In der „New York Times“ berichtet Kate Zernika über die Empörung, die der Richter bei der Familie jenes 16jährigen Schülers hervorrief, der Sex mit seiner Lehrerin hatte. Stephen Herrick hatte ihn „nur als Opfer im engsten juristischen Sinne“ bezeichnet. Ein mutiger Spruch, auch für jemanden, der die „Täterin“ gerade zu einer Gefängnisstrafe von sechs Monaten verurteilt hatte. Verurteilen musste, vielleicht besser.
Was für ein fürchterlich heikles Thema: Wann darf wer mit wem? Wer hat darüber zu entscheiden? Und wer möchte da wirklich Richter sein? Nicht, dass wir uns falsch verstehen: Ein/e Lehrer/in mit seiner/ihrem Schüler/in ist jenseits jeder Diskussion. Wenigstens, solange beide noch an einer Schule sind. Aber diese Alters/Mündigkeitsfrage ist ein Hund. Bis wann muss wer vor wem geschützt werden? Und wie kann man im Falle eines Gerichtsverfahrens herausfinden, ob dem oder der Jugendlichen tatsächlich die „Fähigkeit (…) zur sexuellen Selbstbestimmung“ fehlte, wie es im Gesetz heißt?
Und wenn wir schon dabei sind: Wieviele Mittdreißiger oder gar Endfünfziger sollten eigentlich noch viel dringender vor ihren Partnern geschützt werden, die sich im Laufe einer jahrelangen Beziehung in ein Machtverhalten gesteigert haben und es schamlos ausnutzen, dass ihre Familie nicht den Mut aufbringt, den Mund aufzumachen? Wieviele mündige Anfangs-Zwanzigerinnen möchte man am liebsten nehmen und schütteln, damit sie das Arschloch an ihrer Seite endlich einmal mit offenen Augen sehen – und nicht immer nur das Luxusleben in einem Hamburger Vorort, das er ihr „bietet“?
So schwarz muss man aber gar nicht sehen. Wenn Jugendlichen die nötige Reife aberkannt wird, die Absichten eines anderen richtig einschätzen zu können, dann dürfte wohl nur ein Bruchteil von uns allen jemals Sex haben. Wie oft kommt es sogar bei uns Alten vor, dass wir uns in einem anderen Menschen komplett täuschen, uns von seinen blumenumrankten Versprechungen einwickeln lassen?
Und wie oft lassen wir uns von Nebensächlichkeiten beeindrucken und bilden uns nur ein, verliebt zu sein, weil die so eine tolle Figur hat, der so ein geiles Auto, weil er/sie viele Fremdsprachen spricht oder ungeheuer belesen ist oder gut tanzt oder aufmerksam/humorvoll/geheimnisvoll ist oder gut kochen kann? Vor blindem Anhimmeln sind die Wenigsten gefeiht – das unterscheidet so genannte Erwachsene nicht im geringsten von 13jährigen Teenagern, die ihre coolen Lehrer anhimmeln. Da müsste man jeden vor sich selbst schützen. Die 13jährigen sind dabei sogar noch im Vorteil: Wenn es die auf die Fresse haut, stehen sie wieder auf und verknallen sich zehn Minuten später in den nächsten. Erwachsene müssen dann zum Therapeuten.
Und für alle, die jetzt schon wieder ein gefundenes Fressen vor sich glauben: Dies ist in keinster Weise eine Verharmlosung von Kindesmissbrauch. Dies ist die Frage, in welchen Fällen man nach den Buchstaben des Gesetzes vorgehen muss. Und in welchen man gesunden Menschenverstand walten lassen kann.
Aber wie gesagt: Ich möchte da nicht Richterin sein müssen.