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Wen geht Ihr Sexleben etwas an?

 

Nennen Sie es oberflächlich, Klatschpresse, was-gehts-uns-an. Aber manchmal stecken in lächerlichen, oberflächlichen Yellow-Press-Artikeln Fragen, die durchaus diskutierenswert sind.

Hier kommt die Ausgangslage, und bitte halten Sie ein wenig durch, auch wenn Ihnen Großbritannien, Fußball oder beides irgendwo hinten vorbeigehen.

Also: Der Kapitän der englischen Fußballnationalmannschaft, John Terry, hatte ein Verhältnis mit der (Ex-)Freundin eines ehemaligen Teamkollegen. Über die genaueren zeitlichen Abläufe gibt es unterschiedliche Berichte.

John Terry ist verheiratet, was im Vereinigten Königreich seit Tagen flammende Diskussionen nährt, ob er nun als Mannschaftsführer noch geeignet ist.

Lustig, oder? Wohlgemerkt, er hat weder einen Schiedsrichter bestochen, noch einen Gegner absichtlich krankenhausreif gefoult, noch seine Mannschaft mit einem eindeutigen Handspiel zur Fußball-WM befördert.

Streichen Sie den letzten Punkt.

Und trotzdem werden in Großbritannien Stimmen laut, die fordern, man möge ihn doch abberufen, oder er solle seinen Posten endlich selbst zurücklegen. Weil er beziehungsweise sein Posten schließlich Vorbildcharakter hätten. Ein „Vorbild für die Kinder!“, meinte ein Kommentator bei Times online. (Worauf ein anderer bemerkte, jeder englische Fußballkapitän würde sofort den Respekt seiner Mannschaftskameraden verlieren, wenn er den heiligen Ehrenkodex brechen würde, deren Freundinnen nicht flachzulegen.)

Prügeleien, öffentliche Besäufnisse und das Belästigen von trauernden Amerikanern kurz nach 9/11 fielen zuvor offensichtlich nicht so stark ins Gewicht.

Hat das eine mit dem anderen zu tun? Muss, wer sich im Privatleben etwas zuschulden kommen hat lassen, in seinem Berufsleben dafür die Konsequenzen ziehen?

Hätte Oliver Kahn, der ja ebenfalls seine noch dazu schwangere Frau medienwirksam betrog, ebenfalls die Kapitänsschleife abgeben sollen? Ist Horst Seehofer als CSU-Vorsitzender nicht mehr tragbar, weil er ein außereheliches Verhältnis hatte, aus dem ein Kind hervorging?

Lassen wir Fußballern Verfehlungen noch durchgehen, Politikern aber nicht mehr, weil sie als gewählte Volksvertreter höheren Ansprüchen genügen müssen?

So schwer es fällt: Beide Lebensbereiche sind getrennt zu beurteilen. Ein Steuerbeamter darf keine Steuern hinterziehen, ein Politiker darf sich nicht bestechen lassen, ebensowenig wie ein Fußballer. Bill Clinton hätte die Affäre mit seiner Praktikantin mit einem blauen Auge überstanden, das Impeachment-Verfahren handelte er sich erst wegen Falschaussage unter Eid ein. Und ob sich Max Mosley, ehemaliger Präsident des Formel-1-Verbands FIA, in seiner Freizeit gern von ein paar bezahlten Damen den Hintern versohlen lässt, ist einzig und allein seine Sache.

Dass er nun trotzdem nicht mehr FIA-Präsident ist, hat offiziell selbstverständlich mit Uneinigkeiten über das Budget zu tun.

Wenn also ein Fußballer seine Frau betrügt, kann sich jeder einzelne darüber gern ein Urteil bilden (wenn er nicht gerade im Glashaus sitzt), aber in Wirklichkeit geht das genau diese Menschen etwas an: den Fußballer, seine Frau, seine Freundin und, falls vorhanden, seine Kinder. Und sicher nicht den Nationaltrainer oder gar den britischen Sportminister, der tatsächlich der Meinung ist, dass man, um Englands Kapitän zu sein, „größere Verantwortung für das Land“ habe, und falls die Anschuldigungen stimmen, dies John Terrys Rolle „infrage stellen“ würde.

Die andere Frage ist natürlich, ob jemand mit einem eher stürmischen Privatleben die von ihm erwarteten Leistungen bringen kann. Daran zweifelt in England offensichtlich niemand. Mittlerweile stürzt man sich dort auf die Geliebte und listet genüsslich auf, mit wem sie sonst noch so im britischen Spitzenfußball zugange war.

Was ebenfalls niemanden etwas angeht.