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Anand oder Gelfand – Tag der Entscheidung

 

17.29 Die Pressekonferenz endet, und Ihr Schachreporter bedankt sich für die Aufmerksamkeit.

17.27 Gelfand hätte die dritte Partie im Tiebreak gewinnen können. Er tat es nicht, danach war es schwierig. Anand hatte die besseren Nerven, Gelfand verbrauchte zu viel Zeit.

17.23 Die Pressekonferenz läuft noch. Gelfand betont einmal mehr, daß er gekommen sei, um Schach zu spielen. Und das habe er getan. Ich glaube, man muss das alles erst einmal verdauen. Verstehen auch, ob das, was sich heute nachmittag hier zugetragen hat, dem Schach neue Perspektiven eröffnet, Aufmerksamkeit qua Spektakel, oder ob Hauen und Stechen in dieser Form dem Schach abträglich ist. Dafür wird auch die Qualität der Partien eine Rolle spielen.

17.10 Pressekonferenz. Vor Kameraleuten und Fotografen kaum ein Durchkommen. Die Kollegen stehen auf Stühlen und Tischen. Wie immer ist kaum ein Wort zu verstehen, weil überall rundherum gequatscht wird. Boris Gelfand bittet wiederholt um Ruhe, teilweise sich selber, weil seine Stimme zeitverzögert über den schlecht schallisolierten VIP-Raum zu ihm nach vorne hallt. Gelfand hat rote Flecken im Gesicht, nicht zum ersten Mal.  Anand wirkt gelöst, lächelt. Beide schildern kurz ihre Sicht des Matches. Anand fand es sehr eng, der Verlust der siebten Partie habe ihn schwer getroffen. Wie gut, daß er gleich in der achten ausgleichen konnte. Nun, was soll er auch sagen.

Vierte Schnellpartie Anand-Gelfand endet remis. Schlussstand: 2,5 zu 1,5

16.50  Stay tuned.

16.49 Eli Shvidler ruft in Tel Aviv an. Traurige Nachricht, in der letzten Stunde nicht mehr unerwartet. Gleich ist Pressekonferenz.

16.48 Alles abgetauscht. Remis! Anand ist Weltmeister. Was für ein Finale.

16.47 Gelfand hält die Hand vor den Mund und bewegt sich nicht mehr. 17 Sekunden.

16.46 Schwarzer Turm dringt auf die weiße Grundreihe ein. Schach! Gelfand 34 Sekunden.

16.45 Ganz komische Stimmung hier. Man möchte, daß es aufhört. Man möchte, daß es weitergeht.

16.44 Gelfand hat noch 45 Sekunden. Für jeden Zug gibt es 10 Sekunden Gutschrift. Er baut auf sie.

16.43 Was sagt Eli Shvidler? „Das letzte Spiel Gelfands war die reinste Verschwendung.“

16.42 Anand zieht seinen Riesenläufer zurück. Komplikationen.

16.41 Wenn Gelfand das noch dreht, drehen hier alle durch. Eine Minute zu mehr als sieben.

16.40 Getümmel im rechten Mittelfeld.

16.39 Anand nimmt den dargebotenen Bauern.

16.38 Gelfand versucht alles, das Spiel zu komplizieren. Bloß kein Remis.

16.37 Schwarzes Bauernopfer!

16.36 Der schwarze König auf der dritten Reihe. Anand jagt ihn mit dem Springer.

16.34 Jetzt dringt der schwarze König ins weiße Lager vor. Angriff, eure Majestät!

16.33 Figurenballung um den schwarzen König.

16.32 Gelfands Freunde spüren ihr Nervenkostüm. Wird Israel nun doch keine Schachnation?

16.31 Weiße Turmmanöver auf der sechsten Reihe. Schwarzer König am Rand eingesperrt.

16.26 Das Tuschel-Level im Presseraum zieht an. Bloß weil diese Partie etwas ruhiger ist. Svidler spricht im Kommentar schon wieder von Remis.

