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Aus Klappentexten 3

Jan Kossdorff kannte ich bislang nicht. Jetzt kam hier ein Prospekt des Milena-Verlags an und darin wird er mir vorgestellt. Sein neuer Roman heißt SPAM!, und das wäre in Ordnung, stünde da nicht im Untertitel folgende Genrebeschreibung: „Ein Mailodram“.

Jetzt warte ich auf den ersten „Psycho-Twitter“.

 

Post von den Schatten

Päckchen bekomme ich eigentlich gerne. Leider kommen sie nie, wenn man zu Hause ist. Dann hinterlässt der Bote einen orangefarbenen Zettel mit der nüchternen Feststellung, dass man persönlich nicht anzutreffen war, weshalb das Päckchen nun in einer, meist weit entfernten, Filiale liegt. Solche Zettel steigern die Vorfreude. Zumal, wenn man kein Paket erwartet hatte. Also Postamt Neukölln, Ausweis dabei, Schalterdame sucht, kommt nach einigen Minuten mit einer kleinen, schwarzen Schachtel wieder und lässt mich damit alleine:

Schreck 1: „Absender: Die Schatten“

Wer soll das denn sein? Eine Untergrundorganisation? Eine Black-Metal-Band? Boten vom tiefsten Grund der Hölle? Ich konnte mich nicht erinnern, einem dieser möglichen Absender irgendetwas getan zu haben. Noch im Postamt riss ich das Päckchen auf.

Schreck 2: Ein paar Halme Stroh, ein Tütchen, darin ein Stück, ähm, Lehm. Auf der Tüte: „Norwegen, der innere Kreis.“ Kein Zettel. Keine weitere Anweisung, was damit jetzt zu tun sei.

Warum verschickt jemand so etwas? Vor allem warum mir? Jetzt war ich mir sicher: Es musste mindestens ein Geheimbund sein, dem ich irgendwie negativ aufgefallen war, und der mir jetzt eine erste Drohung schickte. Mafiosi schicken Pferdeköpfe, die hier ein Stück Lehm. Norwegen, innerer Kreis, brr. Wollten Sie mich entführen und unter diesem Lehm begraben?

Zuhause legte ich das Stück Lehm auf den Küchentisch und starrte es an. Durchfallpastellfarben, bröckelig, geruchlos. Dreifragezeichenrätsel könnten so beginnen. Ich zog mir Handschuhe an und begann, den Lehm auseinander zu fummeln. Irgendwann kam eine Kupfermünze zum Vorschein, auf der einen Seite ein eingeprägter Baum, auf der anderen eine Internetadresse: www.die-schatten-kommen.de. Das Passwort stand dabei. Was würde mich dahinter erwarten? Langsam tippte ich Buchstaben und Zahlen in die Felder, dann

Schreck 3: Ein Buch! Bloß ein Buch! Eine Homepage mit Keltengefidel, dazu Link zum Aufbau-Verlag. Puh. Ein Fantasyroman, ein Auftakt zu einer Trilogie über Kelten, Norwegen, Druiden und Wälder, vielleicht auch Lehm – wer weiß das schon, es ist ja noch nicht erschienen und gelesen worden. Man stellt sich die Pressestelle vor, wie sie diese gruseligen Pakete packen und sich dabei kaum mehr einkriegen. Vielleicht sagen sie auch: An diese Promotionaktion wird sich der Kritiker erinnern.

Ja, lieber Aufbau-Verlag, das werde ich. Aber, wenn Du willst, dass ich das Buch auch wirklich lese: Jag mir doch bitte nie wieder so einen Schreck ein.

 

Fußball und Literatur

Die dpa schreibt im Ernst:

„Herta Müller verspürt keinen Erfolgsdruck“

Als sei Literatur die Fußballbundesliga und der Literaturnobelpreis der Meistertitel.

 

Der liebe Strindberg

August Strindberg war nicht für seine Frohnatur bekannt. Seine Stücke sind düster, finster, hoffnungslos, tiefschwarz. Doch nun stellen Sie sich vor, Strindberg würde heimgesucht von einem rosafarbenen, pausenlos quietschenden, gutgelaunten, naja, Ball. Da muss man doch mit dem armen Strindberg lachen.

