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Wie findet man einen Weltmeister?

 

Wie findet man einen Weltmeister?
Weltmeister Magnus Carlsen fordert mehr Fairness bei der Vergabe des WM-Titels – Quelle: http://images05.kurier.at

Eigentlich hat Magnus Carlsen als amtierender Weltmeister keinen Grund zu klagen. Er ist selbst größter Nutznießer des bisherigen Systems. Während sich sein neuer Herausforderer erst beim nächsten Kandidatenturnier im März 2016 qualifizieren muss, ist der 24-jährige Norweger bereits für die kommende Weltmeisterschaft gesetzt, die aller Voraussicht nach 2016 in den USA ausgetragen wird.

Um so mehr verblüfft Carlsens letzter Facebook-Eintrag, in dem er den Weltverband Fide auffordert, die Regularien für die Weltmeisterschaft zu überdenken. Carlsen streitet für mehr Fairness, plädiert für ein jährlich ausgetragenes K. o.-Turnier, dessen Teilnehmer durch regionale Ausscheidungsturniere und Ratinglisten ermittelt werden. Ein Format, das sich wegen der höheren Zufallskomponente bei vielen anderen Sportarten durchgesetzt hat. Prominentestes Beispiel: Fußball. (Würde die Fußball-WM im Modus der derzeitigen Schach-WM ausgetragen werden, müsste Deutschland demnächst nur gegen ein einzelnes Team ran, das sich vorher in einem separaten Turnier gegen alle anderen durchgesetzt hat.)

Doch auch im Schach sind K. o.-Turniere nichts Neues. So geht die amtierende Weltmeisterin Mariya Musitschuk aus solch einem System hervor und auch bei den Männern wurde in den Jahren 1999 bis 2001 und 2004 der Weltmeister im K. o.-Wettkampf ermittelt. Traurige Gemeinsamkeit (fast) aller hieraus hervorgegangener Weltmeister: Sie sind unbestritten starke Spieler, waren und sind jedoch nicht annähernd die stärksten Spieler der Welt, sondern lediglich Gewinner eines besonderen Turnierformats. Der besondere Reiz eines K. o.-Systems wird zulasten der eigentlichen Idee teuer erkauft: den besten Spieler der Welt zu ermitteln. Das Glück wird so zum wichtigsten Wegbegleiter.

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Das K. o.-System sorgte immer wieder für Aufsehen: 2002 wurde der damals 18-jährige Ruslan Ponomariov jüngster Weltmeister aller Zeiten. – Quelle: chessbase.com

Vielleicht sind es genau diese Außenseiterchancen, die Carlsen mit einem „gerechteren System“ meint. Jeder starke Schachspieler solle eine reelle Chance erhalten, die Weltmeisterschaft zu gewinnen. Bereits vorher erlangte Privilegien gelten nicht oder machen sich zumindest nicht stark bemerkbar. An sich eine schöne Idee. Doch Carlsens Vorschlag trifft auf harsche Kritik. Nicht zuletzt von seinem eigenen Manager Espen Agdestein, der in einem Interview auch auf die finanziellen Folgen für ihn und seinen Schützling aufmerksam machte.

Welcher der beste WM-Modus ist, hängt davon ab, was sich Veranstalter und Sponsoren von einer Weltmeisterschaft erhoffen. Ist es der Nervenkitzel, dass jeder jeden schlagen kann, so kommt man an einem K. o.-Turnier nicht vorbei. Fast alle großen Sportarten setzten auf den besonderen Reiz. Glück als unkalkulierbare Größe wird gezielt eingesetzt, um den Wettbewerb interessanter zu gestalten. Für Schachfans ist der im September beginnende Worldcup in Baku, der ebenfalls im K. o.-Modus ausgetragen wird, das Ereignis mit dem größten Unterhaltungsfaktor. Für viele das Ereignis des Jahres.

Geht es jedoch darum, den besten Schachspieler zu ermitteln, geht nichts ohne eine Vorauswahl. Zurzeit sind es die klassischen Zweikämpfe, die sich wohl noch am besten vermarkten lassen. Schach wird immer noch als Kampf Mann gegen Mann gepusht. Wettkämpfe wie Fischer gegen Spassky oder Kasparov gegen Karpov gingen auch deshalb in die Geschichte ein, weil sich das Spektakel auf wenige Charaktere konzentrierte und sich das Knistern zwischen den unterschiedlichsten Persönlichkeiten förmlich spüren ließ.

Doch wird in einem WM-Zweikampf lediglich ermittelt, ob sich Weltmeister A oder Herausforderer B im Wettkampf besser schlägt. Ein Vergleich zur restlichen Weltelite wird nur mittelbar über die Qualifikationsturniere hergestellt. Kein Wunder, dass sich bis heute in der Schachwelt das im Jahre 2005 vorgestellte Format besonderer Beliebtheit erfreute, bei dem der Weltmeister aus einem achtköpfigen Feld hervorging. Der überragende Weltmeister Veselin Topalov dominierte das Feld nach Belieben und begann die erste Hälfte mit atemberaubenden 6,5 Punkten aus sieben Partien. Topalov demonstrierte seine Überlegenheit gegenüber der gesamten Weltelite. Niemand zweifelte an der verdienten Leistung des Bulgaren.

Wie hart und beschwerlich der lange Weg über die jeweiligen Qualifikationsturniere für den späteren Herausforderer sein kann, weiß auch Magnus Carlsen. Beim Kandidatenturnier 2013 in London lag Carlsen vor der letzten Runde punktgleich mit dem Ex-Weltmeister und Kasparov-Bezwinger Vladimir Kramnik auf dem geteilten ersten Platz. Beide verließen in der letzten Runde die Nerven und sie verloren ihre Partien. Carlsen qualifizierte sich nur aufgrund der höheren Anzahl an entschiedenen Partien. Eine Milimeterentscheidung.

Für welches Format sich die Fide und die Sponsoren ab 2017 entscheiden werden, bleibt offen. Zumindest gibt Carlsens Zwischenruf Anregung zur Diskussion. Sämtliche Schachseiten beschäftigen sich mit dem Thema. Was meinen Sie?