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So wird abgeworben

 

Spielt nun für die USA: Wesley So - Quelle: http://www.thechessdrum.net
Spielt nun für die USA: Wesley So – Quelle: http://www.thechessdrum.net

Eine Nation, die im Sport erfolgreich sein will, braucht gute Athleten. Auch im Schach. Doch was tun, wenn der eigene Nachwuchs nicht ausreicht, um die gesteckten Ziele zu erreichen? Immer mehr Landesverbände suchen deshalb nach starken Spielern aus dem Ausland, um den eigenen Kader zu verstärken. Geld spielt dabei häufig eine wichtige Rolle. Ist diese Tendenz gefährlich oder im Zeitalter der Globalisierung schlichtweg konsequent?


Gerade erst ist das Tata Steel Chess Tournament zu Ende gegangen, das Wimbledon des Schachs, und neben Turniersieger Magnus Carlsen, der einen Zwischensprint von 6 Siegen in Folge hingelegt hatte, sorgten gerade seine Verfolger für Aufsehen. Einer von ihnen ist der 21-jährige Wesley So, der in Wijk aan Zee zum ersten Mal für die USA angetreten ist. Schon bevor sich So, der gerade in die Top 10 der Weltrangliste geklettert ist, Ende 2014 für eine (Voll-) Profikarriere entschieden hatte, wechselte der Filipino seinen Verband. Er war unzufrieden mit dem Verband seines Heimtlandes, sicherlich aber werden die Amerikaner auch finanzielle Anreize gesetzt haben.

Für die USA ist der Wechsel in sportlicher Sicht ein großer Gewinn. In der Weltrangliste ging es von Platz 9 auf Platz 4. Erstmalig seit 1974 gehören zwei US-Amerikaner zu den zehn besten Schachspielern der Welt. Die Philippinen rutschten 10 Plätze herunter und finden sich aktuell auf Platz 41 wieder.

Aus Sicht der Philippinen nennt man dieses Phänomen, das sich rund um Wesley So wieder gezeigt hat, Braindrain, wörtlich übersetzt Gehirn-Abfluss. Talente werden im eigenen Land gefördert und ausgebildet, gehen jedoch wegen attraktiver Angebote an andere Nationen verloren. Betroffen sind Nationen, die ihre eigenen Talente entweder nicht weiter fördern können oder wollen. Ein Phänomen, das auch für Bereiche abseits des Sports gilt, für die Wissenschaft beispielsweise.

Die Amerikaner sind in Sachen Braingain Vorreiter. Zur Zeit weilen unzählige starke Schachspieler in den USA, teilweise aus der absoluten Weltspitze, angeworben mit Stipendien, die ein teures Studium im Ausland überhaupt erst ermöglichen. Im Gegenzug verpflichten sich die Spieler für die jeweilige Universität anzutreten und diese zu repräsentieren. Geld scheint keine Rolle zu spielen.

Auch wenn nicht alle Spieler auch für die USA starten sollen, so stellt sich doch die Frage, ob das aggressive Abwerben junger Talente nicht einen Beigeschmack hat? Im Fall So zeigt sich das besonders drastisch. Die Philippinen besaßen außer ihm keinen einzigen Topspieler, seit Eugenio Torre hat es wohl keinen so starken philippinischen Spieler mehr gegeben. Ein Verlust der schmerzt, nicht nur im Verband, sondern auch in seiner philippinischen Fangemeinde. So bedankte sich bei seinen Landsleuten für die großartige Unterstützung und bekräftigte abermals seine tiefe Verbundenheit zu seinem Vaterland. 

Auch hierzulande spüren wir das Phänomen Braindrain. Der Deutsche Schachbund musste jüngst den Verlust eines seiner stärksten Talente hinnehmen, Sebastian Bogner, Großmeister mit bereits 18 Jahren. Er wechselte in die Schweiz und könnte dem deutschen Schach somit für immer verloren gegangen sein.

Spielt leider nicht mehr für Deutschland, sondern für die Schweiz: Sebastian Bogner - Quelle: http://www.sebastianbogner.com
Spielt leider nicht mehr für Deutschland, sondern für die Schweiz: Sebastian Bogner – Quelle: http://www.sebastianbogner.com

Es gibt aber aber auch den umgekehrten Fall. Seit April 2014 hat der Deutsche Schachbund mit dem Rumänen Liviu-Dieter Nisipeanu eine neue Nummer Zwei im Kader. Der 39-jährige Rumäne, der Dank seiner deutschen Mutter ohnehin deutsche Wurzeln hat und auch deutsch spricht, zeigt die positiven Seiten des Werbens: Nicht nur schachlich ist Nisipeanu eine Bereicherung für die Nationalmannschaft, auch menschlich hat Deutschland gut daran getan, sich zu verstärken.

Bereicherung für Deutschland: Liviu-Dieter Nisipeanu - Quelle: http://bestofchess.com
Bereicherung für Deutschland: Liviu-Dieter Nisipeanu – Quelle: http://bestofchess.com

Handelt es sich um eine gute, schlechte oder schlicht nicht aufzuhaltende Entwicklung? Das ist schwierig zu beantworten. Die Beweggründe der Spieler, die ihr Hobby dazu nutzen, um einen wirtschaftlichen Nutzen aus ihrem Können zu schöpfen, sind verständlich. Nichts anderes passiert auf Vereinsebene. Zugehörigkeit und Treue spielen heutzutage keine große Rolle mehr. Bei den Nationalverbänden ist das ganz ähnlich, auch sie brauchen Erfolge.

Doch gehört es eigentlich zur Aufgabe von Verbänden, sich um die eigenen Talente zu kümmern, so gut es mit den zur Verfügung stehenden Mitteln eben geht. Mit Geldscheinen zu wedeln, um die besten Spieler einzusammeln, eher nicht. Dass dies auch vom Weltschachverband FIDE so gesehen wird, kann man an den Regularien für Verbandswechsel erkennen, die Transfergebühren und Entschädigungen vorsieht. Ob diese Regeln ausreichen, muss sich zeigen.