16.24  Ein Turmpaar ist vom Brett verschwunden. Weiß Turm, Springer und Läufer. Schwarz Turm und Läuferpaar. Noch vierzehn Bauern auf dem Brett. Schwer zu sagen, was das wird.

16.22 Die Zeitproblematik, noch nicht so schlimm wie zuvor, aber schon wieder da: 6 Restminuten Gelfand, 15 Anand. Im Hauptmatch in den vergangenen zweieinhalb Wochen war die Langsamkeit Gelfands nicht so sichtbar. Die Schnelligkeit Anands auch nicht.

16.19 Was zum Kucken:

Anand – Gelfand, vierte Schnellpartie, nach dem Zug 22. ... g5

16.18 Schwarze Bauernwalze jetzt auch auf dem Königsflügel. Alles nach vorn!

16.13 Eine Mail aus dem Heimathafen Hamburg von der Schachfreundin Rietz, die ein Wort des bekannten Fußballtrainers Peter Ustinov ins Spiel bringt:

Ist es nicht absurd und eine erbärmliche Antiklimax, wenn man zulässt, dass ein herrliches Spiel mit der willkürlichen Lotterie eines Elfmeterschießens beendet wird ? Das ist, als würde ein großer Krieg (einer von der veralteten anregenden Sorte) nicht mit einem geistigen Kräftemessen am Konferenztisch beendet werden, sondern mit einer Partie russischen Roulettes zwischen ausgewählten Gefreiten beider Seiten.


16.10 Mal Luftholen zwischendurch. Langsam nähert sich eine schwarze Bauernwalze dem weißen König, der groß rochiert hat, und auf somit auf dem Damenflügel steht. Mal sehen, was Gelfand sich ausdenkt. Anand stellt sich hin und kuckt. Der schwarze Läufer des Schwarzen ist zur Zeit ohne Perspektive. Er steht gewissermaßen vor der Garage, aber die Ausfahrt ist versperrt.

16.05 Vierzehn Züge sind gespielt. Die Damen getauscht. Stellung sieht ausgeglichen aus. Gelfand: sechs Minuten weniger als Anand.

15.59 Anand sucht den Abtausch in der vierten Partie. Mit jedem Stück Holz, das vom Brett verschwindet, rückt das Remis näher. Remis=Sieg. So ist es jetzt.

15.55 Im Pressezentrum setzt sich die Einschätzung durch, dass Gelfand die Partie eben hätte gewinnen können und müssen. Anand hatte sich schlecht aufgebaut und dann die tollkühne Flucht nach vorn angetreten. Aber wie sagte schon der nie als Schachkanzler hervorgetretene Helmut Kohl: „Wichtig ist, was hinten rauskommt.“

15.54 Zwei Bauernpaare im Zentrum, die sich gegenseitig schlagen können. Sehr dynamischer Start.

15.47 Anand wieder mit 1. e4, Gelfand wieder Sizilianisch. Aber diesmal eine andere Variante, 2. … d6. Anand spielt gleich den Läufer heraus, wie zuletzt oft. Er wird ihn bald tauschen müssen und hat dann kein Läuferpaar mehr. All die Russen hier stört das. Das Läuferpaar galt etwas in der berühmten sowjetischen Schachschule.

15.47 Der Slowene Boris Kutin, früherer Präsident der Europäischen Schachunion, schüttelt mir die Hand. Wir kennen uns von der letzten WM in Sofia, 2010. Wie er das hier findet? „Das ist das, was die Leute sehen wollen. Blut.“

15.46 Beginn der vierten Schnellpartie. Anand Weiß, Gelfand Schwarz.

+++

15.39 Eli Shvidler aus Israel neben mir: „Der Titel eines Weltmeisters kann auf solche Weise nicht vergeben werden.“

15.37 Zehn Minuten Pause, das heißt: jetzt nur noch neun.

15.35 Die dritte Schnellpartie ist beendet. Damit steht es nun 2:1 für Anand. Gelfand muss die vierte Partie gewinnen, um im Spiel zu bleiben. Verliert er oder spielt er remis, bleibt Anand Weltmeister – auf jeden Fall im Schnellschach.

