Vor kurzem hat US-Präsident Barack Obama die Juristin Elena Kagan als Kandidatin für den Obersten Gerichtshof nominiert. Seither brodelt in den Staaten die Gerüchteküche. Worüber am heftigsten diskutiert wird, sind nicht ihre juristischen Meriten oder ihre politische Orientierung, sondern ihre sexuelle.
Losgetreten wurde die Diskussion, wie in letzter Zeit öfters, durch eine Bemerkung in einem Weblog, in diesem Fall durch den konservativen Autor Ben Domenech, der bislang offensichtlich nicht durch besonders seriöse Arbeit aufgefallen war, wie die politische Kommentatorin Taylor Marsh schreibt.
Domenech zählte anlässlich Kagans Nominierung ihre Vor- und Nachteile auf, und listete unter Vorteilen: „… würde einem Großteil von Obamas Lager gefallen, wäre (…) die erste offen homosexuelle Richterin“.
Elegant!
Weniger elegant, dass das Weiße Haus darauf reagierte, indem es die „falschen Anschuldigungen“ zurückwies. Man wäre also schuldig lesbisch zu sein? Autsch!
Domenech hat sich danach entschuldigt, nicht ohne zu erwähnen, dass er sich zu Unrecht kritisiert fühle. Auf Huffington Post schrieb er, es sei eigenartig, „vom Weißen Haus für einen Blogeintrag attackiert zu werden, und noch eigenartiger, wenn dies aufgrund eines Nebenbei-Bemerkung erfolgt, die noch dazu gedacht war, einen positiven Aspekt einer potenziellen Supreme-Court-Kandidatin hervorzukehren“.
Als klassisches „Die anderen machen es ja auch“-Argument holte er dann diesen Text hervor, in dem „Seneca Doane“ die Bestellung einer lesbischen Verfassungsrichterin forderte. Das tat er allerdings Wochen vor Kagans Nominierung und bezog sich dabei auf zwei weitere mögliche Kandidatinnen, die offen lesbisch leben.
Wieso er dies forderte, erklärt, warum in den Staaten solch ein Gewese um Frau Kagan gemacht wird. Die Zusammensetzung des Obersten Gerichtshofes ist eine Kombination aus Schachspiel, Tauziehen und Gleichgewichtsübungen. Jeder Präsident versucht, die Bestellung der neun Mitglieder in seinem politischen Sinne zu beeinflussen – sofern er die Möglichkeit dazu hat. Die Obersten Richter werden nämlich, theoretisch, auf Lebenszeit berufen. Und sie haben, anders als in anderen Ländern, großen Einfluss auf gesellschaftlich massiv wichtige Fragen. Das Recht auf Abtreibung, zum Beispiel, oder ob Homosexuelle heiraten dürfen (eine Entscheidung, die demnächst ansteht).
Deshalb wird jeder Richter nicht nur von den zuständigen Kommissionen bis in den letzten Winkel durchleuchtet, sondern auch von der Öffentlichkeit, die sozusagen erahnen möchte, wie er oder sie in welchem Fall entscheiden würde. Und in welche Richtung dieses Entscheidungsgremium tendieren würde.
Nur: Ist das ein legitimer Grund, die sexuelle Orientierung von Elena Kagan nicht nur öffentlich zu diskutieren, sondern sogar zu fordern, sie möge sich endlich deklarieren, wie das selbst homosexuelle Kommentatoren wie Andrew Sullivan tun?
„Damit jemand eine Meinung zum Thema Abtreibung haben kann, muss er ja vorher nicht selbst abgetrieben haben“, sagt Renate Rampf, Pressesprecherin des Lesben- und Schwulenverbandes (LSVD) auf die Frage, ob man von einer lesbischen Richterin mehr Einsatz für die Rechte von Homosexuellen erwarten dürfe. „Wir sind der Meinung, dass sich prominente Menschen outen sollen, weil das anderen Mut macht. Aber es setzen sich ja nicht zwangsläufig nur Lesben und Schwulen für die Rechte von Homosexuellen ein.“
Aber würde es nicht helfen, in solch wichtige Gremien immer auch einen oder eine Homosexuelle/n zu berufen? Ähnlich wie bei fast jeder neugebildeten Regierung weltweit automatisch nachgezählt wird, wieviele Frauen ihr angehören? „Welche Quote wollen Sie da nehmen?“, fragt Rampf zurück. „Zehn Prozent? Nein, das Wichtigste ist Vorurteile abzubauen. Da helfen keine Gleichstellungsmaßnahmen.“
Auch den Vorbildeffekt eines prominenten geouteten Politikers hält Rampf für überschaubar. „In Berlin und Hamburg gibt es schwule Bürgermeister, weil sich zuvor viel in den Städten selbst geändert hat“, sagt sie. Schwulenclubs und Initiativen hätten nach und nach „die Vorhänge weggezogen“, erst dadurch sei es im Laufe der Zeit für Ole von Beust und Klaus Wowereit möglich geworden, sich zu outen.
Ob sich ein homosexueller Politiker eher für die Rechte von Schwulen und Lesben einsetzt? Schwierig, meint Rampf. Wenn er noch nicht geoutet ist, könnte er sich damit „verdächtig“ machen. „Wenn Sie etwas verstecken wollen …“, deutet Renate Rampf an. Danach ist es nicht viel einfacher. Jede entsprechende Initiative würde als persönlich motiviert angesehen werden. Würde man das auch Frauen vorwerfen, die sich für Gleichberechtigung einsetzen?
Mit wem ein Politiker (oder sonst jemand) also ins Bett geht, hat niemanden etwas anzugehen, nicht einmal, wenn es sich um eine Oberste Richterin handelt. Es ist nämlich einfach nebensächlich.
Vielleicht hat sich die Diskussion in den USA deshalb bereits verlagert: Nun wird debattiert, ob Elena Kagan als Nicht-Mutter für den Job einer Richterin geeignet sei.