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War der Sex im Osten wirklich besser?

 

Ja – zumindest war das der Grundton der recht amüsanten MDR-Dokumentation „Liebte der Osten anders?“ gestern Abend.

Als der Leipziger Soziologe und Sexualwissenschaftler Kurt Starke 1980 seine Studienergebnisse zum Sexualleben der Ostdeutschen vorlegte, rieben sich seine Kollegen im Westen verwundert die Augen. Die Diktatur schien der Libido keineswegs abträglich. Im Gegenteil. Die Gruppe der sexuell Aktiven, die mehr als viermal pro Woche mit ihren Partnern verkehren, war mit 38 Prozent in der provinziellen DDR genau doppelt so hoch wie im Westen.

Natürlich wurden hier wie da auch ein paar Klischees rausgekramt. An einer Stelle im Film sagte Kurt Starke: „Wenn eine Ostfrau mit jemandem sexuell zusammen ist und grad mal keinen Orgasmus hat, dann ist die nicht blitzböse, sondern sagt: Na, das nächste Mal klappts schon wieder.“ Als ob die Westfrau für den Rest des Tages geschmollt hätte.

Doch es wurde schön erzählt, wie es zu den unterschiedlichen sexuellen Freiheiten in Ost und West gekommen war. Im Osten waren Männer nach dem Krieg Mangelware, weil die Kriegsheimkehrer lieber in den Westen heimkehrten. Der Staat brauchte die Frauen und tat alles, um ihnen ein Arbeitsleben zu ermöglichen. Ein kleines Propagandafilmchen pries die Betriebskindergärten und die betriebseigenen Wäschereien und – die Frau per se: „Die Frau konnte ihre ganze Kraft in den Dienst des Plans stellen.“

Im Westen dagegen fördern Kirche, Politik und Medien den Trend zur häuslichen Idylle. Gerade noch auf sich allein gestellt und selbstständig, gehen Frauen jetzt in Bräuteschulen und „werden wieder zum Mündel des Mannes, verlässlich und duldsam, am Herd und im Bett“.

Die Kirche übernahm die moralische Ausbildung, sprich: nichts. Ein schöner Kontrast der Dokumentation war dann eben auch, quasi nicht vorhandene Westaufklärung mit den Sendungen im Ostfernsehen zu vergleichen, die so schöne Titel hatten wie „Fragen, die dein Kind dir stellt“ (1962). Darin wurde progressives Gedankengut verbreitet wie. Wenn der Sohn onaniert, solle man „erst dann eingreifen, wenn es zur Sucht und gegenseitig betrieben wird.“

Im Westen gab es bis Mitte der 60er Jahre keine Institution, die sich um die Aufklärung der Jugend kümmerte.

Dies in Kombination mit dem ziemlich unterschiedlichen Frauenbild führte – laut den befragten Experten – zu einem weit freieren Umgang mit der Sexualität. Starke sagt im Film: „Auf keinem Gebiet ist die Emanzipation der Frau so weit fortgeschritten wie in der Sexualität. Im Bett geht es nach der Frau, das war sehr DDR-typisch.“

Der Kulturwissenschaftler Dietrich Mühlberg sagt in der Dokumentation: „Frauen haben eine andere soziale Stellung eingenommen, waren selbstständiger, und dies dehnte sich auch auf ihre sexuellen Wünsche aus.“

Die Pille war im Osten kostenlos, Abtreibung bis zur 12. Woche wurde bereits 1972 legalisiert. „Allerdings fand im Gegensatz zum Westen keine öffentliche Diskussion statt“, sagt die Historikerin Gisela Staupe, „sondern ganz plötzlich hat die Volkskammer den Frauen ein Geschenk offenbart, nämlich die Legalisierung der Abtreibung. Das war eindeutig an die Adresse des Westens gerichtet: Seht uns an, wir sind besser, wir sind schneller, wir ermöglichen Frauen ein besseres Leben.“

Allerdings galt man dort mit 25 auch bereits als „Spätgebärende“.

Ein interessanter Film, und wie sagt man hier immer? Es war nicht alles schlecht?