15.32 Remis! Indien applaudiert. (Im Pressezentrum.)

15.34 Aber er will das ja gewinnen.

15.33 Zwei Türme, nur noch ein Bauer auf dem Brett. Gelfand zeigt seine Technik. Das Remis scheint sicher.

15.31 Die weißen Bauern gehen vor, Anand hat keinen Bauern mehr.

15.30 Noch 16 Sekunden. „Aber Gelfand kann es nicht mehr verlieren“, meint Eli Shvidler aus Tel Aviv.

15.29 Turmendspiel jetzt. Gelfand zwei Bauern, Anand einen. 18 Sekunden!

15.28 Anand soll Remis angeboten haben. Und Gelfand soll es abgelehnt haben. Stimmt das? Keine Chance, es zu überprüfen. Niemand bewegt sich vom Fleck.

15.27 Das ist Adrenalin pur hier alles.

15.26 Gelfand wehrt es ab, vereinfacht und hat die bessere Stellung! (bei 35 Sekunden)

15.25 Anand droht Matt!

15.23 Was macht Anand da? Eli Shvidler aus Tel Aviv, neben mir, versteht es nicht. Es wird jetzt richtig still im Pressezentrum.

15.22 Und Gelfand nimmt ihn weg.

15.21 Anand stößt seinen Freibauern vor!

15.19 Ein Königreich für ein Remis! Es wird still im Pressezentrum. Ich kann gar nicht mehr auf den Schirm kucken.

15.17 Hat sich Gelfand von Anand inspirieren lassen? Jetzt sieht seine Königsstellung aus wie ein Möbelwagen. So was von vollgepackt. Und nur noch 40 Sekunden.

15.16 Gelfand hat noch 46 Sekunden. Das Ende ist nah. Und das Ende hat einen Namen: Zeit.

15.12 Die Damen sind weg, das Brett lichtet sich. Je zwei Türme noch, Läufer und Springer. Zwei weiße Freibauern auf dem Königsflügel, ein schwarzer Freibauer im Zentrum. Einer ist schneller als zwei? Das meinte Kommentator Svidler doch vorhin. Ach ja, Weiß hat einen Bauer mehr.

15.10 Kein weißes Läuferpaar mehr. 30 Züge gespielt. Gelfand 2 Minuten, Anand 17. Der Tiger von Madras, schnell wie in jungen Jahren. Der große Tag für Indien rückt näher.

15.06 Eine Mail aus Lübeck. Schachfreund Plackmeyer stört sich an der besinnungslosen Hektik hier: „Für mich wird Anand künftig nur ein Schnellschach-WM sein…. oder ein Blitz-WM.“ Nun, noch ist er es nicht.

15.03 Gelfand muss einmal mehr wiederkommen. „Wir sind keine Boxer“, hat er vor dem Kampf gesagt. Wieviel kann er wegstecken. Und kann er noch austeilen?

15.02 Live-Übertragungen nach Indien, höre ich gerade, informieren zur Stunde ein Publikum von  160 Millionen.

15.00 Gelfand hat einen  Bauern mehr… komische Stellung aber.

14.59 Nun schlägt Weiß die schlechteste schwarze Figur, den eingeklemmten Läufer. Anand hat eine Sorge weniger.

14.58 Blufft Anand? Das kann doch nicht gut sein. Gelfand denkt und denkt. Neun Minuten zu zwanzig Minuten.

14.57 Das muss man sehen!

Gelfand-Anand, dritte Partie. Stellung nach 22. ... g5

14.54 Und jetzt greift er aus seinem Positionsdurcheinander heraus an. 22. … g5. Stellt seinen eigenen König frei. Oha, oha.

14.50 Anands Springer nimmt einen Vorposten ein. Machtvoll. Aber sein Läufer steht absurd eingeklemmt auf der letzten Reihe. Die schwarze Stellung hinten erinnert an einen vollgerümpelten Möbelwagen. Wo wird die Reise hingehen?

