Unlängst wurde einem jungen deutschen Paar die Wohnung gekündigt, weil es den Nachbarn gereicht hatte, ihnen allnächtlich bei ihren sexuellen Aktivitäten zuzuhören. Na gut, nicht nur beim Sex waren sie laut. Laut ihrem Vermieter hatten sie auch gern Partys veranstaltet oder nächtens „unter großem Lärm“ Möbel zusammengebaut. Dafür hat man als Hartz-IV-Empfänger tagsüber ja keine Zeit.
In Großbritannien droht einer Frau (wieso eigentlich nicht ihrem Partner?) eine Gefängnisstrafe, wenn sie es nicht endlich schafft, ihr „unnatürliches“ Liebesspiel leiser zu gestalten. Sie hatte sich zuvor bereits eine Verwarnung wegen unsozialen Verhaltens eingehandelt, die sie aber laut BBC bereits am nächsten Tag (oder in der nächsten Nacht?) ignoriert habe.
Wenn jetzt die Saison der offenen Fenster endlich losgeht, fürchten vermutlich wieder einige Menschen, deren Schlafzimmer in einen Innenhof geht, um ihren Nachtschlaf. Denn was meine bescheidenen Erfahrungen anbelangt, haben Menschen, die beim Sex gern laut sind, auch gern die Fenster offen. Oder umgekehrt. Und vor allem sind sie sehr leicht zu begeistern. Kein kleiner Laut der Entzückung am Höhepunkt – nein, die gesamte Oper samt Ouvertüre.
Interessanterweise sind angeblich die Damen lautstärker als die Herren, behaupten Experten bis hin zum Evolutionspsychologen Steven Pinker. Der amerikanische Psychologe Christopher Ryan arbeitet gerade an einem Buch mit dem Titel Sex at Dawn: The Prehistoric Origins of Modern Sexuality (Sex in der Dämmerung: Die prähistorischen Ursprünge der modernen Sexualität). In seinem Blog berichtet er, dass er bei öffentlichen Auftritten das Publikum jedes Mal fragt, wer – wenn man sie überhaupt hören kann – bei einem heterosexuellen Paar immer der lautstärkere Part ist. „Die Antwort, die wir jedes Mal bekommen – egal ob von Männern, Frauen, Heteros, Schwulen, Amerikanern, Franzosen, Japanern und Brasilianern – ist immer die gleiche. Mit großem Abstand. Jawohl, das „sanfte“, „sittsame“, „schamhafte“ Geschlecht ist die Quelle von lautem Stöhnen, Ächzen und Rufen an den lieben Gott da oben – während alle Nachbarn ignoriert werden.“
Ryan zitiert Forscher, die sich genau über dieses Phänomen Gedanken gemacht haben. Nicht bei humanen Weibchen, oder jedenfalls nicht offiziell (das Leben eines Wissenschaftlers könnte so angenehm sein!). Wenn es um Evolution geht, blickt die Wissenschaft immer zurück, in unserem Falle auf Primaten. Die Weibchen einiger Affenarten können nämlich beim Sex ebenfalls ganz schön laut werden. Was noch überraschender ist, da sie noch direkten Fressfeinden ausgesetzt sind. Gerade in Momenten, wo man nicht wirklich hundert pro darauf achtet, ob hinter dem nächsten Busch der hungrige Tiger lauert, sollte man eher die Klappe halten, um dem Tiger nicht auch noch seinen genauen Aufenthaltsort mitzuteilen.
Wozu also trotzdem das Gestöhne? Und was hat es für Vorteile, die sich evolutionär offenbar als gewinnbringender herausgestellt haben, als in Anwesenheit von Feinden das Entzücken lieber runterzupegeln?
Die Forscher William J. Hamilton and Patricia C. Arrowood vermuten, dass die Laute mehrere Zwecke erfüllen könnten. Sie helfen dem Männchen zum Orgasmus und sie locken andere Männchen an, die vielleicht ein noch begehrenswerteres genetisches Profil haben als der aktuelle Liebhaber. Die so genannte Spermienkonkurrenz soll dem Weibchen immer den überlebensfähigsten Nachwuchs sichern.
Solche weiblichen Kopulationslaute seien nämlich – zumindest bei den Primaten – vor allem bei Arten festzustellen, die auf Monogamie nicht viel halten.
Aber haben wir uns von den Affen nicht in mancher Hinsicht doch bereits ein bisschen wegentwickelt? Wir sind in vielerlei Hinsicht so ausreichend domestiziert, dass wir einige unserer Tierinstinkte durchaus unter Kontrolle halten können. (Wir fallen beispielsweise nicht mehr über jedes Männchen/Weibchen her, das uns gefällt.)
Im Bett Laut zu geben, ist immer auch eine Art Kommunikation mit dem Partner:
Ton an = Das, was du gerade tust, finde ich ziemlich ok.
Ton aus = Ich halte die Gesamtsituation für verbesserungswürdig.
Und jeder wird bestätigen, dass positives, hörbares Feedback durchaus motiviert. Christopher Ryan vermutet, dass sich Prostituierte diesen Effekt zunutze machen, um ihr Preis-Leistungsverhältnis zu optimieren. Das kann ich leider mangels Erfahrung nicht beurteilen. Ich hielte es allerdings nicht für ausgeschlossen, dass manche Frauen besonders starkes Feedback geben, um den Sex möglichst schnell hinter sich zu bringen.
Doch das Dilemma bleibt: Lasse ich meinen Gefühlen freien Lauf im Interesse eines befriedigenden Sexlebens? Oder achte ich immer mit einem Ohr auf den Lärmpegel und die Nachbarn? Ab wann ist „laut“ zu laut? Darf man sich erst dann gestört fühlen, wenn die Nachbarn zu oft und zu lange lauten Sex haben? (Und nächtens Möbel zusammenbauen?)
Und vor allem: Wie sag ich’s meinem Nachbarn, wenn mir sein Sex zu laut ist? Währenddessen mit einer Flasche Champagner in der Hand an die Wohnungstür klopfen und fragen, ob man mitmachen darf? Ein nettes Brieflein unter der Tür durchschieben? Die Tonaufzeichnungen samt Adresse bei Youtube reinstellen?
Als Lärmgeschädigte behaupte ich hiermit, dass man immer Herr/Frau seiner Begeisterung sein kann. Sogar beim tollsten Sex bleibt noch ein kleiner Rest an Zurechnungsfähigkeit übrig, die im Plattenbau an etwaige Mithörer denken lässt. (Das deutsche Pärchen hat übrigens zwei kleine Kinder, die in der Nacht vermutlich auch eher schlafen sollten.)
Und zur Not schließt man vor dem Sex einfach die Fenster.