Lesezeichen
‹ Alle Einträge

Und wieder kein „rosa Viagra“!

 

Die Suche nach dem „rosa Viagra“ hat einen erneuten Rückschlag erlitten. Vergangenen Freitag wurde der Zulassungsantrag des Pharmaunternehmens Boehringer Ingelheim für sein Medikament Flibanserin von der amerikanischen Behörde U.S. Food and Drug Administration (FDA) abgelehnt. Die Entscheidung kam nicht unerwartet. Schon in den Tagen zuvor veröffentlichte die FDA Material, das Boehringer Ingelheim nicht viel Hoffnung machen konnte.

Wie von Neuroskeptic und Dr. Petra Boynton kurz zusammengefasst, scheiterte der Antrag im Grunde daran, dass in den Studien, die vom Hersteller im Vorfeld einer Zulassung durchgeführt werden müssen, nicht wirklich bewiesen werden konnte, dass Flibanserin tatsächlich gegen die ominöse HSDD (Hypoactive Sexual Desire Disorder – auf deutsch: zu wenig Lust) bei Frauen hilft. Flibanserin ermöglichte den Testpersonen 4,5 „sexuell befriedigende Begegnungen“ pro Monat, während ein wirkstofffreies Placebo 3,7 Begegnungen ergab.

Dafür berichteten die Probandinnen über Nebenwirkungen wie Schläfrigkeit, Benommenheit, Angstgefühle.

Im Gegensatz zu Viagra, dem nicht versiegen wollenden Füllhorn der Pharmaindustrie, sollte Flibanserin nicht auf die weiblichen Genitalien wirken, sondern die Gehirnchemie beeinflussen. Eine Erhöhung der Dopamin- und Noradrenalin-Spiegel sollte in Kombination mit einer Senkung des Serotonin-Levels zu einer gesteigerten Libido führen. Laut New York Times könnte ein solches Medikament allein in den USA zwei Milliarden US-Dollar Umsatz erzielen.

Vermutlich werden wir deshalb noch lange von weiblichen Viagras und ähnlichen Schwachsinnigkeiten hören. Es steht einfach zu viel Geld auf dem Spiel. Und deshalb wird HSDD weiterhin als ernsthafte Störung bezeichnet werden. Nur eigenartig, dass auffällig viele Sexualtherapeuten dagegen ankämpfen und jetzt auch froh sind, dass Flibanserin nicht für den Markt zugelassen werden wird.

Um es genauer zu formulieren: viele Sexualtherapeuten, die nicht mit Boehringer Ingelheim zusammenarbeiten.

Berit Brockhausen zum Beispiel, eine Berliner Therapeutin, die sagt: „Mich ärgert, dass durch die Medikalisierung das schon lange wiederlegte Triebkesselmodell der Lust erneut Nahrung bekommt. Es impliziert, dass jeder und vor allem jede, die nicht spontan geil ist, einen Defekt hat, der medikamentös ausgeglichen werden kann und muss. Doch die Lust auf Sex entsteht nicht von selbst, sondern durch die Beschäftigung mit Sex. Sei es durch einen anregenden Anblick, vergnügliche Fantasien oder Gedanken an Sex, oder auch stimulierende Berührungen, die genossen werden können.“

Wer also den ganzen Tag arbeitet und/oder Kinder betreut oder einfach sonst mehr als ausreichend beschäftigt ist, hat am Abend eher verständlicherweise nicht automatisch Lust auf Sex, sondern vielleicht eher Lust auf Ruhe. Das passiert sogar Männern! Doch gerade Frauen haben oft im Hinterkopf, dass sie ihrem Mann ja auch noch als Geliebte zur Verfügung stehen müssen und setzen sich dann selbst unter Druck, wenn sie merken, dass sie einfach gerade keinen Bock auf Sex haben.

Frauen seien dann gern mit Selbstzweifeln und Ansprüchen beschäftigt, sagt Berit Brockhausen: „Wieso macht mich das jetzt nicht an, ich müsste das doch erotisch finden, alle anderen finden das geil, nur bei mir ist mal wieder gar nichts, er wird sicher enttäuscht sein, aber ich kann ihm doch nichts vorspielen, oder vielleicht doch? Aber …“

Oft würden sich die Partner auch einfach in unterschiedlichen „Aufladungsstadien“ treffen, hat Brockhausen beobachtet: „Er hat sich möglicherweise schon den ganzen Nachmittag ausgemalt, wie sie den Abend verbringen können – dann scheitert die lustvolle Begegnung der beiden nicht an ihrer fehlenden Lust, sondern daran, dass sie glaubt, sie müsste genauso bereit sein wie er. Und weil das nicht so ist, sagt sie Nein. Dabei ist noch nicht vorhandene Lust kein Grund, sich nicht auf einen erotischen Kontakt einzulassen. Im Gegenteil: Alles, was es braucht, ist die Lust herauszufinden, ob in einem genussvollen Körperkontakt auch erotische Lust entstehen mag.“

Oder wie man auch sagen könnte: Mit dem Essen kommt manchmal der Appetit. Und man wirft ja schließlich auch keine Pille ein, um Hunger zu bekommen.

Was also normal und verständlich ist, wird dann schnell zu einem Problem, das oft mit einer offenen Aussprache geregelt werden könnte. Stattdessen ist aus dem Problem mittlerweile eine Störung mit schicker Abkürzung geworden, für die man eine einfach einzuwerfende Pille sucht, anstatt die Gründe zu suchen, die für die Nicht-Lust verantwortlich sein könnten.

Hin und wieder könnte es einfach eine normale Reaktion darauf sein, mit einem Partner schon lange zusammen zu sein. Die Anthropologin Helen Fisher meinte einmal sinngemäß, man solle ihr einmal eine Frau zeigen, die, sobald sie sich neu verliebt, nicht sofort wieder Lust auf Sex habe. Dann ist die Störung also wundersamerweise von einem Tag auf den nächsten geheilt?

Es ist gut, dass die FDA Flibanserin nicht zugelassen hat. Es steht allerdings zu befürchten, dass damit die Suche nach dem „rosa Viagra“ noch längst nicht beendet ist. Weiterhin wird Frauen eingeredet werden, dass sie sexuell zu funktionieren haben, pardon, dass sie ein Problem haben, wenn sie keine Lust mehr auf ihren Partner verspüren.

Dies kann, zugegeben, sicher problematisch für eine Beziehung werden. Aber all jene, die jetzt wieder auf den Leidensdruck dieser Frauen verweisen, der mit einer Pille behoben werden könnte, sollen doch bitte einfach kurz überlegen, ob man Frauen damit nicht auch ein bisschen zu sexuell ordnungsgemäß funktionierenden Robotern macht. Will ein Mann tatsächlich eine Partnerin, die nur dank einer Pille Lust auf ihn hat? Hat eine Frau, die keine Lust auf ihren Mann hat, tatsächlich selbst ein Problem oder glaubt sie sozusagen ihrem Mann zuliebe ein Problem zu haben?

Berit Brockhausen bezweifelt jedenfalls, dass Flibanserin oder alle sicher noch kommenden Wundermittel „dem größten Teil der Frauen, denen es angedient wird, überhaupt nutzen würde. Selbstvertrauen, Gelassenheit und eine gesunde kritische Distanz zu den gängigen Sexnormen wären eindeutig wirksamer!“

In diesem Sinne warten wir nun also ab, welche Sau als nächste durchs Pharmadorf getrieben werden wird. Zwei Milliarden US-Dollar sind leider ein zu großer Anreiz, dieses Thema endlich fallen zu lassen.