14.46 Und Anand spielt schnell, so schnell. Gelfand hat schon wieder 5 Minuten weniger auf der Uhr. 17 zu 22.

14.45 Zwanzig Züge sind gespielt. Gelfand mit Weiß hat Raumvorteil, aber eine sehr zerklüftete Stellung. Anand steht hinten eingeklemmt. So lang er da nicht herauskommt, ist alles gut.

14.42 Wenn Anand diese Partie gewinnt, hat er das Stechen gewonnen, denn es gibt zunächst nur vier Schnellpartien. Spielt Gelfand jetzt nur remis, müßte er mit Schwarz die vierte Partie gewinnen. Mit Schwarz gewinnt es sich schwerer als mit Weiß. Auf diesem Niveau gewinnt es sich überhaupt schwer.

14.40 Deutscher Beuteltee. Die russischen Zuckerwürfel sind groß und ungeschlacht. Voll die Süße. Abwarten und Tee trinken beim Schach – das war mal. Heute geht alles zack, zack. Wir alle werden nachher völlig benommen sein. Ich bin es jetzt schon.

14.39 Weil gefragt wird: Nach diesen Regeln wird gespielt.

14.36 Sieht man Anand im weltweit übers Netz verbreiteten Videostream, wirkt er am Brett sitzend und spielend immer völlig gleichmütig. Das täuscht. Sitzt man im Saal in der zweiten Reihe, fünf Meter vom Weltmeister entfernt, dann kann man seine ruhelosen Augen sehen. Hin und her streift sein Blick übers Brett. Flackernd, unheimlich.

14.34 Tee ist fertig.

14.33 Damengambit, Slawisch. Die ersten zehn Züge kommen rasend. Gelfand hat nach einem Abtausch schon wieder das Läuferpaar, Anand Läufer und Springer. Der Weltmeister mag die Springer. Gestern Abend ging ich mit seinem Delegationsleiter  am Kreml spazieren. Hans-Walter Schmitt wollte mir die Skulptur mit den vier schwarzen Rössern zeigen. Wirklich sehr eindrucksvoll – und bestimmt kein Zufall.

14.30 Beginn der dritten Schnellpartie. Gelfand Weiß – Anand Schwarz.

+++

14.27 Noch zweieinhalb Minuten bis zur dritten Partie. Man kommt nicht zum Nachdenken. Ich hole mir schnell einen Tee.

Zehn Minuten Pause.

Die zweite Schnellpartie ist beendet. Anand-Gelfand 1,5:05.

14. 17 „Ich glaub, das gewinnt Anand jetzt“, sagt Svidler. Und in der Sekunde gibt Gelfand auf. Was für eine Partie. Bravourös verteidigt, Gegenchancen gefunden, aber die Zeit, aber die Zeit. Und dann hat Anand Druck gemacht. Er liegt jetzt eins vorn.

14.17 Läufer und Springer werden abgetauscht. Turmendspiel mit einem Bauern mehr.

14.16 Gelfand 2 Sekunden!!

14.15 Gelfand 23 Sekunden.

14.14 „Das ist jetzt sehr, sehr remis.“ (Svidler)

14.13 Anands Turm drängt Gelfands König an den Rand.

14.11 Remis, Remis, Remis, sagen jetzt alle. Aber es wird noch gespielt.

14.10 Der letzte schwarze Bauer verschwindet vom Brett. Und der vorletzte weiße. Die Remischancen wachsen.

14.09 Gelfand hält seinen Zeitpegel bei um und bei 30 Sekunden. Svidler glaubt an ein Remis.

14.07 Kommentator Svidler sieht noch Chancen für Gelfand mit der herrlichen Begründung: Ein Bauer läuft schneller als zwei.

14.06 Jetzt zwei Freibauern auf dem Damenflügel, ein schwarzer auf dem Königsflügel. Turm und Springer gegen Turm und Läufer. 22 Sekunden noch auf Gelfands Uhr.

