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Jesus auf dem Kiez

 

An einem freien Tag wie heute hat man Zeit aufzuräumen. Was man dabei aus manchen Kisten zu Tage fördert, ist schon bemerkenswert. In einem Karton voller aussortierter Bücher fand sich ein Büchlein eines Autors namens Dankmar Fischer. Es heißt „Mit Jesus auf der Reeperbahn“ und ist 1978 in der Reihe 28 erschienen, einer Serie, die auf „verschiedene Art und Weise das erstaunliche, oft verblüffende Eingreifen Gottes in das Weltgeschehen und in das ganz persönliche Leben unserer Mitmenschen“ zeige. Man könne darin „das machtvolle, umgestaltende Handeln Gottes in unserer Zeit“ entdecken. Nun denn. Auf 64 Seiten erzählt der Autor, wie er auf St.Pauli arbeitet und versucht, ins Vergnügungsviertel, in dem es nach Suff und Sünde riecht, den Herrgott einkehren zu lassen. Es beginnt rasant: mit einem U-Bahn-Dialog. Und der geht so:

„Schon in der U-Bahn führte er mich in die Geheimnisse der Großstadt ein, krempelte seinen Ärmel hoch und fragte mich: ‚Weißt du, was das ist?‘ Ich sah nur lauter kleine Wunden und sagte: ‚Nein.‘ Da sagte er ein wenig verheißungsvoll: ‚Ich spritze.‘ Da ich soeben einen Sanitätskurs beim Roten Kreuz beendet hatte, sagte ich mit medizinischem Sachverstand: ‚Ach so, du bist zuckerkrank und spritzt Insulin.‘ Er lachte mich aus, tippte sich mit dem deutschen Autofahrergruß an die Stirn und sagte: ‚Mann, bist du doof! Ich spritze Heroin.‘ Dann faßte er noch nach meiner Hand und meinte: ‚Homosexuell bin ich auch.'“

Puh. Wenige Seiten später ist er in der Herbertstraße, die sündige Bordellstraße, die Frauen nicht betreten dürfen. Er läuft da durch und ist zunächst schockiert: „Links und rechts sitzen die Fleischmassen in den Schaufenstern. Erst ekelte es mich unheimlich.“ Und dann? „Dann durchzuckte es mich: Auch dies sind Menschen, die Jesus liebt, für die er gestorben ist.“
Dann beginnt seine Mission. Wie gesagt, 64 Seiten lang. Er singt, er redet mit Prostituierten, trägt Fahnen mit „Blut und Feuer“ umher und bringt Gottesfurcht und Demut auf die Reeperbahn. „Wir meinen, daß gerade Menschen, die im Vergnügungsviertel untertauchen, unsere Hilfe brauchen.“ Unbedingt. Aber nicht mehr solche Bücher.

Was haben Sie heute gelesen an Ihrem freien Tag? Oder haben Sie auch ein skurriles Buch gefunden, irgendwo beim Aufräumen?

P.S.: Wer das Buch von Dankmar Fischer übrigens haben möchte, der soll sich melden – ich schicke es gerne zu.