Kind: Whats wrong with you, daddy?
Strindberg: My soul is empty, I am dead to the world…
Rosa Heliumball: I am dead, too!

http://www.strindbergandhelium.com

(Dank an Tamara)

 

Was für den Herbst

Andrea Hünniger hat es an dieser Stelle schön beschrieben: Der Herbst ist trübe. Man holt sich eine Erkältung, schlimmstenfalls treibt’s einen zum Arzt. Und wer dann trübtassig beim Arzt herum sitzt, dem sei in diesen Tagen die Lektüre von Michail Bulgakows Arztgeschichten (Luchterhand) empfohlen! Welch ein Buch, das so beginnt:

„Wer noch nie im Pferdewagen öde Feldwege entlanggezockelt ist, dem brauche ich nichts darüber  zu erzählen, er begreift es doch nicht. Wer es aber schon erlebt hat, den möchte ich nicht daran erinnern.

So kann der Herbst doch kommen.

 

Dan Browns CO2-Bilanz

Ein paar läppische Fragen zum Herbst:

– Kann man David Foster Wallace‘ Infinite Jest eigentlich jemals durchlesen? (Seite 837…)

– Warum in aller Welt wurde Pu der Bär fortgeschrieben?

– Wäre Der Turm nicht besser ein Sat.1-Zweiteiler?

– Schneuzen oder hochziehen?

– Wann wird endlich auf Klappentexte verzichtet, in denen „wunderbar“, „herrlich“, „Weltliteratur“ und/oder „Meisterwerk“ steht?

– Wie viele Bücher wurden in diesem Jahr auf Buchmessen geklaut?

– Wie sieht Dan Browns CO2-Bilanz aus?

– Sind Geheimbundromane nicht schon seit dem 18. Jahrhundert aus der Mode?

– Wer hat Angst vor dem E-Book?

– Warum liest in Deutschland eigentlich niemand Kurzgeschichten?

– Warum beginnen so viele Rezensionen mit „Um es gleich vorweg zu nehmen“?

Jaja, der Vorhang zu und alle… Sie kennen den Rest.

 

Heidi Klums gewachstes Auto

Ein Buch, ein Buch. Aber von vorn: Heidi Klum kennen Sie bestimmt. Das ist die stählern lächelnde Dame, die in fast allen deutschen Werbespots mitspielt und auf einem Privatsender junge Mädchen mit viel zu hohen Absätzen und Wünschen durch Studiosperrholz scheucht. Damit macht sie unfassbar viel Geld, und das wäre auch in Ordnung, wenn nicht Zeitungen und Fernsehsendungen pausenlos versuchten, hinter das Geheimnis ihres Erfolgs und Aussehens  zu kommen. Dazu genügt oft ein nichtiger Anlass, etwa das Erscheinen von Frau Klums neuem Fotoband Heidilicious. So jüngst geschehen auf Spiegel Online. Ganze zwei (!), als Rezension eines Fotobands (!!)  getarnte Seiten voller funkelnder Erkenntnisse. Nämlich so:

„Heidi lächelt ihre Neider in Grund und Boden, und was sie anfasst, wird zu Gold. Heidi Klum ist der Midas im Model-Business – und ein gutgelaunter noch dazu.“

Weil nämlich der Midas im antiken Business gar nicht gut drauf war, er wäre fast verhungert, und ihm wuchsen Eselsohren. Heidi hingegen…

“…ist leutselig, frohsinnig, ein ökonomisches und biologisches Wunderwerk. Heidi Klum bekommt Kinder wie nebenbei.”

Sag bloß! Echt wahr? Ein biologisches Wunderwerk.

“Alles ist ihr unheimlich wichtig. Und so scheint sie uns so unheimlich zu sein wie die Grinsekatze aus Alice im Wunderland. Unheimlich unheimlich sozusagen.“

Sozusagen.

„Die Kritik perlt an ihr ab wie saurer Regen auf einem frisch gewachsten VW Tiguan…”

Achso, saurer Regen, der war groß in den Achtzigern. Und was ist jetzt mit den Bildern?