14.05 Schwer zu halten für Gelfand.

14.04 Anand droht Matt.

14.03 Gelfand bekommt einen Bauern wieder. 57 Sekunden.

14.02 Wellenlinien auf Gelfands Stirn. (Video-Großaufnahme)

14.00 Jetzt hat Anand zwei Bauern mehr.

13.59 Anand wehrt sich, findet neues Gegenspiel. Ein schwarzer Turm muss ganz zurück. 40 Sekunden gegen neun Minuten.

13.58 Für jeden Zug gibt es zehn Sekunden Zeitgutschrift. Gelfand muss ein paarmal schnell ziehen, um seine Vorräte aufzustocken.

13.57 Zwei Türme jetzt auf der zweiten Reihe. Boris hat noch 42 Sekunden… Anand fast zehn Minuten.

13.54 Die Stellung werde „unglaublich scharf“, sagt Kommentator Svidler. Der weiße König am Rand, die schwarzen Drohungen.

13.52 Gelfand nähert sich den drei Minuten. Aber seine schlechte Stellung verbessert sich. Er hat einen Turm auf der zweiten Reihe. Immer noch einen Bauern weniger, aber Druck.

13.50 Mark Gluchowski kommt vorbei, der sehr umsichtige und hilfsbereite Pressesprecher der WM. Bitte, bitte, darf ich wieder in den Saal? Wenn’s nach ihm ginge, kein Problem. Aber der Saal wird jetzt bewacht wie der Kreml.

13.47 Gelfand beweist Standvermögen, einmal mehr. Er hat den weißen Königsspringer vor dem König gefesselt. Der Springer kann nicht weg. Jetzt spielt er schnell. 5 Minuten zu 11 Minuten.

13.45 Der Sponsor mitten im Getümmel. Milliardär Andrej Filatov. Von ihm kommen die 2,55 Millionen Dollar Preisgeld. Er war mal Schachlehrer, dann sattelte er um auf Transportmogul. Häfen, Bahnhöfe.

13.44 Gelfand zieht den Läufer auf die Grundreihe zurück und droht plötzlich dies und das.

13.41 Während Boris zappelt, lässt die Konzentration der Berichterstatter etwas nach. Sechs Minuten zu sechzehn.

13.39 Die Kollegen telefonieren, twittern, quatschen, fotografieren sich gegenseitig. Immens hohe Laptop-Dichte.

13.37 Große Unruhe im Pressezentrum. (Was ist los?)

Boris müsse jetzt mit etwas kommen, meint Svidler.

Und die Zeit: 8 Minuten zu 18 Minuten…

Gelfand hat einen Bauern weniger. Es sieht nicht gut aus.

Die erste Partie war  gleich ein Feuerwerk. In der Form hatte es das während des gesamten WM-Kampfes nicht gegeben. „Eine gute Werbung für das Schnellschach“, sagt Dirk Poldauf, der Chefredakteur des deutschen Fachblattes Schach, der zum Ende der WM angereist ist.

Anand steht besser, aktive Figuren. „White is much, much better“, kommentiert Peter Svidler, sechsfacher russischer Meister. Und was für Gelfand noch schlimmer ist: Er hat noch zehn Minuten, Anand zwanzig.

Hab die Jacke wieder. Alles noch da. Beim Schach kommt so schnell nichts weg. Aber man lässt mich nicht in den Spielsaal. Die Jacke wird herausgereicht. Bin am letzten Tag in Ungnade gefallen im Dienste von Zeit Online.

Ich geh mal kucken. (Ist ja nicht ganz so wild gerade.)

Würde gerne mal den Kommentar der großen Meister hören. Aber meine Kopfhörer sind in meiner Jacke, und die ist – hoffentlich – noch im Spielsaal.

Der schwarze Damenflügel ist gar nicht mehr da. Gelfand macht eine große Rochade ins Leere.

So sieht‘ s aus.
Zweite Schnellpartie, Anand-Gelfand, nach 14. Sc3

Völlig anderes Stellungsbild jetzt als in der zehnten Partie. Alles offen. Der schwarze Königsflügel schlummert noch nach 13 Zügen, der weiße hat sich nahezu aufgelöst. Aber die Damen sind vom Brett, dann droht nicht so viel Gefahr.

