Ein Turnier wie das EnterCard Scandinavian Masters Turnier, das vom 10. bis 15. Mai in Oslo stattfand, hat es noch nie gegeben. Dabei ist es auf den ersten Blick ein gutes, aber kein außergewöhnlich starkes Turnier. Sechs Teilnehmer, drei Norweger, ein Schwede, ein Däne und ein Franzose, zwei davon unter den Hundert Besten der Welt, kämpften um den letzten freien Platz beim Norway Chess Event, bei dem im Juni zehn der besten Spieler der Welt gegeneinander antreten. Dass das Scandinavian Masters so besonders war, lag an einem Teilnehmer, der gar nicht mitspielte: Magnus Carlsen.
Magnus Carlsen, 24 Jahre alt und bester Schachspieler der Welt, hat Norwegen verändert. Zumindest das Fernsehverhalten der Norweger. Carlsen macht Schach zu einem Fernsehereignis, auch dieses Turnier. In einer großen gläsernen Box, die mitten in Oslos Haupt- und Prachtstraße Karl Johans gate stand, kommentierte der Weltmeister jeden Abend die Partien seiner Kollegen. Live ab 20 Uhr, zur besten Sendezeit, bei TV2, dem größten Privatsender des Landes. Er plauderte zusammen mit der Co-Moderatorin Kaja Marie Stare mit prominenten Gästen, bewies in einem Sportquiz sein gutes Gedächtnis und sein Interesse für alle Arten von Sport oder lieferte sich vor dem gläsernen Fernsehstudio ein Streetballmatch mit drei der besten Basketballspieler Norwegens.
Natürlich spielte Carlsen auch Schach. Beim Blitz gegen Prominente zeigte er, wie gut er spielt und wie schnell er denkt. In diesen Begegnungen hatte Carlsen nur 30 Sekunden Bedenkzeit für die ganze Partie, seine Gegner drei Minuten. Das ist auch für einen Weltmeister eine Herausforderung. Doch Carlsen verbrauchte fast keine Zeit, machte keine groben Fehler und gewann eine Partie nach der anderen.
Ab und zu unterbrachen die Turnierteilnehmer auch ihre Partien, um ins Fernsehstudio zu gehen und den Zuschauern im sogenannten Beichtstuhl zu verraten, was sie über die noch laufende Partie dachten. Auf deutsche Zuschauer wirkte die Veranstaltung wie Wetten dass..?! auf sehr hohem Niveau, mit einem frischen Moderator und mit Schach als Mittelpunkt.
Diese Mischung hat funktioniert, die Zuschauerzahlen der Sendung waren gut. Dabei galt Schach bislang keineswegs als Zuschauersport. Im Gegenteil. Spötter meinen, Schachpartien zu verfolgen sei wie Farbe beim Trocknen zuzusehen. Und Jon Stewart, Moderator der amerikanischen Satiresendung The Daily Show, zog sich vor Kurzem den Unmut der Schachgemeinde zu, als er sich in einem Sketch über das Schach und die Schachspieler lustig machte, indem er sich eine Schlafmütze über den Kopf zog.
Doch Carlsen und das norwegische Fernsehen haben gezeigt, dass Schach zum Fernsehsport taugt. Die Frage ist, ob das auch in anderen Ländern funktioniert, die nicht gerade einen hippen, jungen Schachweltmeister in petto haben. Viel hängt an der Person Carlsen. Aber der Mut der Norweger, Schach als Show zu inszenieren, bleibt bemerkenswert und könnte Schule machen. Auch wenn sich die Schachwelt damit schwer tut, die Showelemente des Denksports zu betonen. Puristen, die den Reiz des Schachs darin sehen, konzentriert und in völliger Stille nach dem besten Zug, der Wahrheit auf dem Brett zu suchen, gefällt das nicht. Millionen von Schachfans und solchen, die es werden könnten, allerdings schon.
Gewonnen hat das Turnier übrigens Jon Ludvig Hammer, Norwegens Nummer zwei und Freund und Sekundant von Magnus Carlsen. Beim Norway Chess Turnier im Juni treffen die beiden dann aufeinander. Eine Unterhaltungsshow wird dieses Turnier sicher nicht. Ein Medienereignis wird es trotzdem. Millionen von Schachspielern auf der ganzen Welt werden wissen wollen, was Magnus Carlsen macht. Die Leute interessiert nämlich nicht nur, wie gut er Streetball spielt, sondern auch welche Züge er spielt.