“Abwechslungsreich sind die Bilder allein deswegen, weil Rankin sein Lieblingsmodel zu verschiedenen Zwecken fotografierte.”

Weil sowas kommt immer von sowas.

“Manches sind Werbebilder, andere wurden für Modestrecken produziert. Genaueres erfährt man jedoch nicht, denn Angaben zu den Aufnahmen sucht der Leser vergeblich.“

Manno. Aber:

„Hübsch anzusehen sind sie in jedem Fall: Klum posiert mit Schokolade übergossen…”

… die süß ist und trotz frisch gewachster Beine nicht abperlt.

“… trägt ein durchsichtiges Tuch über dem Nichts…”

Wo?

“… wie einst Marilyn Monroe, leckt an ihrem Tattoo auf dem Unterarm, sie steht am Pool im Bikini-Höschen und High-Heels.”

Im High-Heels, klar.

“Mal reckt sie den Hintern in die Kamera, mal den Busen. Hier steckt sie sich einen Finger ins Bustier, dort in den…”

Pfui Deibel!

“… Slip.”

Puh.

“Im Interview, das der Fotograf mit seinem Model führte (…), antwortet sie: ‚Ich schätze, manche Menschen haben einfach mehr Energie als andere.‘ Das ist zweifelsohne richtig. Manche Sätze haben auch einfach mehr Inhalt als andere.”

Und weil das so ist: Zeigt das nächste Mal doch einfach nur die Bilder.

 

Ach, Karasek

Auch das noch. „Sex wie bei Shakespeare“ titelt Spiegel Online, und dahinter verbirgt sich eine Rezension des neuen Buchs von Hellmuth Karasek. Sein 21. sagt der Text. Ja, wie doch die Zeit vergeht, wenn man sich amüsiert. Es trägt den Titel Ihr tausendfaches Weh und Ach, und thematisch mache „das Buch genau da weiter, wo Karasek mit den Lobgesängen auf Pooths Brüste (Anm. d. Verf.: Veronas, nicht Franjos), ‚ihre Bronzebräune‘ und ihren ‚Sex-Appeal ohne billige Mätzchen‘ in der Bild aufgehört hat…“.

Der aus „Funk und Fernsehen bekannte Literaturkritiker“ berichtet nun von seinen erotischen Erfahrungen und vergleicht diese mit denen berühmterer Schriftsteller. Die im Text zitierte Kostprobe geht so:

„Auch das Öffnen ihrer Bluse gelang ihm, Knopf um Knopf lenkte er sie mit Küssen ab. Natürlich vernestelte er sich, als er ihren Büstenhalter zu öffnen versuchte, aber dann sah er zwei wunderbare Halbkugeln…“

Wow.

Und natürlich vernesteln wir uns, wenn wir das Geheimnis zu lüften versuchen, wen solche discount-erotischen Schnurren interessieren sollen. Auch die Rezension ist da unentschieden. Aber sie liefert den wohl besten Klappentextsatz seit langer Zeit, erfrischend weit weg von lahmer Emphase wie „Dieses Buch lehrt uns sehen“ oder „Wunderbar, herrlich, ein Meisterwerk!“ Also, wer auch immer die Taschenbuchrechte dieses Werks ersteht, er drucke dieses bitte hinten drauf:

„Nachdem er zuletzt als Joker in der ‚5-Millionen-SKL-Show‘ aufgetreten ist und für Tintenfüller geworben hat, hat der langjährige SPIEGEL-Kulturchef nun mal wieder ein Buch geschrieben.“

Das „nun mal wieder“ des Jahres.

 

Berichte von der Messe

Heute startet die Buchmesse. Ort: Frankfurt, Gastland: China, Ich: nicht da. Leider. Stattdessen wird die von mir sehr geschätzte Reporterin Andrea Hünniger dieses Blog mit Schnipseln aus den Messehallen befüllen. Andrea Hünniger ist Autorin der ZEIT und ZEIT ONLINE und schreibt über Literatur, Film, Tanz und sogar über Dan Brown.

Ihre Beiträge werden Sie in den kommenden Tagen hier finden. Mehr zur Buchmesse finden Sie auf unserer Themenseite.