Gelfand kommt wieder mit seinem Zug, nun ist es keine Überraschung mehr. Anand weicht ab.

Die Variante hatten sie schon in der 10. Runde des regulären Wettkampfes, mit Gelfands Überraschungsei.

Die zweite Schnellpartie beginnt. Anand Weiß, 1. e4, Gelfand spielt Sizilianisch.

+++

Die erste Schnellpartie ist beendet: Anand – Gelfand 0,5 : 0,5

Meine Jacke liegt noch im Spielsaal. Kann sie nicht holen, weil die beiden Zugänge von Schachfans umlagert sind, die Einlass begehren. Drinnen ist alles voll.

Zehn Minuten Pause.

Beifall im Pressezentrum. So kann es weitergehen.

Remis!

Plötzlich ein Turmendspiel mit jeweils zwei Bauern. Das Hitzegewitter hat sich entladen. Nichts mehr los.

Telefone klingeln. Keiner geht ran.

Anand jetzt mit der schlechteren Zeit. Zweieinhalb Minuten.

Damentausch.

Trauben um die Bildschirme.

„Beide Seiten stehen so schlecht, dass man nicht sagen kann, wer verlieren wird.“ (Sprichwort)

Weißer Turm auf der siebten Reihe. Offener Schlagabtausch.

Gelfand 3 Minuten, Anand 4 Minuten.

Weißer Läufer schlägt wie ein Meteor in die schwarze Königsstellung ein.

Wildes Durcheinander auf dem Brett.

Anand weicht zurück. Gelfand setzt nach. Im Pressezentrum stehen jetzt alle und kucken.

Beide Läufer hängen, und Gelfand greift mit dem Turm die schwarze Dame an.

Nein, der weiße Läufer hängt auch.

Anand: Läufer-Einschlag auf g3! Ein Opfer!?

„Black is better“ – Eli Shidler. Er ist Sportjournalist und selbst ein guter Spieler. Er emigrierte aus der Ukraine nach Israel am Tag des Einmarsches der sowjetischen Truppen in Afghanistan.

Im Pressezentrum stehen sie vor dem Bildschirm mit der aktuellen Stellung und diskutieren.

Anand räubert einen Bauern auf dem Damenflügel weg. Gelfand macht einen Turmschwenk.

Gelfands Uhr läuft. Er ist jetzt unter der magischen Grenze von 10 Minuten. Die Sekunden werden angezeigt. 7:47.

„Not necessarily bad“, sagt Eli Shvidler über Gelfands Zug. Anand spielt die Dame nach f3, in die etwas löchrige weiße Königsstellung. So weit nach vorn ist er im ganzen Match nicht gekommen.

Ist das ein guter Zug? Anand denkt darüber nach. Ich hätte jetzt lieber Schwarz, aber das ist nur so ein Gefühl.

Wann zieht er? Jetzt. 19. a4. Den Damenturmbauern zwei Felder vor.

Gelfand überlegt immer noch an seinem 19. Zug.

12.22 Es sind 18 Züge gemacht, beide Spieler haben noch 14 Minuten. Anands Figuren wirken aktiver. Gelfand überlegt.

12.21 Am Tisch mir gegenüber mit Laptop und Kopfhörer ein junger Kollege aus Indien. Als Anand  die achte Partie in 17 Zügen gewann, sagte ich zu ihm: „Ein großer Tag für Indien!“ – Er korrigierte mich sanft: „Ein guter Tag für Indien. Der große Tag muss erst noch kommen.“

12.18 Im Pressezentrum großes Gewusel. Neben mir Eli Shvidler aus Tel Aviv, der eine kurze Nacht hatte, weil alle möglichen Radiostationen bei ihm anriefen. Israel will Gelfand. Israel will den Schachweltmeister. Seltsame Stellung auf dem Brett, bunte Reihe auf der d-Linie. Schwarzer Bauer und weißer Bauer Rücken an Rücken statt Stirn an Stirn. Das ist selten.

