Lesezeichen
‹ Alle Einträge

Huch, Magnus Carlsen hat verloren!

 

Vielleicht steht dieses Bild beim Großmeisterturnier in Shamkir (Aserbaidschan) mehr für den derzeitigen Magnus Carlsen als alles andere. Er fläzt sich im Schachsessel, ein Bein auf der Lehne, nicht mehr mit beiden Beinen auf dem Boden.

Der Weltmeister produzierte diese gymnastische Einlage in der Partie gegen den Amerikaner Hikaru Nakamura. Für Ego-Spielchen ist der Norweger immer zu haben, er will auf und neben dem Brett dominieren. Dazu passt auch sein Manöver 6.Le2/ 7.Ld3 aus der frühen Phase dieser Partie. Durch das zweifache Ziehen des Läufers gab er Nakamura mehr oder weniger einen ganzen Zug vor, so als ob er ihm signalisieren wollte: „Gegen dich reicht es auch so!“

Es reichte, Carlsen hatte die ersten beiden Partien des Turniers gewonnen, sein schelmisches Grinsen ging um die Welt, die ihm mehr denn je zu gehören schien. Die Marke von 2.900 Elo-Punkten war ganz nah. Doch dann verlor er. Nicht nur einmal, sondern zweimal. Das gab es zuletzt 2010.

Die erste Niederlage konnte dem Weltmeister der Italiener Fabiano Caruana beibringen, derzeit so etwas wie Carlsens Angstgegner. Er hatte schon beim Schnellschach in Zürich für eine von beiden Carlsens Niederlagen im Jahre 2014 gesorgt. Seine letzte Langzeitpartie verlor Carlsen im vergangenen Juni, der Gegner war: Caruana. Und nun also wieder, diesmal im aserbaidschanischen Shamkir.

caruana
Fabiano Caruana nach seinem Sieg gegen Magnus Carlsen in Shamkir. (Copyright: Ahmed Mukhtar / shamkirchess.az

Manche sagen, dass dieser Caruana kaum schlechter spielt als Carlsen selbst, nur dass er nicht so sehr gehypt wird. Caruana ist zwei Jahre jünger als sein neuer Lieblingsgegner und ist von seinem Habitus das genaue Gegenteil. Korrekt und bescheiden beantwortet er die Fragen der Journalisten, er lacht selten.

Carlsen bloggt, stellt Videos ins Netz, er treibt unzählige Sportarten. Von Caruana weiß man noch nicht einmal genau, wo er wohnt. Es wurden zwar beide noch nie mit einer Frau an ihrer Seite gesehen. Carlsen wurde trotzdem unter die Sexiest Men of 2013 gewählt, Caruana gilt einfach als Nerd. Aber offensichtlich trainiert er hart, wahrscheinlich mehr als Carlsen.

Doch diese eine verlorene Partie hat niemanden aufgerüttelt, nicht Presse und Zuschauer und auch nicht Carlsen selbst. Eher beruhigte die Erkenntnis, dass auch Carlsen nur ein Mensch ist und nicht vor einem Moment der Schwäche gefeit ist. Viel zu sehr stach sein grober Fehler 24…Kc8?? aus dem Partieverlauf hervor, durch den er kompensationslos seinen wichtigen Bauern auf c7 verlor. Es sei einfach nicht sein Tag gewesen, erklärte Carlsen, er würde sich erholen und es morgen besser machen.

Am nächsten Tag verlor Carlsen erneut. Diesmal sogar mit den weißen Steinen und gegen den nominell schwächsten Teilnehmer Teimur Radschabow, der sich nach seiner Heirat weitgehend vom Schach zurückgezogen hat. Die Niederlage hat sich früh abgezeichnet. Immer wieder traf Carlsen strategisch fragwürdige Entscheidungen, bei der Pressekonferenz gab er zu, dass er die Stellungen falsch eingeschätzt hatte und lange Zeit davon ausging, Vorteil zu besitzen. Als ob er es nicht mehr gewohnt wäre, seine eigenen Urteile zu hinterfragen, die ihn jahrelang nicht im Stich gelassen haben. Als ob er seine Gabe eingebüßt hätte, Gewinnchancen zu generieren, ohne dem Gegner auch nur einen Hauch derselben zu lassen.

Er habe kreativ sein wollen, erklärte der Weltmeister zu seinem Bauerntausch 19.exf5. Dieser resultierte letztendlich nur darin, dass zuerst einer von Radschabows „toten“ Läufern belebt wurde und Carlsens Turm dran glauben musste, um die Aktivierung des zweiten zu verhindern. Als dieser etwa zehn Züge später doch in die Partie eingriff, war diese entschieden.

Wie kann so etwas passieren? Geht Carlsen doch die Kritik an seiner Spielweise nahe, dass er zu langweilig und blutleer spiele? Wohl kaum, denn es wäre neu, dass er sich von jemandem etwas sagen ließe. Ist er vielleicht von sich selbst gelangweilt? Ist ihm sein Erfolg doch mehr zu Kopf gestiegen, als es sein smartes Auftreten nach außen zugibt? War er von der wiederholten Niederlage gegen Caruana so sehr verärgert, dass er – wie ein Roulettespieler bei einer Pechsträhne – versuchte, alles sofort zurück zu gewinnen, weitere Verluste in Kauf nehmend? Oder sind die beiden Niederlagen nichts weiter als ein statistischer Zufall, der unweigerlich auftreten musste?

Die Antworten auf alle diese Fragen kann nur der Weltmeister selbst geben, aber er tut es nicht. Er lobte nach der zweiten verlorenen Partie seine Gegner, sprach davon, dass sie besser kämpften als er, dass er keine Energie mehr habe und den Ruhetag zur Regeneration brauche. Ungewohnte Worte für einen sonst gerade vor Kraft und Tatendrang strotzenden sportlichen Mann, der an diesem Tag nicht nur gelangweilt wie immer wirkte, sondern auch niedergeschlagen.

Zwei Niederlagen in Folge sind für Carlsen außergewöhnlich. Es ist nun eine neue, ungewohnte Situation entstanden. Die Konkurrenz spürt wieder eine Chance, während Carlsen vielleicht nicht taumelt, aber zumindest zurück in der Realität ist. Es spricht einiges dafür, dass er die nächste Partie nicht mit dem Bein über der Armlehne spielen wird.