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Blankvers auf Mattscheibe

 

MTV macht sich auf zu neuen Ufern. Nach schnelllebigen Formaten wie Musikvideos und Kuppelshows entdeckt der Musiksender, etwas, was es schon Jahrhunderte gibt: die Lyrik! Kein Witz. Seit Anfang diesen Monats zeigt MtvU, das Studentenprogramm, 18 Gedichtvideos. Und von wem? Nicht von Justin Timberlake, Christina Aguilera oder Bono, sondern von John Ashbery – ein amerikanischer, vielfach ausgezeichneter Lyriker. Den Pulitzerpreis hat er gewonnen, Preise der MacArthur Gesellschaft und gottweißwas alles. Nun gewann der 80-Jährige auch den ersten MTV-Poesiepreis. Und warum? Zu Werbezwecken!
Denn zugleich schreibt MtvU einen Gedichtwettbewerb aus, an dem sich Studenten amerikanischer Unis beteiligen können. Der Gewinner darf ein Buch beim Verlag HarperCollins veröffentlichen. So greift MTV dem literarischen Nachwuchs unter die Ärmchen. Ashberys kurze Gedichtspots sollen die Studenten wieder auf den Geschmack am Vers bringen. Sein Manager David Kermani sagt dazu, sie hätten Zeilen ausgesucht, die eingängig sind und „irgendwie bedeutungsvoll“. Die jungen Leute mochten Zeilen, die „schlüpfrige Anspielungen“ hatten. Dann passts ja zum Großteil der Musikvideos.


Wollen wir sowas auch in Deutschland? Ich finde, ja. Friederike Mayröcker liest in den Werbepausen von „Wer wird Millionär?“, Verse von Günter Eich als Klingelton, und Durs Grünbein bekommt seine eigene Sendung auf VIVA. Und zum Schluss das große Samstagabendformat „Germanys next Top-Poet“, moderiert von Marcel Reich-Ranicki.