12.15 Stilles Live-Bloggen aus dem Spielsaal in der vorletzten Reihe – das ist mehr als die Organisation verträgt. Ich werde des Saales verwiesen. Elektronische Geräte seien nicht erlaubt, auch ohne Schachprogramm. Gelfands Mental-Coach verfügt offenbar über eine Ausnahmegenehmigung.

12.05 Die ersten 12 Züge kommen schnell. Konzentrierte Ruhe im Saal und das Klicken der Fotoapparate.  Anand überlegt als erster, verbraucht zwei Minuten.

12.00 Gelfand hat Weiß. 1. d4 d5.  Damengambit, Halbslawisch.

Die erste Schnellpartie beginnt. Gelfand Weiß, Anand Schwarz.

 

11.59 Anand und Gelfand sind da. Es geht los.

11.58 Der Saal ist bis auf den letzten Platz besetzt, 400 Leute. Der armenische Hauptschiedsrichter, ein sehr entspannter Mann, wendet sich auf Russisch und Englisch ans Publikum. Keine Blitzlichter! Auf der Bühne der noch unbesetzte Schachtisch. Noch zwei Minuten.

10.30 Im Spielsaal eben noch ein einsamer Mann auf einer Leiter an der Glasscheibe zwischen Bühne und Publikum. Der Fensterputzer beseitigt feinste Schlieren. Heute gibt es was zu sehen.

9.30 Schachberichterstatterfrühstück im Café Aldebaran, schräg gegenüber der Tretjakow-Galerie, dem WM-Spielort. Ich setze mich auf die  Terrasse, man bringt mir drei Spiegeleier mit Speck. Hatte ich nicht bestellt, aber die wenigen jungen Moskauer, die ansatzweise Englisch sprechen, geben sich alle Mühe. Außerdem kann man so eine Kraftspeise vor diesem Tag gut brauchen. Dazu ein Kännchen Taiga-Tee mit Pfefferminzblättern und geheimnisvollen Beeren. Vor der Terrasse ist ein Schneetreiben, das aus den Bäumen kommt. Rustam Kasimdschanow, der als Sekundant mit Anand und seinem Team einen Kilometer weiter im Balschug Kempinski wohnt,  kann sein Hotel kaum verlassen.  Auf Pollen reagiert er noch allergischer als auf Gelfands Eröffnungen.

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Elfmeterschießen auf 64 Feldern – die Regeln

Zunächst sieht das WM-Regelwerk vier Schnellpartien mit je 25 Minuten Bedenkzeit pro Spieler vor. Für jeden ausgeführten Zug gibt es eine Gutschrift von 10 Sekunden auf der elektronischen Uhr. So soll ein Partieverlust durch Zeitnot erschwert werden. Steht es nach zwei Siegen und einem Remis 2,5:0,5, ist die WM entschieden – das wäre die kürzeste Variante.

Gehen die vier Schnellpartien 2:2 aus, folgen zwei Blitzpartien mit je 5 Minuten Zeit pro Spieler und einer Zugabe von wiederum 10 Sekunden pro Zug. Die Farbverteilung in der ersten Blitzpartie wird ausgelost. Steht es nach dem Blitzmatch 2:0 oder 1,5:0,5, ist die WM entschieden.

Gehen die beiden Partien 1:1 aus, folgt ein zweites Blitzduell. Maximal sind fünf Blitzduelle vorgesehen.

Steht es immer noch unentschieden, kommt eine ultimative Blitzpartie mit besonderen Bedingungen. Zunächst wird gelost, wer sich seine Farbe im letzten Spiel aussuchen darf. Weiß bekommt 5 Minuten, Schwarz 4 Minuten. Vom 61. Zug an gibt es eine Zugabe von 3 Sekunden pro Zug. Weiß muss diese Partie gewinnen, um den Titel zu holen. Schwarz genügt ein Unentschieden.

Nach jeder Partie gibt es eine Pause. Der Kampf  könnte bis zu sieben Stunden dauern.