die Spieler des Jahres wählen. Insgesamt 20 Kandidaten werden zur Wahl angeboten, in den Altersklassen U20 und U14 gibt es jeweils eine Jungen- und Mädchenkategorie. Die Überschrift über dem Wahlaufruf lautet:
„Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist der Beste, die Schönste im Land?“
Dieser Satz, der ganz unverhohlen zu unterschiedlichen Beurteilungskriterien für Jungen und Mädchen aufruft, stimmt nachdenklich. Hat die Schachjugend wirklich den gesamten Diskurs zum Thema Geschlechterstereotype, der in den vergangenen anderthalb Jahren geführt wurde, komplett verschlafen?
Umso schlimmer, da sie es ja eigentlich besser wissen müssten. Der Eintrag vor dem Wahlaufruf wirbt für eine Kampagne für Kinderschutz und gegen sexualisierte Gewalt im Sport. Auch der diesjährige Aprilscherz der DSJ, bei dem eine neue Gender-Richtlinie im deutschen Jugendschach angekündigt wurde, gemäß der jetzt auch deutsche Meisterschaften unter Trans- und Intersexuellen sowie Transgendern ausgetragen werden sollen, zeugt von einem gewissen Bewusstsein für brisante Themen.
So peinlich die Spieglein-Spieglein-Überschrift klingt, so nah ist sie doch an der Realität. Das an die Gebrüder Grimm angelehnte Zitat birgt viel Wahres in sich. Wer sich darüber beschwert, dass Jungen und Mädchen in der Schule nicht gleich behandelt werden, war noch nie bei Jugendschachturnieren. Ab der Altersklasse U14 werden die deutschen Meisterschaften getrennt nach Geschlechtern ausgetragen – spielstarke Mädchen sind bei den Jungen herzlich willkommen, der Rest dümpelt in eigenen Mädchenturnieren vor sich hin wie Aborigines in ihrem abgeschiedenen Reservat. Werden ihnen Trainer zur Seite gestellt, nehmen sich diese oft nur wenig Zeit. Die Männerteams sind besser und wichtiger.
So wird von allen Seiten die allgemein akzeptierte Haltung untermauert, dass Mädchen nur Schach zweiter Klasse spielen, dort sowieso keine Zukunft haben, aber vielleicht gut vor dem Spiegel aussehen.